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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Wenn es bisher nun schon gar Manches zu sehen gegeben hatte, so war dies doch Alles nichts gegen den Glanz, welchen das Eintreffen des Königs von Preußen in Naumburg der Schaulust bot. Dies geschah bereits am 30. Sept., denn die Zurüstungen zum Kriege waren schon getroffen, ehe die eigentliche Kriegserklärung erfolgt war.

Naumburg war jetzt mit preußischen Truppen überfüllt, namentlich standen die Garden an dem Orte des königlichen Hauptquartiers. Alles war voll Hoffnung auf den Sieg der preußischen Waffen; denn noch umstrahlte der Ruhm des siebenjährigen Kriegs die Heere Friedrich’s des Großen und der kurze Feldzug in der Champagne hatte ihn nicht verlöschen können, obgleich er unglücklich ausgefallen war.

In langen Reihen standen da die gewaltigen Gardisten mit ihrem riesigen Flügelmanne und passirten unter den Augen des ernst, ja fast finsterblickenden Königs auf der Jacobsgasse die Musterung. Der alte Herzog von Braunschweig, der Generalissimus der Armee, und der greise Feldmarschall von Möllendorf veraugenscheinlichten noch in ihren Uniformen das Bild des vergangenen Jahrhunderts. So hatten die Heerführer des siebenjährigen Krieges ausgesehen. Aber das schaulustige Publikum durfte sich nur aus der Ferne die Sache betrachten; denn streng wurde Jeder zurückgewiesen, welcher sich dem Kreise zu nahen wagte, in welchem sich der König und die beiden alten Kriegsfürsten befanden. – Der König wohnte auf dem alten Schlosse am Markt, welches einst die Residenz der Herzöge von Sachsen-Naumburg gewesen war.

Wurde aber unsere Neugier bei solchen großen Schaustellungen sehr beschränkt, so hielten wir uns desto mehr an die Einzelheiten. Alles und Jedes mußte unsere Privatmusterung passiren und es gab stets reichlichen Stoff dazu. Auch die Unterhaltungen mit den Herren Preußen hatten für uns Schüler manches Lehrreiche und wir erkundigten uns nach Dem und Jenem genauer, was wir gesehen oder gehört hatten. An die Herren Offiziere aber wagten wir uns natürlich nicht; denn diese sahen sehr stolz und hochfahrend aus, und so ein unbärtiger Primaner hatte damals noch eine heilige Scheu vor den adligen Männern, gekleidet in zweierlei Tuch. Dagegen machten uns die sogenannten Junker vielen Spaß, welche, aufgebläht wie kalkuttische Hähne, mit ihren Korporalstöcken einherspazirten und mit überschlagender Stimme ihr Kreuzmillionendonnerwetter herauskrähten, sich aber vielleicht im nächsten Augenblicke oft gefallen lassen mußten, daß ein alter Feldwebel sie haranguirte: Himmelelement, Junker, Sie soll doch gleich das Wetter auf den Kopf schlagen, was ist das für eine Wirtschaft u. s. w? – Mit wahrem Ingrimm sahen wir indeß, wie diese kaum hinter den Ohren trocken gewordenen, eben aus dem Kadettenhause entlassenen adligen Bürschchen alte, graubärtige Soldaten an ihren Ohren oder ihrem greisen Barte zerrten, oder gar, wenn sie zu bemerken glaubten, daß der Eine oder der Andere nicht ganz genau die Linie hielt, ihn mit ihren Stöcken an die Schienbeine schlugen, daß ihm vor Schmerz die Thränen aus den Augen traten. Wenn es sich nun beim Ausmarsche zutrug, daß so ein Junkerlein, von der einen Seite auf’s Pferd geholfen – (denn viele hielten sich Pferde und hatten Bediente, da ihre hochadlige Abkunft sie dazu natürlich bevorrechtete) – die Balance verlor und auf der andern wieder herunter segelte, so konnten wir uns natürlich eines schadenfrohen Lachens nicht enthalten, hätten auch von Herzen gewünscht, daß ein Korporalstock sie für ihre Ungeschicklichkeit bezahlt haben möchte.

In all’ dem kriegerischen Tumulte trat aber ein leuchtendes, schönes Bild vor die Augen Derer, welche so glücklich waren, es zu schauen: die holdselige Gestalt der von ihrem Volke angebeteten Königin von Preußen. Die hohe Frau pflegte nämlich Spazierfahrten nach einem in der Nähe der Stadt an der Saale liegenden Orte zu machen, welcher die „nackte Henne“ hieß und vielleicht noch so genannt wird. Freundlich herablassend erwiederte die Königin Louise die ehrfurchtsvollen Begrüßungen der ihr Begegnenden. Der so unpoetisch klingende Name jenes Ortes, welcher sich rühmen konnte, die hohe Frau öfters zu empfangen, liegt, wie gesagt, an der Saale, etwa eine gute halbe Stunde von Naumburg. Damals führte eine Fähre über den Fluß. Hinter dem Gasthofe erheben sich Anhöhen, welche linkshin, wenn man der Stadt den Rücken zuwendet, nach Freiburg zu steiler werden und mit Weinbergen geziert sind, welche in guten Jahren kein eben schlechtes Product liefern. Oben auf der Höhe von Freiburg befindet sich der sogenannte Edelacker, welchen Landgraf Ludwig von Thüringen von seinen Edelingen einst hatte beackern lassen, um sie wegen ihrer Erpressungen und Mißhandlungen wehrloser Unterthanen zu züchtigen. Das Thal, in welchem die Saale fließt, erweitert sich nach dieser Seite hin allmälig und verengt sich wieder bei Schulpforta. Jetzt zieht sich die Eisenbahn durch dasselbe. Nach der andern Seite öffnet sich ebenfalls ein freundliches Thal, das an beiden gegenüberstehenden Seiten von Anhöhen begrenzt wird, so daß sich, wenn man das Gesicht der Stadt zuwendet, ein reiches Panorama bietet. Die Burg Goseck, oben in dem Theile des Saalthals nach Weißenfels zu, und schräg gegenüber, aber näher liegend, die Ruinen der alten Schönburg auf bewaldeter Höhe bieten einen höchst romantischen Schmuck der lieblichen Landschaft.

Einen etwas erhöhten Punkt, dicht am Ufer der Saale in der nächsten Nähe des Gasthofs hatte sich die Königin erkoren; er war ihr Lieblingsplatz, auf dem sie stets ausruhte. Er erhielt deshalb den Namen „Louisenplatz“ und wurde mit Pappeln umpflanzt. Ob er vielleicht in der Folgezeit noch einen andern Ausschmuck erhalten hat, weiß ich nicht, da bei weitem mehr als ein Menschenalter verstrichen ist, seit ich Naumburg nicht wieder gesehen habe; doch vermuthe ich es gewiß nicht ohne Grund, da solche Traditionen durch die Zeit geheiligt werden. Noch immer schwebt mir das Bild der holdseligen Königin vor Augen; ich sah sie mehrmals, aber das Gesicht mit einem weißen Tuche verbunden, indem sie, wie man sagte, gerade häufig an Zahnschmerzen litt, und doch so mild und freundlich auf die ihr Begegnenden schaute.

Der König brach nach einigen Tagen mit seinen Garden auf und verlegte sein Hauptquartier zuerst nach Weimar und von da, am 13. Oct., nach Auerstädt. Allein es folgten noch stets Durchmärsche einzelner Truppenabtheilungen durch Naumburg. Zuletzt kam ein Corps Pontonniers, und die Pontons wurden auf dem weiten Platze vor dem Schützenhause aufgefahren. Da gab es wieder etwas zu schauen, denn solche Maschinen waren Keinem von uns je noch zu Gesichte gekommen. Allein die Schildwachen hielten eben so streng, wie es früher bei der Parade in der Stadt geschehen war, Alles fern, was sich nahen wollte, diese Pontons sich genauer anzusehen, wie wenn es gegolten hätte, die Geheimnisse einer Festung vor neugierigen Blicken zu hüten, welche die schwächsten Punkte ausspähen wollen, wo sie sich am leichtesten angreifen läßt.

In dem Hause meiner Eltern lagen ein paar solche Pontonniers, und so benutzte ich die Gelegenheit, wo Einer derselben Schildwache zu stehen hatte, um meine Neugier zu befriedigen. Es war der Nachmittag eines Sonntags. Die Nachricht von dem unglücklichen Gefechte bei Saalfeld war durch einige flüchtige Sachsen und Preußen nach Naumburg gelangt, jedoch wagte man kaum öffentlich davon zu sprechen. Auch verbreitete sich bereits die Sage, daß die Franzosen bei Hof ständen und die Preußen auch dort hätten zurückweichen müssen. Da diese Gerüchte immer lauter geworden waren, so theilte ich sie dem mich begünstigenden Pontonnier mit.

„Ach! jehn Sie mich weg!“ war seine Antwort, „das ist eine infamige Lüge. Unser König hat enen Cordon jezogen, wo keene Maus durch kann. Und wenn die Franzosen auch kämen – laßt sie man kommen! Wir sein auch da! Sechs solcher Kerrels zum Morgenbrote! Wofür hätten wir denne so lange Bajonnette?“

Und so renommirte der Held weiter fort. Aber da erhob sich auf einmal um die Stadt her auf der Heerstraße, welche dort an den Wallgräben und Spaziergängen sich vorüber zieht, ein gewaltiger Staubwirbel. Trainknechte mit ihren Pferden kamen im vollen Jagen gesprengt, und auf den Schießplatz zu. Die Pontons wurden eiligst fortgefahren und mein Preuße lief, was er laufen konnte, um aus seinem Quartiere seine Sachen zu holen und sich mit den Anderen auf die Flucht zu begeben. „Die Franzosen kommen! Sie sind schon eben über dem Buchholze! Ein Bauer hat sie gesehen und ist mit Noth und Mühe ihnen entgangen!“ so lautete die neue Schreckenskunde.

Ich eilte zurück in die Stadt. Von dem Thurme der St. Wenzel’s- oder Stadtkirche (im Gegensätze zu andern Kirchen, dem Dome u. s. w. so genannt) mußte man sehen können, was draußen auf den Höhen passirte, das wußte ich, und so wurde, ohne lange zu überlegen, der Thurm erstiegen. Und da sahen

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