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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

hatten, machten sich eine Ehre daraus, das Deficit in Heine’s Kasse zu decken, wenn sie irgendwie Kenntniß davon bekamen. So erhielt Heine meistentheils die bedeutenden Rechnungen von seinem Weinhändler nur quittirt zugeschickt, wenn er dieselben verlangte. Eine reiche Madame F… bezahlte sie zum Erstaunen Heine’s, welcher ihr sechs Jahre vorher seine Liebe gezollt hatte.

Andererseits zeigten die Mittheilungen Gérard’s de Nerval, mit wie vollem Herzen Heinrich Heine seine Wohlthaten spendete. Freunden in der Verlegenheit auszuhelfen, war ein Grundsatz bei ihm, den er mit solcher Liebenswürdigkeit ausübte, daß er an Rückerstattung geliehener Summen niemals dachte. Ein junger Maler, Benoit, den er nur im Café kennen gelernt hatte, gestand ihm eines Tages, daß er ohne Mittel sei, ein angefangenes Portrait zu vollenden. Heine sandte ihm am andern Tage eine Summe von 300 Franks, mit der Bitte, sich keinesweges mit seinem Bilde zu übereilen. – Ein junger, viel Talent verrathender Dichter war in Verzweiflung, daß er Soldat werden müßte, ohne durch Bezahlung eines Stellvertreters diesem Loose entgehen zu können. Gérard theilte im Gespräche Heine das Unglück des von Beiden gekannten jungen Mannes mit. Sogleich rief dieser den Verzweifelnden herbei, setzte sich mit ihm in einen Fiaker, und stellte ihn einem Pariser Banquier seiner Bekanntschaft vor, der nach Mittheilung der Sache bereitwillig dem jungen Dichter eine Summe von 1000 Franks vorschoß, vermöge welcher sich dieser einen Stellvertreter verschaffen konnte.

Eine der interessantesten Mittheilungen Gérard’s war folgende:

„Mit Heinrich Heine hatte mich die Heiterkeit der Gesellschaft bekannt gemacht; sein Witz und sein Spott machte ihn für mich zu einem gesellschaftlichen Bedürfniß; selbst sein Egoismus befriedigte mich, so seltsam dies auch erscheinen mag. Ich bin ein Mensch mit zwei Naturen; die eine hat ein träumerisches, thränenreiches Herz, die andere liebt es, der Welt die heiterste Fratze zu schneiden; das ist das Unglück, bester Freund, wenn die Vergangenheit die Harmonie unserer Seele zerstört hat! Mit Heinrich Heine zu lachen und zu spotten, mit ihm mehrere Stunden in geistreicher Gesellschaft zuzubringen, das betäubte mich und machte es mir leichter, die Fluten einer schäumenden Gefühlswelt aus meinen Augen zurückzudrängen, wenn sie überzuströmen Willens waren. Gefühlvolle Gesichter vor den Menschen zu machen, erregt nur Lachen. – Dieser Anfangs nur zur geselligen Unterhaltung gepflogene Umgang mit Heine ließ mich indessen tiefere Blicke in seinen Charakter werfen; ich sah bald, daß der Dichter träumte, wenn der Mensch seine Witze machte; daß sie lediglich Anderen gefallen sollten, bildete nicht den Reiz zu Heine’s Humor; es lag ihm vielmehr daran, sich selbst zu unterhalten, und zwar durch zweierlei: mit dem Traum seines Herzens und mit dem Wort seines Geistes. Was ich erst ahnte, gestand der Dichter mir später selbst, nachdem auch er mich näher kennen gelernt hatte. Wir litten Beide an einer Krankheit!“

„Und diese Krankheit?“ fragte ich.

„Eine lächerliche Krankheit, Freund; wir sangen Beide die Hoffnungslosigkeit einer Jugendliebe todt; wir singen noch immer und sie stirbt doch nicht! Ich liebte, fast noch Kind, schon Adrienne, und mußte den Schmerz haben, sie als Sängerin hinter den Lampen eines Theaters wiederzufinden; sie zerstörte damit den schönen Traum meiner Jugend. Heine hatte dasselbe Schicksal, was Sie vielleicht überrascht, ja, was Sie wohl bezweifeln mögen. Aber eine hoffnungslose Jugendliebe schlummert noch immer in seinem Herzen; wenn er ihrer gedenkt, kann er noch weinen, oder er zerdrückt diese Thränen aus Groll. Heine hat mir selbst gestanden, daß, nachdem er das Paradies seiner Liebe verloren hatte, die letztere für ihn nur noch ein Handwerk blieb.“

Diese Mittheilungen Gérard’s von einer solchen heiligen und wehmuthsvollen Liebe Heine’s haben sich durch eine spätere Notiz im „Londoner deutschen Journal“ noch erweitert. Danach war seine Cousine Evelyne van Geldern der Gegenstand dieser Neigung, welche die schönsten und zartesten Blüthen der Heine’schen Lyrik hervorgebracht hat. Evelyne „mit dem Engelsköpfchen auf Rheinweingoldgrund“ war wechselnd und launisch mit ihren Gefühlen und reichte später, vielleicht auch dem Wunsche ihrer Eltern nachgebend, einem reichen Banquier, „dem dürren Philister,“ ihre Hand. Mit der Wehmuth um eine verfehlte Liebe sog Heine auch die gallige Bitterkeit für die Pietät solcher keuschen Neigungen ein; er mochte vielleicht innerlich geseufzt haben, wenn er sich darin gefiel, die Liebe zum Gegenstande seines Spottes zu machen. Mindestens ist anzunehmen, daß er sich ein Recht einbildete, dem Egoismus zu fröhnen und die Pietät der Gefühle zu bewitzeln, nachdem das Schicksal ihn in Ausübung der letzteren betrogen hatte.[1]




Aus dem Hause für das Haus.
Die Verfrühung.

„Wir Erwachsenen sind oft ganz sonderbar mit unsern Kindern! Die Entwickelung ihrer Kraft ruhig abzuwarten, ruhig und geduldig, Monate lang ruhig und Jahre lang abzuwarten, ist nicht unsere Sache; wie überhaupt die Kunst zu warten nicht Jedermanns Sache ist. Im Gefühl unserer eignen Kraft stürmen wir in die kleinen zarten Wesen hinein und werden dadurch nicht selten denselben Kindern ähnlich, welche wir mitleidig belächeln, wenn sie tagtäglich mit ihren Fingerchen einer keimenden Bohne nachgraben, um zu sehen, „wie weit sie ist“, oder tagtäglich an einer Puppe herumknaupeln, um zu sehen, ob die Hülle bald platzen wird, darüber aber – weder ihre Bohne aufgehen noch ihren Schmetterling auskriechen sehen.“ Dieses Wort, welches ich neulich las in den Leipziger Blättern für Erziehung und Unterricht, ist so ganz ein Wort für unsere Zeit, daß es verdient, gar wohl erwogen zu werden. Keine Sünde trifft man häufiger in der pädagogischen Welt, als die Verfrühung, und gerade dort wird sie am meisten begangen, wo die Eltern so recht für ihre Kinder leben und wirken. Sie möchten gern Alles aus ihren Lieblingen machen, und die Keime dazu so frühzeitig als möglich legen. Kaum ist das kleine Püppchen zwei Jahre alt, so werden ihm auch schon Formen und Manieren eingelernt, die zu seiner Liebenswürdigkeit mit beitragen sollen.

„Nun, machst Du nicht einen schönen Diener?“ heißt es aller Augenblicke, und da muß das kleine Fräulein einen Knix machen, Kußhändchen werfen, und sobald es lallen kann, muß es auch eine Menge artiger Redensarten lernen, womit es die Erwachsenen begrüßen kann. Ich nenne das eine gefährliche Brücke, auf welche das Kind gestellt wird. Zwar werden meine Gegner, und dazu gehören alle Frauen, sagen: Höflichkeit ist ein Kleid, welches den Menschen liebenswürdig macht, welches ihm besser durch die schöne und nicht schöne Welt hilft, und welches man nicht zeitig genug anlegen kann. Aber, Ihr Guten, die Höflichkeit, welche sich in bloßen Formen bewegt, ist eine Höhle, hinter welche sich oft die schönste Grobheit versteckt, und die, von vernünftigen Menschen gewogen, wenig gilt. Das ganze Leben der Menschen muß eine Höflichkeit gegen andere sein, d. h. man muß in seinen Mienen, Worten, Werken niemals den Geist der rechten Zartheit, das Gefühl, das Wohlwollen gegen Andere verleugnen.

Aber dieser Geist wird durch die verfrühten Komplimente nicht errungen, sondern gewissermaßen sogar zerstört. Wenn die Kinder todte Gegenstände in den Mund nehmen, um daran zu kauen, so reißt man sie ihnen weg, sie haben keinen Nutzen für das Kind. Was sind denn aber jene Höflichkeitsformen anders, als Dinge ohne Leben, ohne Saft und Kraft für das Kind. Der Geist, der die Erwachsenen zu jenen Formen treibt, ist Kindern noch ganz fremd, die Worte sind für sie ohne Inhalt. Wan wird denn also, wenn man die Kinder rechtzeitig damit bekannt macht?

Es entwickelt sich im jungen Herzen ein Wohlgefallen an Redensarten und Förmlichkeiten, und der eigentliche warme Liebeszug im Gemüth, der Quell wahrer Höflichkeit wird dadurch gehemmt

  1. Aus dem binnen Kurzem erscheinenden Buche: „Schmidt-Weißenfels über Heine,“ auf das wir im Voraus aufmerksam machen.
    D. Redakt.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_615.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)