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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Hindu ist kein tapferer Mann, und darum war sein Land und seine Freiheit von jeher die Beute des ersten Räubers, der die Hand danach ausstreckte. Ein berühmter Neapolitaner, selbst einer der wackersten Soldaten dieser Tage, und ein Patriot, wie ich deren meinem eigenen Vaterlande viele wünschen möchte, der General Pepe, wendet in allen seinen Schriften die rührendste Beredtsamkeit auf, um seine Landsleute von dem schmählichen Verdachte der Feigheit zu befreien, der in den Augen von ganz Europa auf ihnen liegt; aber die Thatsachen kommen immer von neuem, das herrschende Urtheil, welches Pepe ein unbegreifliches Vorurtheil nennt, aufzufrischen und zu bestärken. Nochmals weise ich darauf zurück, einige tausend Schweizer genügen, um den Thron eines Königs zu halten, welcher von der großen Mehrzahl des neapolitanischen Volkes mehr als nicht geliebt ist.

Die Bevölkerung der Hauptstadt besteht der Masse nach aus Menschen von unansehnlichem Wüchse, unter denen die männliche Schönheit nicht häufig, und die weibliche ganz ungewöhnlich selten ist. Die Männer der höheren Stände stellen sich im Allgemeinen recht vortheilhaft dar, und wie schon oben bemerkt, gibt es unter ihnen viel Leute von sehr feiner Miene, während die Frauen bis in die höchsten Kreise der Aristokratie hinauf mit jeder Art von körperlichen Reizen sehr kärglich ausgestattet sind.

Ueber die Vertheidigungskraft Neapels läßt sich wenig sagen. Die Stadt selbst, an ihrem Golfe, hat eine keineswegs gute strategische Lage; es kann leicht bedroht werden, ohne dagegen Vorsichtsmaßregeln treffen zu können. Eine Flotte vor Neapel genügt, um dasselbe zu vernichten oder die Regierung zum Nachgeben zu zwingen. So geschah es 1793. Als im Jahre 1805 Joachim Murat zu Lande den Oesterreichern gegenüberstand, erschien der Kommodore Campbell vor Neapel und zwang die Regentin zur Uebergabe der Flotte. Hat sich die Flotte Neapels seitdem auch vergrößert, so bietet doch der Hafen durch seine geringe Ausdehnung zu wenig Schutz, und zudem sind alle Marineetablissements bei Neapel oder bei Castellamare dem Feuer des Feindes preisgegeben. Die Küstenvertheidiguug durch Batterien ist gering; ein Inbrandstecken nicht allein der Stadt, sondern auch der Schiffe selbst ist sehr leicht auszuführen. Der Umstand, daß alles Kriegs- und Marinematerial in und um Neapel angehäuft ist, muß für die Vertheidigung des Landes ungemein schädlich sein, weil der Fall dieses einen Platzes jeden weitern Widerstand bricht. Man wollte diesem Uebelstande durch Herrichtung des kleinen Averner- und des Lucrinersees zu Militairhäfen abhelfen; allein diese Arbeiten können, als noch nicht weit genug vorgeschritten, für jetzt noch von keinem Nutzen sein. Die vorliegenden Punkte des Golfs bieten viel eher dem Angreifer Anhaltepunkte als dem Vertheidiger. Die Befestigungsarbeiten auf Capri, der südlichen vorspringenden Insel, sind unbedeutend und vermögen das Eindringen einer Flotte in den Hafen ebenso wenig zu hindern wie die Inseln Ischia und Procida. Die Vertheidigung zu Lande (einen Angriff von Seiten des Volks angenommen) ist nur dann möglich, wenn sie sich auf die Hauptstadt stützt, unmöglich aber, wenn diese selbst von der See her bedroht ist; denn sie ist der Mittelpunkt der Vertheidigung und ihr Verlust liefert alle Vertheidigungsmittel in die Hände der Angreifer. Die Vertheidigungswerke des ganzen Königreichs sind an sich von keiner großen Bedeutung, obgleich in letzter Zeit unendlich viel gethan ist, alle Küsten mit Kanonen und Batterien bespickt sind und das Land von Soldaten wimmelt, aber es reicht nicht aus, nicht einmal gegen das Volk des Festlandes, so sehr übrigens das Land selbst einer nationalen Vertheidigung fähig wäre. Man denke an die häufigen und raschen Wechsel der Schicksale des Königreichs schon in den frühesten Zeiten, die bei richtiger Vertheilung des Materials und bei Erweiterung der Operationsbasis nach Tarent und Otranto nicht möglich gewesen wären.




Blätter und Blüthen



Griechische Ehen. Der französische Arzt Weynard macht uns in seiner unterhaltenden Beschreibung einer Fahrt von Marseille nach Sebastopol mit folgendem Original bekannt:

„Einer der Dalmatier oder, genauer, Ragusaner, die auf unserem Dampfschiffe dienten, ein schöner junger Mann von herkulischer Gestalt, erhielt am Piräus, dem Hafen von Athen, Erlaubniß, an das Land zu gehen. Diese Vergünstigung, welche allen seinen, mit dem Ausladen der Güter, Einnehmen von Kohlen u. s. w. beschäftigten Kameraden verweigert wurde, hatte er seiner Eigenschaft als Gatte und Vater zu danken. In der That wäre es auch allzuhart von dem Kapitain gewesen, wenn er diesen armen, von Wind und Wetter umhergetriebenen Ehemann jetzt, wo ein glücklicher Ungefähr ihn in die Nähe seiner Lieben brachte, erbarmungslos hätte am Bord halten wollen. Jubelnd eilte der schmucke Ragusaner einem weißen Häuschen zu, das er uns bereits auf den Höhen als das seine bezeichnet hatte. Vielleicht sollte er Frau und Kind zum letzten Male umarmen! Als ich von meinem kurzen Ausfluge nach Athen zurückkehrte, fand ich ihn am Strande, auf das Boot wartend, das uns auf das Schiff bringen sollte. Er war jedoch nicht mehr allein. In Gesellschaft eines auffallend schönen jungen Weibes lehnte er an der Laffette einer alten Kanone. Ein munterer kleiner brauner Junge saß auf seinem rechten Arme und mit dem linken hielt er seine Frau umschlungen, die bitterlich weinte, während er mit vorgebeugtem Haupte ihr süße Trostesworte zuflüsterte. Es währte nicht lange, so kam unser Boot, und ich setzte mich ein, ohne es zu wagen, den traurigen Abschied des armen Matrosen zu unterbrechen, der in seinem Schmerz nicht nur unser Schiff, sondern die ganze Welt vergessen zu haben schien. Der Bootsmann jedoch, ungeduldig über den Aufenthalt, mahnte ihn etwas rauh an seine Pflicht. Er mußte gehorchen und wir stießen vom Lande, während das junge Weib, vom Schluchzen schier erstickend, rettungslos am Ufer stehen blieb. Das Kind an die Brust gedrückt, verfolgte sie uns mit den Augen, bis wir hinter den Fahrzeugen auf der Rhede verschwanden. Es verletzte mich etwas, als ich aus meiner Runde am selben Abend den Ragusaner mitten unter den Sorglosesten und Lustigsten des Vorderkastells traf. – Ich hatte den Vorfall bereits vergessen, als sich zwei Tage darauf bei unserer Ankunft in Constantinopel derselbe Ragusaner vor dem Offizier der Wache präsentirte, mit der Bitte, landen zu dürfen. – „Und wozu?“ frug der Lieutenant. – „Um meine Frau und Kinder zu umarmen.“ – „Ei, sieh doch! Die Frau Gemahlin sind ja in Piräus.“ – „Verzeihen Sie gütigst, sie ist in Galata.“ – „Nun, dann laß sie nur dort. Unverschämtheit! Ich verbiete dir, das Schiff zu verlassen.“ – Der Matrose ging ohne Murren wieder an seine Arbeit, und ich lachte mit dem Offizier über die plumpe Lüge. Zwei Stunden nach dem mißlungenen Versuche kehrte nichtsdestoweniger der Ragusaner zum Angriff zurück. Er wiederholte seine Bitte. Er wünsche seine Frau und Kinder zu sehen, und zum Beweis der Wahrheit seiner Aussage berief er sich auf das Zeugniß eines Commis unseren Schiffsagenten, der soeben an Bord gekommen war. Der Commis bestätigte auch, daß er eine Frau mit 3 oder 4 Kindern in Galata habe. – „Aber sind Sie auch gewiß,“ frug der Lieutenant, „daß sich dieses Weib und diese Kinder gegenwärtig in Galata befinden? Es sind ja noch nicht 3 Tage her, daß er in Piräus die Pflichten eines Familienvaters erfüllte.“ – „Nun, so hat er eben dieselben Pflichten auch hier zu erfüllen,“ erwiederte der Commis, „denn erst vor 5 Minuten sah ich seine Frau. Sie weiß, daß Ragusaner auf unserem Schiffe dienen und bat mich, wenn ihr Mann am Bord sei, ihm die Erlaubniß zum Landen auszuwirken. Da ist er, ich kenne ihn. Er sprach die Wahrheit, und ich bitte Sie, den armen Teufel gehen zu lassen.“ – „Nun, der Merkwürdigkeit halber will ich es gerne gewähren. Ich wußte wohl, daß hier zu Lande die Vielweiberei üblich sei, aber nicht, daß sie in dieser Weise getrieben wird.“ – Der triumphirende Ragusaner ging, eine zweite Reihe seiner Gatten- und Vaterpflichten zu erfüllen. Der Zufall wollte diesmal nicht, daß ich seine Frau No. 2 zu sehen bekäme, allein ich verlor nichts beim Warten. Wir trafen gegen zwei Uhr nach Mittag vor Varna ein. Unser Bigamist präsentirte sich abermals vor dem Wacht-Offizier mit dem alten Gesuch von Piräus und von Stambul. – „Was! Du bist auch hier verheirathet, zum dritten Male?“ – „Ja, Herr Lieutenant, wenn Sie erlauben.“ – „Na, Glück auf mein hübscher Bursche!“ – Und der Sultan des Vorderkastells zog zum dritten Male mit fliegenden Fahnen aus. Diese Art von Verbindungen sind im Mittelmeere als „Griechische Ehen“ bekannt und nicht ungewöhnlich. Sie gelten zwar nicht als gesetzlich, allein die Religiosität der griechischen Mädchen verlangt es doch von ihren Matrosenliebhabern, daß sie sich bei einer ordnungsmäßigen Trauung mit ihnen hinter dem Brautpaare in die Kirche stehlen, wo sie dann die am Altare vorgehende religiöse Ceremonie auf ihr eigenen Verhältniß beziehen.






„Aus Herders Nachlaß“ heißen drei dicke Bände, die eben bei Meidinger in Frankfurt erschienen sind. Sie enthalten einen Schatz interessanter, zum Theil wichtiger Briefe von Goethe, Schiller, Klopstock, Herder, Claudius, Jean Paul u. s. w. von hohem Werth als Beiträge zur Kenntniß der merkwürdigen letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, so wie der Personen, die hervorragend in derselben auftreten. Eine erquickliche Frische athmen namentlich die hundert Briefe Goethe’s, unter denen sich auch einer in derben Knittelversen über die Berufung Herder’s als Generalsuperintendent nach Weimar befindet.

Aus dem 3. B. (Briefwechsel Herder’s mit seiner Braut) lernen wir die Zeit der schwärmerischen Empfindsamkeit und zwei neue Freundinnen Goethe’s kennen. Auch erfahren wir, daß an diese zwei seiner Gedichte gerichtet sind, die man bis jetzt, weil man sie nicht andern deuten konnte, auf Lotte Buff (Werther’s Lotte) in Wetzlar bezogen hat. Es sind Lila, Fräulein von Ziegler, Hofdame bei der Landgräfin von Homburg und Uranie, Fräulein von Roussilon, Hofdame der verwitweten Herzogin

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_603.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)