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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Landhäusern, die von jedem schönen Punkte der Umgebung – und jeder Punkt bei Zürich ist ein schöner – freundlich, manchmal auch wohl mit etwas aristokratischem Stolze herabblicken. Rechts von der Stadt schießt aus enger Gebirgsschlucht die wilde Siehl hervor, um sich gleich unterhalb der Stadt mit der Limmat zu vereinigen. Aber es ist eine sehr spröde Vereinigung, als wenn zwei harte Köpfe zusammen in das Ehejoch gespannt wären. Noch eine ganze Meile weit fließen in demselben Bette die beiden Flüsse neben einander her, ohne ihre Wellen mit einander zu vermischen, links das gelbe Wasser der wilden, trotzigen Siehl, rechts die grünen Wellen der stolzen und heftigen Limmat. Erst vor Baden vertragen sie sich mit einander; sie müssen ja endlich wohl in dem engen Bette.

(Schluß folgt.)     




Lebensbilder aus dem englischen Parlamente.

IV. Wilson. Lord Lyndhurst.

Unter den Equipagen, Reitern und Reiterinnen, die sich zu Tausenden im Hydepark herumtreiben, so lange die season, die Parlamentsperiode, dauert, bemerkt das Volk öfter einen Mann mittleren Alters, etwas ungeschickt und plebej im Sattel, mit einer unter den unzähligen kahlen Gesichtern frappant und scharf hervorstechenden Physiognomie, überhängender Braue, inhaltvoller Stirn, spekulativer Nase und seltsam lockig auslaufendem rothen Haar.

Look, that's Mr. Wilson of the Treasury“ – Sieh, das ist Mr. Wilson vom Staatsschatze – sagen die Leute. Blos Mr. Wilson, Staatsschatzsekretair, Sohn eines Posamentiergeschäfts. Nicht alle Herrschaften unter diesen Auserwählten sind Lords und Ladies. Im Gegentheil gibt’s viele hinausgeschmuggelte und importirte Grisettenwaare darunter. Nicht alle Staatsstellen besetzt man aus den „obersten Zehntausenden.“ Die Aemter und Stellen, welche Arbeit und Kenntniß verlangen, übergibt man gern tüchtigen Arbeitsbienen aus den untern Klassen, damit die angestellten Dronen aus den höchsten Klassen ihre höheren Gehalte und ihre Gehaltlosigkeit mit desto mehr Ruhe genießen können. Muster einer solchen Arbeitsbiene, eines solchen Talentes von Unten ist Mr. Wilson. Geboren 1805 in der kleinen Manufakturstadt Hawik am Teviotflusse, Sohn eines kleinen Posamentiers, wurde er durch den Vater in die Religion und prosaische Lebens und Sittenstrenge der Quäker eingeführt. Die Quäker zeichnen sich außer durch Röcke mit einer Reihe Knöpfe auch durch breitkrämpige

Mr. Wilson.

Lord Lyndhurst.

Hüte aus, welche sonst kein gewöhnlicher Hutmacher vorräthig hält, so daß mancher Quäker in Verlegenheit kommt, wenn er mit der luxuriösen Idee herumgeht, sich einen gläubigen neuen Hut anzuschaffen. Unter solchen Umständen erscheint es nicht auffallend, daß Posamentier und Vater Quäker, der sich den Luxus einer Frau und mehrerer Söhne angeschafft hatte, auf den Gedanken kam, einen Sprößling in der verwahrlosten Hutmacherkunst unterweisen und breitkrämpige Hüte machen lernen zu lassen. So ward unser Wilson ein Hutmacher, erst zu Hause, wo seine Wiege stand, dann in Newcastle und in London.

Während er nun so viele hirnlose Köpfe mit „Angströhren“ und Breitkrämpern bedeckte, dachte er immer, es sei gut, sich selbst nicht blos etwas auf, sondern auch in den Kopf zu bringen. Mit Schrecken halte er nämlich sehr oft beim Verkauf eines neuen Hutes bemerkt, daß der Hut eigentlich auf Nichts, auf einen bloßen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_637.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2021)