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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Zu den noch zur Zeit bestehenden Unbehaglichkeiten oder vielmehr Erschwerungen des Reisens in der Schweiz gehört etwas, was im Interesse der zahlreichen Führerschaft zu liegen scheint: der beinahe gänzliche Mangel an Wegweisern auf den eigentlichen, oft sehr schlecht unterhaltenen, Touristen-Pfaden. Mit dessen Beseitigung könnte leicht eine bestimmte Kennzeichnung dieser Pfade verbunden werden, um sie von den zahllosen Senner-Pfaden zu unterscheiden. Ich glaube, daß diese, dem unbemittelten Reisenden sehr dankenswerthen, Einrichtungen den Führern kaum Abbruch thun würden; denn der Reiche nimmt sich dennoch einen Führer, schon um seinen Reisebedarf tragen zu lassen, und der Aermere nimmt auch jetzt keinen, sondern sucht bei seinen Wanderungen in das Fahrwasser einer geführten Karavane zu kommen.

Die Bettelei ist in der Schweiz ein Gegenstand der allgemeinen Klage. Sie tritt einem in den verschiedensten Gestalten entgegen. Unbedingt zu beseitigen ist der unverholene Bettel und sicher von der Mildthätigkeit des Reisenden für ihn ein reichlicherer Zoll zu erheben, wenn in jedem Gasthof frühmorgens bei dem Bezahlen der Rechnung, wobei man in der Regel ganze Schaaren von Abreisenden sich um den Oberkellner drängen sieht, eine amtlich verschlossene Sammelbüchse ausgestellt oder meinetwegen geradezu vorgehalten würde. In diesem Augenblicke gibt jeder gern einige Centimen, und er hat sie dann auch gerade zur Hand. Auf der Wanderung gibt man oft blos deshalb den Armen nichts, weil man entweder keine kleine Münze zur Hand oder die Hände voll Alpenblumen oder Steine hat oder selbst zu bequem und eilig ist, um in der Tasche zu suchen. Ich bin oft von mit einem amtlichen Abzeichen am Hute versehenen Wegearbeitern angebettelt worden, angeblich, aber sicher nicht der Wahrheit gemäß, für die Besserung des Pfades, an dem der Mann eben vielleicht blos zum Schein ein Bischen herumkratzte. Ist die betreffende Gemeinde unvermögend, die Touristenpfade zu unterhalten, so wird jeder Reisende einen in würdiger Form eingeforderten kleinen Beitrag gern zahlen. Am häufigsten erscheint die Bettelei in einer entschuldbaren aber sicher von vielen Touristen nicht begriffener Form. Alle Minuten sieht man ein Kind an einer der Lattenthüren der Umzäunungen stehen, wodurch die Alpmatten nach ihrem Besitze abgegrenzt sind. Dieser Pförtnerzoll ist kaum eine Bettelei, sondern wurde wahrscheinlich blos dadurch nöthig, daß die Touristen diese Thüren offen stehen ließen und dadurch das Weglaufen des Weideviehes veranlaßten.

Das Feilbieten von Alpensträußchen, Früchten, werthlosen Mineralien will ich nicht zur Bettelei rechnen, obgleich das Feilgebotene seinem Werthe nach oft nur als eine Beschönigung des Bettelns erscheint. Aber unwürdig im höchsten Grade ist es, wenn wie z. B. am „Reichenbach“ und am Handeckfall die Zulassung zum Anblick nur gegen ein hohes Eintrittsgeld gestattet und durch unschöne, mindestens störende Vorbaue die Natur geradezu geschändet wird. Allerdings braucht der Besitzer der vor dem mittlen und oberen Reichenbachfall liegenden Alm den Pfad zu ihnen sich nicht als Servitut gefallen zu lassen. Aber dann lasse man ihn an dem Einkommen der in den Wirthshäusern Meiringens, wo man übernachtete, aufgestellten Büchse Antheil haben. Jene drei schmachvollen Bretterbuden, in denen die arme Natur eingesperrt ist, müssen weg! Ich schalte hier eine Stelle aus einem Artikel der Allg. Zeit. ein, welcher vor einigen Wochen über das Bettlerwesen in der Schweiz sprach: „Die widerliche Industrie der Bettlerschaaren, welche der Schweiz bald alle Romantik nehmen und den Fremden das Reisen gründlich verleiden werden, scheint sogar die hohe Protektion einzelner Kantonsbehörden zu genießen. Hier ein Beispiel. Wenn man das Zuger Dampfschiff in Immensee verläßt und den Weg nach Küßnacht einschlägt, so kommt man durch die hohle Gasse, wo bekanntlich Tell den Landvogt Geßler erschossen haben soll. Eine Kapelle, vor zwanzig Jahren restaurirt, steht am Eingange des Hohlweges. Ueber der Thür stellt eine werthlose Freske die Handlung vor; ein schlechter Vers erläutert das Bild. Ehedem war diese tiefe, buchendunkle Gasse mit der einsamen alten Kapelle ein recht geheimnißvoller Winkel, welcher Eindruck auf den empfänglichen Wanderer hervorzubringen geeignet war. Seit aber der Hohlweg aufgefüllt wurde, und die geldgierige Spekulation ein nüchternes, selbst überflüssiges Wirthshaus neben der Kapelle hinkleckste, hat diese Stelle viel von ihrer Romantik verloren. Seit diesem Sommer macht die dort getriebene Bettelindustrie den Platz völlig widerlich. In der Tellskapelle lauert nämlich ein alter Schwyzer, der in gelb und schwarzer Uniform, mit Armbrust und Pfeil bewaffnet, die Reisenden anfällt und mit den Worten begrüßt: „Syd se guet und gänd em alte Wilhelm Tell au es Almuese!“ Macht man ihm Vorwürfe über das Unschickliche der Maskerade, so sagt er keck: „Unseri Herre hän mi g’hieße!“ Sollte dies auch unwahr sein, so viel ist gewiß: die Behörden des Kantons Schwyz kennen diesen Skandal, und dulden ihn trotz der in öffentlichen Blättern wiederholt ausgesprochenen Rüge. Haben die Leute so wenig nationales Ehrgefühl, daß sie die Geschichte ihres Helden auf eine solche Weise lächerlich machen lassen? Es fehlt nur noch, daß dieser Tell den Schiller’schen Monolog einstudirt.“

Die Wirthshaustaxe ziehe ich nicht so unbedingt in das Bereich meiner Klagen, weil ich lieber von der Mitbewerbung als von dem Zwange ein Einschreiten erwarte. Freilich muß die Mitbewerbung sich dann frei bewegen können. Die Gasthäuser sind theuer, aber nicht in dem Grade, wie sie verschrieen sind. Bei den Klagen über theure Wirthshaus-Rechnungen in der Schweiz muß man billig in Anschlag bringen, daß gewiß viele jener Wirthe außer der kurzen Reisezeit, die durchschnittlich kaum mehr als drei Monate dauert, kaum einen anderen lohnenden Erwerb haben mögen. Eigentlich übervortheilt bin ich nur einmal worden, und zwar in einer sogenannten Pension in Interlaken. Diese Pensionen muß man meiden, wenn man nicht geradehin einige Tage ruhig liegen bleiben will. Man zahlt nämlich daselbst eine bestimmte Tagessumme und hat dafür Zimmer, Frühstück, Mittag- und Abendessen. Macht man während der Tage, daß man in einer Pension wohnt, Ausflüge, so zahlt man, wie billig, auch das Versäumte. So ging mir es und ich hätte mich nicht zu beklagen, wenn die Pension sich nicht auch zugleich als Hotel ankündigte. Es hatte den Leutchen gefallen, mich gegen meinen Willen als Pensionär zu behandeln. Die Pensions machen auf diese Weise jedenfalls die besten Geschäfte.

Ich bin weit entfernt, die Gartenlaube zu einer diplomatischen Note hinaufschrauben zu wollen, aber ein Schweizer, auf den seine Landsleute mit Recht stolz sind, hat die Novelle geschrieben: „Kleine Ursachen, große Wirkungen.“ Nützen meine Bemerkungen nichts, so schaden sie auch nichts und dabei bleibe ich: das Schweizreisen hat für die Eidgenossenschaft eine höchst bedeutungsvolle internationale Seite.




Die Leichenverbrennung.


In der Auffassungsweise der Naturwissenschaft sind die meisten üblichen Bestattungsweisen nichts anderes als Leichenverbrennungen. Denn gleichviel, ob die Leiber in der Erde unserer Kirchhöfe vermodern, oder auf offenen Schlachtfeldern verwesen, oder im Wasser verfaulen, oder im Organismus der Land- und Seeraubthiere (vom Haifisch abwärts bis zur kleinsten Fliegenmade oder Infusorienmonade) verdaut werden; immer ist der Hergang nach chemischer Ansicht derselbe, nämlich Aufzehrung der verbrennbaren (oxydirbaren) Körperbestandtheile durch den Luftsauerstoff, Verwandlung derselben in mehr oder weniger flüchtige, daher entweichende Kohlen- und Stickstoffverbindungen, und endliches Zurückbleiben der unverbrennbaren Bestandtheile, der sogenannten Asche. Und diesen Hergang nennt eben der Chemiker Verbrennung; wobei er die langsame und ohne Feuerentwickelung vor sich gehende, von der raschen, mit Erglühen des Brennstoffes (Feuer-) auch wohl Entweichen brennender Gase verbundenen (Flammenverbrennung) unterscheidet.

Wenden wir uns zur Leichenverbrennung im engeren Sinne, d. h. durch Feuer und Flamme, so lehrt uns zuvörderst die Geschichte, daß diese Bestattungsweise in allen Zonen und zu allen Zeiten geübt wurde und noch wird. Wir verweisen alle, eine ausführlichere Belehrung darüber Bedürftige auf das vor Kurzem erschienene fleißige Buch vom Oberstabsarzt Dr. Trusen:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 668. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_668.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)