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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Hier werde ich es aufhängen,“ fuhr der Maler fort, „so daß gleich die ersten Strahlen der Morgensonne darauf ihr Licht werfen. Wie freue ich mich schon darauf, wenn meine Augen beim Erwachen auf dieses Kunstwerk fallen.“

„Auf etwas Anderes werden Sie nicht bieten?“ fragte der Hauswirth.

„Nein,“ antwortete Herr Lukas; „auf dieses Bild werde ich bieten, so lange meine Börse zureicht, aber auf sonst weiter nichts.“

„Dann werden wir auch einander nicht in den Weg kommen,“ sagte Herr Müller, „denn auf Ihren Cornelius Schuyt biete ich nicht acht Groschen. Guten Morgen, Herr Lukas.“

„Guten Morgen, Herr Müller,“ sagte der Künstler, indem er die Thüre schloß und sich wieder an seine Staffelei setzte.

Herr Müller wanderte, während er an die Auktion bei Dr. Rivinus und an die Einkäufe dachte, die er dort würde machen können, seines Weges durch das Grimmaische Thor weiter fort nach der Bettelgasse. Dieselbe bestand damals aus einer doppelten Reihe sogenannter Pfahlbürgerhäuser, die, wie schon der Name bezeichnet, blos aus Lehm und Pfählen erbaut waren, um, weil sie außerhalb der Festungsmauern lagen, in Kriegszeiten, wenn die Stadt bedroht war, mit leichter Mühe weggerissen werden zu können. Es wohnten hier fast durchgängig sehr arme Leute und Herr Müller, dem fast eine ganze Reihe dieser Häuser gehörte, ging mit dem Buche in der Hand von Thür zu Thür und kassirte seinen Wochenzins ein.

„Niemand zu Hause hier?“ rief er, indem er an die Thür des letzten seiner Häuser pochte.

„Oja, ich bin da, Herr Müller,“ rief eine weibliche Stimme. „Ich bin immer zu Hause. Wie sollte man denn mit der Näherei etwas verdienen, wenn man nicht vom frühen Morgen bis in die späte Nacht darüber säße!“

„Nun wie steht’s heute? Ihr habt vor acht Tagen keinen Zins bezahlt und vor vierzehn Tagen auch nicht; das sind nun zusammen drei Wochen – habt Ihr das heute beisammen?“ fragte der Hauswirth.

„Nein, noch nicht ganz,“ sagte die Frau; „mein Mann hat jetzt Stückarbeit, mit welcher er erst nach den Feiertagen fertig wird und wir müssen Sie daher bitten, sich noch acht Tage zu gedulden.“

Herr Müller hätte sich vielleicht bewegen lassen, diese Frist zu bewilligen, unglücklicherweise aber fielen seine Augen auf eine auf der Ofenbank in einer Pfanne liegende ausgeschlachtete fette Gans.

„Also zum Zins habt Ihr kein Geld,“ rief er, „wohl aber zu solchen Prassereien!“

„Prassereien!“ rief die Frau. „Wenn ein paar Leute, die das ganze Jahr kein ordentliches Gericht auf den Tisch bekommen, sich einmal zu Weihnacht eine Gans braten, so wird das wohl keine große Verschwendung sein.“

„Jawohl ist dies Verschwendung,“ entgegnete der Hauswirth. „Ich nenne es Prasserei und Verschwendung und Unehrlichkeit obendrein, so lange Euer Zins noch nicht bezahlt ist.“

„Na, Herr Müller, nehmen Sie den Mund nur nicht gar zu voll. Wir sind Ihnen bis jetzt noch nichts schuldig geblieben und werden Sie auch diesmal bezahlen.“

„Ei, seht doch, meine liebe Graupnerin,“ sagte Herr Müller höhnisch, „Ihr sprecht ja in einem ganz besondern Tone mit einem Manne, der Euch sofort auf die Gasse setzen kann. Wahrscheinlich wollt Ihr mich gar nicht bezahlen und bei Nacht und Nebel Eure Sachen forträumen, damit ich das Nest leer finde, wenn ich nach den Feiertagen wiederkomme, aber dafür wollen wir schon sorgen.“

Heftig die Thür hinter sich zuschlagend, entfernte er sich und schon nach wenigen Stunden erschien ein Gerichtsdiener, welcher die sämmtlichen Habseligkeiten der Graupner’schen Eheleute aufschrieb und erklärte, daß er beauftragt sei, nicht eher aus dem Hause zu gehen, als bis der Miethzins berichtigt sei.

Herr Müller war etwas müde ehe er seine Wohnung wieder erreichte. Die Kaufläden, an denen er jetzt vorüberkam, waren alle bunt aufgeputzt und erleuchtet. Er wünschte in seinem Herzen, daß ihre Besitzer sämmtlich Miethsleute von ihm wären, die ihren Zins nicht bezahlen könnten.

Nicht weit von seiner Hausthür kam er an einem zerlumpten vor Kälte zitternden Weibe vorüber, welches mit nackten Füßen mitten auf der Straße im Schnee stand und ein Weihnachtslied sang, um dadurch von den Vorübergehenden eine milde Gabe zu erbetteln. Ein alter Herr in einer ihm bis auf die Schulter herabfallenden Lockenperrücke ging auf die frierende und singende Bettlerin zu und gab ihr eine kleine Münze. Es war der Magister Zinkelmann, Lehrer an der Thomasschule.

„Herr Magister,“ sagte Müller, indem er den Almosengeber an der Schulter berührte, „wissen Sie, wer dieses Weib ist?“

„Allerdings,“ entgegnen der Magister; „sie heißt Marie Schirmer.“

„Ja, aber wissen Sie auch, daß sie vor einigen Wochen Holz gestohlen hat und wahrscheinlich so eben erst wieder aus dem Gefängniß entlassen worden ist?“ sagte Herr Müller.

„Auch das weiß ich,“ entgegnete der Magister, „aber deswegen kann man sie doch nicht verhungern lassen.“

„Na, wenn solches Gesindel noch unterstützt wird, dann werden die Bürger von Leipzig wohlthun, wenn sie sich noch ein paar Extrariegel an ihre Thüren machen lassen,“ meinte Herr Müller.

„Die arme Frau hat wahrscheinlich nur, von der bittersten Noth getrieben, jenen Holzdiebstahl begangen,“ entgegnete der Magister; „aber wenn sie auch noch zehn Mal mehr gefehlt hätte, als wirklich der Fall ist, so würde ich ihr doch bei dieser kalten Weihnachtszeit ein kleines Geschenk nicht verweigern. Hören Sie mich an, Herr Müller,“ fuhr der Magister fort, „wir sind alte Bekannte und ich kenne Sie besser, als Sie sich selbst kennen. Sie sind nicht glücklich, trotz des vielen Geldes, welches Sie in Ihrem Leben zusammengescharrt haben. Sie sind von jeher mit Ueberlegung und Vorsatz rauh und unfreundlich gegen ihre Mitmenschen gewesen und dafür hat der Himmel Sie gestraft. Sie können den Anblick einer guten That nicht ertragen, weil es Ihrer Natur widerstrebt, selbst eine zu üben. Die heitere Stimmung, welche das fröhliche Weihnachtsfest unter den Menschen verbreitet, berührt Sie unangenehm – nicht weil Sie diese Stimmung verachten, wie Sie zu thun vorgeben, sondern weil Sie in Ihrem innersten Herzen sie mit Ihrer eigenen Abgeschlossenheit und mürrischen Laune vergleichen und beneiden. Von Grunde meines Herzens bemitleide ich Sie und möchte Ihnen helfen, wenn ich könnte, denn Sie haben noch nie die Freude empfunden, andern Menschen eine Freude zu machen. Versuchen Sie es und es wird sich Ihnen eine neue Welt erschließen. Verlassen Sie sich darauf, es ist weit leichter glücklich zu sein, als Sie glauben.“

Nachdem der Magister diese Rede gehalten, setzte er seinen Weg weiter fort und ließ den alten Mann so überrascht durch diese unerwartete Zurechtweisung stehen, daß er gar nicht sogleich Worte der Erwiederung fand.

„Nicht übel,“ grollte er in hämischem Tone, als der Magister schon eine Strecke weit fort war. „Diese Schwarzkittel denken, sie haben das Recht, allen Menschen den Text zu lesen.“

Aber dennoch fühlte Herr Müller die Wahrheit der gehörten Worte und konnte sie nicht wieder vergessen.


Das Weihnachtsfest war in Herrn Müller’s Hause still und einsam vorübergegangen, wie gewöhnlich. Es fehlten nur noch wenige Tage bis zum neuen Jahr. Herr Müller war wieder den ganzen Tag herumgelaufen, um Gelder einzukassiren und andere Geschäfte zu besorgen. Als er unter seinen bereits geschlossenen Fensterläden wegging, vernahm er Stimmen im Zimmer, die er sogleich erkannte.

„Haha,“ murmelte er bei sich selbst, „Friedrich, der Schulmeister, ist schon wieder da und schwatzt mit meiner Tochter. Dem muß ich nun nächstens das Haus verbieten.“

„Ich muß mit meinem Vater darüber sprechen,“ hörte er Barbara mit leiser Stimme sagen, „und wenn er böse auf uns ist, so dürfen Sie mich nicht wieder besuchen.“

„Und was wird er wohl sagen, Barbara?“ fragte der junge Schullehrer im Tone der Besorgniß. „Wird er nicht schmähen, daß ich nicht reich genug sei, um mich um die Hand seiner Tochter bewerben zu können?“

„Das weiß ich nicht,“ antwortete Barbara. „Er sprach neulich von Ihnen und war ärgerlich, weil Sie ein Gedicht für die Weihnachtsmusikanten geschrieben. Wenn Sie mir nur nichts davon gesagt hätten.“

„Ach, Barbara,“ rief Friedrich, „das wird das traurigste Neujahr, welches ich jemals erlebt habe.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_691.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)