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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

schwer, so daß man ihn auch für einfaches Porto im Briefe versenden könnte, weiß sich gleichwohl durch die härtesten Winter hindurchzuschlüpfen. Man wundert sich, wie so ein befiedertes Bischen den Grausamkeiten des Januars begegnen könne. Aber beobachte ihn nur in Wald und Feld: es gibt keinen munterern Burschen in der ganzen Welt. Er hält sich schon durch diese ewige quecksilberige Beweglichkeit warm und wohlig, und ehe dieses Quecksilber gefriert, müßte man bis in die arktischen Regionen gehen. In dieser Sekunde pickt er an einem Tannenzapfen, in der nächsten ist er verschwunden und wird in derselben wieder sichtbar, wenigstens hörbar ein paar hundert Schritte weiter in grünem Epheu, vielleicht um sich grünen Sommererinnerungen hinzugeben; aber sofort scheinen und flattern seine kleinen Fittige wieder hoch oben und weit weg an den äußersten Spitzen von Zweigen, an denen noch Reste von Beeren und dergleichen sich verbargen. So geht es den ganzen Tag flink und frisch durch die eisigste Kälte hindurch, ohne daß er jemals Miene macht, als ob er’s etwas kalt fände. Es fällt ihm immer etwas ein, um sich die Zeit zu vertreiben und die nöthige Bewegung zu machen. Seine Arbeitszeit fällt in die warme Periode, während welcher er eine Menge kleine Kinderchen zu erziehen hat. Naturalisten haben behauptet, daß er während dieser Zeit, jeden Tag 16 bis 18 Stunden lang, 36 Reisen jede Stunde mache, die man 30 bis 40 geographische Meilen täglich schätzen müsse.

Der eigentliche Held des Winters ist aber unser Rothkehlchen, das dem nebeligen Herbste und unsern Jungensjahren eine gar duftige, von Sprenkeln und schwarzen Fliederbeeren erfüllte Erinnerung gibt. In England ist das Rothkehlchen Held einer der beliebtesten und verbreitetsten Kindermährchen, das seit Jahrhunderten in keiner Kinderstube fehlt. Das tapfere „Schnickern“ im herbstlichsten Walde mit gelben, im Winde flatternden Blättern – welch’ ein poetisches Bild! Und wie rührend lernt der „Hahn“ singen in der stillen, dumpfigen Bauernstube des Winters! In Deutschland wandert das Rothkelchen aus, aber in England bleibt es den ganzen Winter, und zieht umher vor den Fenstern, wie die alten Sänger, und ersingt sich Brosamen aus zarten Kinderhänden, und singt dafür tapfer sein Pensum ab, wie auch der Wind in seinen Federn zause, so daß man meinen sollte, daß sie nie wieder in Ordnung zu bringen wären. Es ist die Nachtigall des Winters. Es singt, wenn Alles schweigt, trotzig gegen den Sturm, der mit seinen tödtlichen Lauten allein herrschen will. Es ist so beliebt und populär, wie die Gänseblume des Frühlings und der Schnee im Winter, der ihm ein Recht gibt auf die Mildthätigkeit der Menschen, wofür es aber mit tapferm, frischem Gesänge reichlich lohnt.

Welche Massen von Vögeln müssen sich bei uns durchwintern, wenn die Zugvogel längst ihre Sommer oder vielmehr Winterwohnungen in weiter Ferne bezogen und die Erde mit eisigen Thoren hermetisch verschlossen ist? Wir haben angedeutet, wie es einige anfangen, um durchzukommen, aber damit können wir die unzähligen andern nicht füttern. Wie machen die’s? Sie finden Nahrung in Dingen, die wir noch gar nicht als verdaulich und nährend kennen, aus denen aber der Magen des Vogels mit seiner Lunge, die viel kräftiger athmet und wärmt und eingeführte Stoffe ausbrennt, als wir es mit dem ordentlichen Magen fertig kriegen, noch Nahrung zu ziehen weiß. Wir kennen durchaus noch nicht die Ernährungsfähigkeit aller Körper und Kompositionen der Erde. Wie aus sehr tief aufgegrabenem Lande neue Blumen aufwachsen, wie man sie vorher nie in dieser Gegend sah, so birgt sich in jedem Spaten voll Erde auch Nahrung für schärfer sehende und schärfer mit Verdauungskraft ausgestattete Thiere. Der Strauß versucht sogar, aus verschlungenen Eisenstückchen (einmal sogar aus einer sehr struppigen Schuhbürste, ein anderes Mal aus einem Hobel mit dem Eisen darin) noch etwas zu machen. Er verdaut, was kein Dampfhammer klein kriegt. Man kennt viele Vögel, die Sand und Steine als substantielle Zuthaten zu ihren feineren Speisen ohne Nachtheil in Masse verschlingen, und die chemische Analyse hat in Vogeleingeweiden schon aufgelöste Nahrungssäfte entdeckt, die sich nur auf mineralische Substanzen, auf Erden und Steine, zurückführen ließen. So liegt’s am Ende blos an unserm schwachen Magen, wenn uns Kieselsteine nicht recht bekommen. Humboldt entdeckte in Südamerika eine Sorte Menschen, die den Winter hindurch größtentheils von Lehm- und Thonkugeln schmausen, ohne sich den Magen dabei zu verderben oder sehr mager zu werden. Wenn aber die Vögel, die nicht säen und ernten und nichts in die Scheunen sammeln, so gut durch den Winter kamen, ist’s ein wahrer Skandal für uns Menschen und deren hochweise Einrichtungen und deren gierige Sorgen um Brot und Reichthum, daß so viele hungern und frieren müssen. Manche mögen wohl selbst Schuld sein, öfter liegt’s aber just an den „weisen Einrichtungen“ und väterlichen Fürsorgen.




Allgemeiner Briefkasten.

T. in Z. Die Raumverhältnisse unserer Zeitschrift zwangen uns, hie und da zu kürzen, was Sie wohl freundlichst entschuldigen. Trotzdem überschreitet Ihr neuester Beitrag den festgestellten Umfang noch um 6 Spalten.

L. in B. Sie sind sehr gütig. Nur fünf Ihrer Gedichte wünschen Sie abgedruckt zu sehen, und versprechen uns den glänzendsten Erfolg und vermehrten Absatz unserer Zeitschrift in der Gegend Ihres Wirkens. Sonderbarer Schwärmer!

M. in I. Ihre neuesten Einsendungen sind weniger zur Aufnahme geeignet. Verlassen Sie die alte Richtung nicht.

H. in G. Wir sehen noch immer der Einsendung des versprochenen Nester-Artikels entgegen. Haben Sie Ihr Versprechen schon vergessen?

K. in L. Gewiß haben Sie Recht: es geht unaufhaltsam vorwärts trotz aller Machinationen jener Partei. Aber es gehört viel Muth und Hoffnung dazu, die Geistesverrenkungen dieser „Schleiermacher“’, wie sie der Kladderadatsch sehr richtig nennt, ruhig zu ertragen.



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_644.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2023)