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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Der Morgen fand die Schwestern noch mit verschlungenen Armen und verweinten Augen. Um fünf Uhr stand der Vater schon reisefertig vor ihnen. Eine halbe Stunde später saßen alle drei im Wagen und fuhren aus dem schönen Zürich, um bei Basel wieder die Schweiz zu verlassen und auf dem alten Wege in die Heimat zurückzukehren. Weder dem Herrn Hartmann, noch dem Herrn von Thilo hatten sie von ihrer Abreise eine Nachricht können zukommen lassen.

Aber schon in ihrem ersten Nachtquartiere auf Deutschlands Boden, zu Freiburg im Breisgau, sollten wenigstens die Schwestern erfahren, daß ihre Spur entdeckt und verfolgt sei. Als sie des Abends, den Vater mit einem Fremden im Gespräche über die unglückliche Schweiz an der table d’hôte lassend, in den Gatten des Gasthofes gingen, standen plötzlich beide junge Männer vor ihnen.

„Karl, liebst Du mich so? Du gehst in Dein gewisses Verderben!“

„Ja, so liebe ich Dich!“

„Hartmann, vermögen Sie denn nichts über Ihren Freund?“

„In dieser Sache nichts, theure Charlotte. Er hat sein Wort gegeben.“

„Er ist ein Wahnsinniger!“

„Louise, willst Du mir folgen?“

„Ich kann nicht. Ich kann meinen Vater nicht verlassen.“

„Und ich Dich nicht.“

„Ich beschwöre Dich, Karl!“

„Ich kann nicht anders.“

„Du verdirbst Dich und mich!“

„Bei Gott, ich kann nicht anders.“

„Du bist ein furchtbarer Mensch!“

„Ha, Du liebst mich nicht mehr; das ändert die Sache.“

„Karl, ich sterbe ja ohne Dich!“

„Und ich soll leben ohne Dich?“

Es lag Logik in seinen Worten, wenigstens in der Verzweiflung seiner Leidenschaft. Auch Fräulein Charlotte konnte das nicht verkennen. Aber sie redete ihrer Schwester nicht mehr zu. Keiner wußte einen Rath, und so mußten sie sich trennen.

So reisten sie weiter: der Vater mit seinen beiden Töchtern, und die beiden jungen Männer bald hinter, bald vor ihnen.

Als der Geheimerath von Frankfurt abfuhr, sagte er zu seinen Töchtern:

„Den Rhein von Mainz bis Düsseldorf kennen wir. Er hat auch nur hin und wieder hübsche Parthien, wie ich es schon in Berlin sagte. Dagegen soll es im Nassauischen recht nett sein. Auch ist Kassel keine ganz unebene Stadt. Ich denke, wir schlagen die Route ein.“

Fräulein Charlotte war nicht zweifelhaft darüber, daß der Vater Wiesbaden, Mainz, und überhaupt den besuchteren Rhein vermeiden wollte, wo sein Wiesbadener Abenteuer bekannt geworden sein konnte. Sie sagte aber nichts. Es konnte so auch, indem sie von der großen Straße abwichen, Thilo ihre Spur verlieren. Freilich vermochte sie daran nur mit Beben zu denken; aber der Geächtete war ja unter der Vorsorge eines umsichtigen und entschlossenen Freundes, der vielleicht gar, nachdem die Spur einmal verloren war, ihn zur Rückkehr in die Schweiz bewegen konnte. Die Liebe hatte indeß gewacht.

Der Geheimerath hatte von Frankfurt aus einen Lohnkutscher, genommen. Die Hauderer im lieben Deutschland sind die Eckensteher in Berlin. Sie sind deshalb auch zu Grunde gegangen, wie diese. Auch der Frankfurter Hauderer des Geheimeraths war ein träger Gesell, der viel Geld verdienen, viel trinken, aber wenig fahren wollte. Es war daher später Abend geworden, als er in Königstein ankam, wo Nachtquartier gemacht werden sollte. Er fuhr hier vor dem Gasthofe des Bürgermeisters und Postmeisters, auch Posthalters Heller vor.

Es war viel Bewegung vor und in dem Hause, aber wenig Licht darin; vor dem Hause brannte gar keins, und in dem Gange des Hauses nur eine trübe Oellampe. Man konnte daher von der Bewegung nur mehr hören, als sehen, vor Allem hörte man mehrere Bewaffnete hin- und hergehen.

Der Geheimerath stieg aus. „Können wir hier Zimmer bekommen?“ fragte er Jemanden, der im Dunkeln vor der Hausthür stand.

Der Gefragte war einer der von dem Bürgermeister herbefohlenen Gensd’armen.

„Ich weiß es nicht,“ antwortete der Gensd’arm. „Hier rechts ist die Wirthsstube.“

„Ist denn kein Kellner hier?“

Es meldete sich kein Kellner. Die Bewegung im Hause und die Neugierde mochten ihn anderswo aufgehalten haben.

„Treten wir einstweilen in die Wirthsstube ein,“ sagte der Geheimerath zu seinen Töchtern.

Er öffnete die Thür der Wirthsstube, um als höflicher Vater die Damen zuerst eintreten zu lassen.

Louise wollte eintreten, fiel aber mit einem lauten Schrei zurück in die Arme ihrer Schwester.

„Was ist denn das?“ fragte der Geheimerath.

„Mich dünkt, nichts Unbegreifliches,“ sagte schnell vortretend der fremde Reitersmann. „Diese dicke Wein- und Kneipenluft kann auch weniger zart organisirte Naturen ohnmächtig machen.“

„Ah, Sie da, Herr –?“ rief überrascht der Geheimerath.

Der Fremde hatte schnell den Finger auf den Mund gelegt.

Der Geheimerath beendete seinen Ausruf nicht.

„In der That, eine schlechte Luft da drinnen.“

„Befehlen die Herrschaft Zimmer?“ fragte der Kellner, der unterdeß herbeigekommen war.

„Gewiß.“

„Haben Sie die Güte, mir zu folgen.“

Die Thür der Wirthsstube wurde wieder zugemacht. Der Reiter ging ein paar Mal in der Stube aus und ab. Dann trat er zu dem Polizeidiener, der noch immer steif an der Thüre saß.

„Hier im Hause ist viel Verkehr.“

„Nicht immer,“ sagte der alte Mann mürrisch.

„Auch Extrapostverkehr. Ich sah bei meiner Ankunft zwei Postillone anschirren.“

„Ja.“

„Es wird wohl eine hohe Herrschaft erwartet?“

„Ist mein Dienst nicht; ich bekümmere mich nicht darum.“

„Bei solchem Leben muß der Bürgermeister ein reicher Mann werden. Meinen Sie nicht auch, Herr Polizeidiener?“

„Ich weiß das nicht.“

„Freilich, er verdient das auch. Ein braver Mann. Hat zwölf Jahre als Unteroffizier gedient.“

„Das haben auch andere Leute gethan.“

„Hat sich in den Befreiungskriegen tapfer gehalten, sogar ausgezeichnet.“

„Wissen Sie etwas davon?“ knurrte der Polizeidiener.

„Eigentlich nicht. Das heißt, nicht von ihm. Dagegen habe ich gehört, daß ein anderer Unteroffizier, der gleichfalls hier im Orte wohnen soll, auch zwölf Jahre und gar noch länger gedient hat, daß der in vielen Schlachten sich sehr ausgezeichnet, Wunder der Tapferkeit verrichtet, und eine Menge Orden und Ehrenzeichen erhalten haben –“

„Die er aber nicht tragen darf,“ fiel wüthend der Polizeidiener ein.

„Was? Wer. will ihm das verbieten?“

„Der Bürgermeister, weil der nicht so viele hat.“

„Das ist ja nichtswürdig! Teufel, da fällt mir ein –. Ist es denn wahr, daß dieser nämliche, brave Mann hier nur Polizeidiener sein soll?“

„Ja,“ donnerte fest der Polizeidiener.

„Eine schlechte Versorgung! Hat der Mann vielleicht später etwas verbrochen?“

Der Polizeidiener sprang aus. „Was, Herr? Sie unterstehen sich –“

„Ah, lieber Herr Polizeidiener, Sie sind es wohl selbst?“,

„Ja, ich bin es selbst, und will –“

„Nehmen Sie mir meine Worte nicht übel, lieber, braver, alter Unteroffizier. Ich bin selbst Soldat gewesen, Offizier. Ich habe freilich jene glorreichen Feldzüge nicht mitgemacht, aber um so mehr achte ich jeden alten braven Soldaten aus jener Zeit, und da freut es mich, einen so würdigen Kameraden kennen zu lernen. Wie ist es denn nur gekommen, daß Sie eine so schlechte, und Ihr jetziger Vorgesetzter eine so gute Stelle erhalten hat?“

Der alte Unteroffizier wurde zorniger und knurrte freundlicher.

„Wie das gekommen ist, Herr – Herr –? Sind Sie wirklich Offizier gewesen?“

„So wahr als Sie ein braver Unteroffizier waren. Aber Sie brauchen mir nicht zu antworten, ich kenne solche Geschichten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_647.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)