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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

ein Barbierbecken, einen Streichriemen und zuletzt, um vollständig Bresche zu schießen, einen wuchtigen Stiefelknecht in rascher Folge unter das Belagerungskorps hineinschleuderte.

Ein so wohlgezieltes und wohlunterhaltenes Feuer mußte die Tonbatterien des Feindes bald zum Schweigen bringen. Die Instrumente verstummten und die Musikanten blickten nach dem Fenster auf.

„Ihr sollt Euch fortpacken, Ihr Kerle! Hört Ihr nicht?“ schrie Herr Müller, indem er sich so weit als möglich aus dem Fenster neigte.

Noch wollten die erschreckten Künstler nicht gehen und der Sprecher und Direktor der Gesellschaft fand es vielmehr angemessen, erst sein Heil mit der wohleinstudirten Anrede zu versuchen.

„Altem löblichen Gebrauche zufolge,“ begann er vortretend, indem er zugleich seine Querpfeife wie einen Marschallstab in die Höhe hob, „haben wir, Ihre gehorsamsten Diener, in dieser fröhlichen festlichen Zeit des Jahres uns die Freiheit genommen, Ihnen unsere musikalische Aufwartung zu machen und Sie zu bitten, uns zu erlauben, Ihnen das neue Gedicht über die Freude der Schäfer von Bethlehem vorzutragen. Getrieben von dem aufrichtigen Wunsche –“

„Haltet Euer Maul, sage ich!“ schrie Herr Müller wieder. „Ihr seid Lämmermann, der verdorbene Schustergesell, der nicht Sitzefleisch genug hatte, um bei seiner Profession zu bleiben und nun mit seiner Querpfeife und seinen einfältigen Gedichten die Leute anbettelt. Wenn Ihr Euch nicht augenblicklich fortpackt, so hole ich die Polizei und dann könnt Ihr die Feiertage über im Hundeloche stecken.“

Der arme Lämmermann strich vor dieser Drohung, deren inhaltschwere Bedeutung er wohl kannte, sofort die Segel und schlich sich davon, während seine Collegen ihm folgten.

Herr Müller kroch vor Frost schaudernd wieder in sein Bett, wo er noch eine Zeit lang wach lag, ehe er wieder einschlafen konnte.

Am andern Morgen erwachte Herr Müller noch vor Tagesanbruch, aber seine Tochter Barbara war noch früher auf als er.

Sie war bereits seit ein paar Stunden mit ihrer alten Dienstmagd Margarethe beschäftigt, die Wohnzimmer zu säubern und denselben hier und da durch Aufstecken einiger grünen Tannenreiser ein weihnachtliches Ansehen zu geben. Im Ofen prasselte ein lustiges Feuer und das Frühstück stand auf dem Tische, als ihr Vater eintrat.

„Dich haben die Musikanten wohl auch aus dem Schlafe geweckt, Barbara?“ fragte Herr Müller.

„Nein, Vater,“ sagte Barbara; „ich war mit Fleiß aufgeblieben, um sie zu hören und es that mir Leid, daß Du sie wieder fortjagtest. Ich wußte, daß sie kommen würden; Lämmermann hat ein neues Gedicht gelernt, welches Friedrich verfaßt hat.“

„Friedrich thäte besser, wenn er sich um seine Schule bekümmerte,“ sagte Herr Müller. „Seine neumodische Lehrmethode will ohnedies vielen Bürgern, die ihre Kinder zu ihm schicken, nicht recht zusagen.“

Barbara ward, ohne daß ihr Vater etwas davon bemerkte, feuerroth und machte sich, um ihre Verlegenheit zu verbergen, mit dem Ofen zu schaffen.

„Ich habe heute viel Gänge zu gehen, Barbara,“ sagte der Alte, „und werde wahrscheinlich vor Abend nicht wiederkommen.“

Barbara hörte ihn kaum, bis er sie bat, ihm seinen Mantel umzugeben.

„Na, sei nur gut,“ sagte er, indem er sie noch auf der Schwelle küßte. „Siehe zu, daß Du mit Deiner Hausarbeit fertig wirst, ehe ich wiederkomme.“ Barbara versprach ihm zu gehorchen.

Herr Müller war diesen Morgen keineswegs auf angenehmer Laune. Als er zur Hausthür heraustrat, fiel sein Blick auf den Streichriemen, den die alte Margarethe, als sie die Wurfgeschosse ihres Herrn hereingeholt, übersehen hatte und dies erinnerte ihn wieder an den Aerger der vorigen Nacht. Die kalte scharfe Morgenluft sagte seiner Stimmung zu und er beschloß zuerst hinaus in die Bettelgasse zu gehen und dort seine Miethzinsen einzukassiren, die er sich von diesen armen Leuten allwöchentlich bezahlen ließ, um nicht eine für sie unerschwingbare Summe zusammenkommen zu lassen. Es war dies ein Geschäft, welches er sehr gern verrichtete, obschon er unabänderlich sagte, es sei ihm im höchsten Grade zuwider.

Als er die Grimmaische Gasse entlang ging, fühlte er sich von dem Anblick der verschiedenen das Weihnachtsfest verkündenden Erscheinungen höchst unangenehm berührt. Alles ärgerte ihn, die an den Fenstern der Victualienhändler aufgeputzten Butterstückchen, die Pfefferkuchen der Bäcker, die hübschen grünen Tannen, das mit Blumen verzierte Fleisch der Metzger – über Alles raisonnirte er, und nannte es Verschwendung und unnöthigen Luxus.

So war er bis dicht an das Grimmaische Thor gelangt und blieb hier vor einem Hause stehen, welches ebenfalls sein gehörte. Er trat hinein und pochte an die Thüre der Parterrewohnung.

„Niemand zu Hause!“ rief er, indem er nochmals und derber anpochte. „Niemand zu Hause? Niemand, wie gewöhnlich; gewisse Leute riechen einen Hauswirth, der nach seinem Zinse kommt, schon von weitem!“

Er bückte sich und guckte durch das Schlüsselloch, da er aber Niemanden sah und selbst auf das lauteste Pochen mit seinem Hakenstocke keine Antwort bekam, so ging er brummend und scheltend die Treppe hinauf.

„Hier auch Niemand da?“ rief er, indem er an dir Thür pochte.

„O ja, Herr Müller, wir sind zu Hause und stehen Ihnen zu Diensten,“ sagte ein hagerer Mann von mittleren Jahren und feinem Anstande, indem er die Thür öffnete. „Bitte, treten Sie ein.“

Das Zimmer war nur dürftig meublirt und das im Ofen brennende Feuer machte sich nicht allzubemerkbar; die Wände aber waren ringsum mit Gemälden behangen und an dem Fenster stand eine Staffelei.

„Sie sind immer pünktlich, Herr Lukas,“ sagte der Hauswirth. „Bei Ihnen kann man darauf rechnen, daß man nicht vergebens geht.“

„O ich weiß, daß die Bezahlung des Miethzinses eine Sache ist, die keinen Aufschub leidet,“ erwiederte der Maler mit Beziehung.

„Ich wollte, es dächten alle Leute so, Herr Lukas,“ sagte Herr Müller, indem er in das ihm vorgelegte Buch quittirte. „Es ist nichts mit solchen großen Häusern, wie dieses, wo man so viele Miethparten hat. Meine kleinen Häuser in der Bettelgasse machen mir nicht halb so viel Schererei.“

„Werden Sie die Auktion besuchen, die gleich nach dem Feste in dem Hause des verstorbenen Dr. Rivinus stattfindet?“ fragte der Maler.

„Ja wohl,“ sagte Herr Müller. „Der alte Dr. Rivinus hatte sehr hübsche Sachen und ich glaube, es wird sich ein Geschäftchen machen lassen.“

„Hier liegt der Katalog,“ äußerte der Maler. „Auf Gemälde werden Sie doch nicht bieten, wie?“

„Auf Gemälde? Das wäre noch besser!“ entgegnete Herr Müller und wunderte sich, wie ihm Jemand zutrauen konnte, daß er für so unnütze Dinge, wie Gemälde, Geld ausgeben werde.

„Nun dann kann ich Ihnen sagen,“ fuhr der Künstler fort, „daß sich unter diesen Sachen ein kleines Bild befindet, welches ich selbst zu erstehen hoffe. Wenn es nicht höher hinaufgetrieben wird, als zwanzig bis fünfundzwanzig Thaler, so kann ich es kaufen. Hier steht es ganz bescheiden in dem Kataloge aufgeführt: Nr. 1123, eine Landschaft.“

„Ich sehe es,“ grunzte Herr Müller.

„Dieses Bild,“ sagte der Maler und erwartete offenbar, daß sein Hauswirth durch seine Mittheilung nicht wenig überrascht werden würde, „dieses Bild, mein guter Herr Müller, ist ein echter Cornelius Schuyt!“

„Wirklich?“ rief Herr Müller, indem er mit gerunzelter Stirn eine andere Seite des Katalogs überblickte.

„Jawohl,“ fuhr der Maler mit steigender Wärme fort. „Es ist eins der anmuthigsten Gebilde, die je aus dem Kopfe und unter den Händen eines Malers hervorgegangen – eine reizende, stille Thalgegend, deren Anblick das Herz erfreut. Nicht um ein Rittergut möchte ich mir dieses Bildchen entgehen lassen.“

„Was Sie nicht sagen!“ entgegnete Herr Müller gleichgültig, indem er fortfuhr, den Katalog zu durchblättern.

„Sie können mir glauben,“ sagte der Maler. „Es ist mir so bange, daß es Jemand anders bekommen könne, daß ich schon mehrere Nächte nicht im Stande gewesen bin, zu schlafen und ich weiß, daß ich nicht eher wieder Ruhe haben werde. Ich muß das Bild bekommen, Herr Müller. Schauen Sie, hier gedenke ich es herzuhängen.“

Herr Müller hob seine Augen mechanisch zu der Stelle empor, welche der Maler an der Wand bezeichnete und fuhr dann fort, in dem Kataloge weiter zu lesen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_690.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)