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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Herrn Müller’s Sylvesterabend.
Erstes Kapitel.

Einige wenige Tage vor dem Weihnachtsfeste des Jahres 1757 – also gerade vor hundert Jahren – hatte Herr Müller, einer der wohlhabendsten Kaufleute und Hausbesitzer der guten Stadt Leipzig, zusammengerechnet, wie viel ihm seine Häuser in dem nun bald abgelaufenen Quartale an Miethzinsen einbringen würden. Es war ein ganz artiges Sümmchen, denn außer dem schönen großen Hause in der Reichsstraße, in welchem er sein Geschäft hatte und selbst wohnte, hatte er auch noch eine ganze Reihe Häuser auf der damals sogenannten Bettelgasse – jetzt, mit Respekt zu sagen, Johannesgasse benamset – angekauft, in welchen freilich lauter arme Leute wohnten, von denen er aber den Zins gewöhnlich in eigener hoher Person mit der rücksichtslosesten Strenge einzutreiben wußte.

Herr Müller war, wie wir schon angedeutet haben, mit dem Resultate seiner Berechnung sehr wohl zufrieden. Es war schon über zehn Uhr Abends, als er noch so beschäftigt in seinem einsamen Zimmer saß und als er die Rathhausglocke halb elf schlagen hörte, dachte er als ordentlicher an ein regelmäßiges Leben gewöhnter Mann, es sei nun wohl Zeit, sich zur Ruhe zu begeben.

Er sank von dem Gedanken an seinen immer höher steigenden Wohlstand sanft eingewiegt, in einen so behäbigen Schlaf, daß er es trotz seiner Liebe zum Gelde sicherlich als eine nicht angenehme Störung betrachtet hätte, wenn er jetzt von einem seiner Miethsleute aufgeweckt worden wäre, um den erst in einigen Tagen fälligen Zins schon heute in Empfang zu nehmen.

Um desto größer war begreiflicherweise seine Entrüstung, als er auf einmal durch ein dicht unter seinem Fenster anhebendes Gedudel und Getrompete aus seinem süßen Schlummer aufgeschreckt ward.

Es herrschte nämlich vor hundert Jahren – und Gott sei Dank, daß es jetzt nicht mehr der Fall ist, denn wir haben an der Meßmusik genug! – in Leipzig wie in vielen andern deutschen Städten die Gewohnheit, daß einzelne sogenannte Musikchöre in den letzten Tagen vor Weihnacht, gewöhnlich in den späten Abendstunden von neun bis elf Uhr, wohlhabenden oder vornehmen Bürgern der Stadt ein „Ständchen“ brachten.

Natürlich wünschten sie dafür belohnt zu werden, denn die Musik war damals in vielen Fällen weiter nichts, als eine andere Form der Bettelei.

Diese Serenaden waren übrigens nicht blos musikalischer, sondern auch deklamatorischer Art, denn nachdem ein oder zwei Stücke gespielt waren, trat ein hierzu besonders befähigtes Mitglied des Musikchors vor, um den gewöhnlich an der Hausthür oder am Fenster erscheinenden Hausherrn mit einer Anrede zu begrüßen, auf welche dann ein auf das Fest bezügliches Gedicht folgte. Nach Beendigung desselben ward gewöhnlich das Geschenk verabreicht, die Musikanten spielten noch ein, oder nach Befinden, wenn die Spende besonders reichlich ausgefallen war, zwei Stücke und trollten sich dann weiter.

Bei dem ersten Geschmetter der gurgelnden Hörner und Trompeten sprang Herr Müller aus dem Bett und riß das Fenster auf.

Da standen sie, die bettelnden Künstler bis an die Knöchel im Schnee und musicirten wacker d’rauf los.

„Ihr nichtswürdigen Kerle!“ schrie Herr Müller, „wollt Ihr Euch fortpacken oder soll ich auf die Polizei schicken und Euch alle einsperren lassen?“

Diese Drohworte waren keine aus der Luft gegriffenen, denn schon im vorigen Jahre hatte der wohlweise Magistrat, eben auf Ansuchen einiger ähnlicher reichen Isegrimme, wie unser Freund Müller war, dieses nächtliche Musiciren untersagt und wenn man es auch noch stillschweigend duldete, so war doch keinem Zweifel unterworfen, daß die armen Teufel sofort bei den Ohren genommen werden würden, sobald eine Beschwerde über diesen noch fortdauernden Unfug einliefe.

Hätten daher die Musikanten Herrn Müller’s Drohung sogleich verstanden, so würden sie mit ihrer Musik wohl kaum über die ersten Takte hinausgekommen sein. Aber ihre gellenden Instrumente übertäubten die Stimme des so unsanft aus seinem Schlafe geweckten reichen Mannes und da sich über seinem Fenster noch ohnehin ein sogenanntes tief herabgehendes Wetterdach befand, so sahen sie ihn anfangs gar nicht gleich. In der rauhen kalten Nachtluft aber im bloßen Hemd am offenen Fenster stehen und sich von einer elenden Musikantenbande Trotz bieten lassen zu müssen – das war in der That nicht zum Aushalten.

„Wollt Ihr Euch gleich packen, daß Ihr fortkommt?“ schrie er. „Wart’ – Euch will ich’s eintränken!“

Und er tastete in dem finstern Zimmer nach einer Wurfwaffe umher, fand aber keine. Das machte ihn noch wüthender und gern wäre er hinunter in den Hof geeilt, um den Kettenhund loszumachen und mit diesem die ungebetenen Gäste fortzuhetzen, aber dann hätte er sich doch erst müssen anziehen. Hastig scharrte er nun den draußen auf dem Fenstergesims liegenden Schnee zusammen, ballte ihn hart und fest und warf damit nach den Musicirenden, aber zu hoch, so daß der Ball unschädlich an das gegenüberstehende Haus anflog. Seine Wuth stieg nun so hoch, daß er für den Augenblick sogar seine angeborene Liebe zu seinem Besitzthum vergaß, nach seinem Waschtische lief und ein Stück Seife, eine Bürste,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_689.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)