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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

das zu ihrer Aufsuchung und Rettung ausgesandt worden war, und sie nach dreijährigem Kampfe mit dem kältesten Entsetzen der Natur wieder in die warme Welt des Lebens und der Liebe zurücknahm.

Die Leiden, welche die Mannschaften auf allen ihren Expeditionen auszustehen hatten, waren entsetzlicher Natur. Rattenfleisch und dito Suppe war längere Zeit eine Delikatesse auf dem Schiffe. Stets auf Eisfeldern, die oft durch tiefe, schauererregende Klüfte getrennt vor ihnen lagen, konnten sie nur mit Lebensgefahr die Schlitten mit den wenigen Habseligkeiten der Reise von einem Ufer zum andern über die steilen Seitenwände hinüberexpediren, während sie selbst mit großer Vorsicht und an einander gebunden dann nachkletterten. Eine Expedition dieser Art zeigt unsere Abbildung. Auf der oben angedeuteten Rückkehr nach der nördlichsten Kolonie Grönlands waren sie nahe daran, dem Hungertode zu erliegen. Während dieser ganzen langen Tour zwischen enorme Eisberge und mächtige Eisschollen hindurch, beschränkte sich ihre tägliche Nahrung pro Mann in der Regel auf sechs Unzen Mehlstaub und einen Klumpen gefrorenen Talg von der Größe einer Wallnuß. Aber selbst diese elenden Rationen hielten nicht lange vor; nach zehn Wochen voll unsäglicher Beschwerden schien der Hungertod unvermeidlich. In dieser Krisis zeigte sich zu ihrer namenlosen Freude ein Seehund; er suchte zu entkommen, aber ihr Leben hing von dem Fange dieses Thieres ab, und mit wildem Geschrei trieben sie ihre Böte ihm nach durch die Eisschollen. „Eine Menge Hände ergriffen den Seehund und trugen ihn auf sichereres Eis hinauf. Die Leute schienen halb wahnsinnig; ich begriff erst jetzt, bis zu welchem Aeußersten der Hunger uns gebracht hatte. Sie liefen über die Scholle, weinend, lachend und ihre Messer schwingend, und ehe fünf Minuten vergangen waren, saugte schon Jeder an seinen blutigen Fingern oder verschlang lange Streifen von rohem Seehundsspeck. Man ließ nicht eine Unze von dem Thiere übrig. Das Eingeweide wurde ohne vorhergängige Reinigung in die Suppenkessel geworfen. Die knorpeligen Theile der Vorderpfoten wurden in der Eile abgeschnitten und zum Kauen herumgereicht, und selbst die Leber hätte man gern, roh und warm wie sie war, verzehrt, ehe sie noch in den Topf kam. In der Nacht wurden auf einer großen, stehenden Eisscholle, auf welche, die Gefahr des Treibens verachtend, wir Glücklichen unsere Böte hinaufgeschleppt hatten, zwei ganze Bohlen „Red Eric“ zu einem großen Kocheuer verwendet, um welches wir einen seltenen und wilden Schmaus hielten.“

Transportirung der Schlitten über Eisklüfte.

Die einundzwanzig Monate lange Gefangenschaft in der Festung des nordischen Königs und Tyrannen, Eis, gab Veranlassung und Gelegenheit zu den originellsten Jagden, Jagden, die sich unsere Jagdberechtigten auf Ebenen, über welche manchmal ein Hase läuft, nicht pachten und privilegiren können, Jagden gegen den Polarbär, den Eisbär, Seehunde, Walrosse, „Narwhals“ oder Seeeinhorns u. s. w. So etwas ist keine Hasenjagd, kein Rebhühnerschießen. Dazu gehört etwas mehr, als ein Privilegium von der Polizei, vor allen Dingen der zwischen ewigem Eise aufgewachsene Eskimo und sein Hund. Kane hatte sich einen jungen Eskimo von neunzehn Jahren engagirt, einen fetten, kaltblütigen, dummen Jungen, der ihnen aber mehr als einmal das Leben rettete, wenigstens als Hundewärter die Hunde, ohne deren Tapferkeit, Stärke und Scharfsinn sie wahrscheinlich alle umgekommen wären. Hans, so hieß der junge Eskimo, den Kane dankbar mit unter seine Illustrationen aufgenommen hat, schoß den Vogel im Fluge mit dem Speere aus der Luft und nahm es zur Noth allein mit jedem Bären auf.

Das Lebensbild von einem Eskimo ist sehr einfach. Er baut sich von eiszerstoßenen Felsenstücken einen inwendig hohlen Haufen, übergießt ihn mit Wasser und läßt ihn vom Himmel mit weißem oder „rothem“ Schnee bedecken. Ein Loch unten zum Aus- und Einkriechen und eins oben, den Rauch vom Feuer hinauszulassen, und seine Häuslichkeit ist fertig. Die Felle der Thiere, die er jagt, sind seine Kleidung, deren Fleisch und Thran seine Nahrung. In Grönland tauscht er sich gegen Seehundsfelle, Rennthierhäute und deren Oele, gegen getrocknete, gesalzene und gepreßte Stockfische, delikate Rennthierzungen u. s. w. Kaffee, Tabak, Spirituosen u. s. w. ein und ist der glücklichste der Sterblichen. Aber unten im Norden, wo kein Handel hinreicht und kein Weg herausführt, ist er in der Regel blos auf seine Hunde, seine Jagd im Wasser und die Ernten daraus angewiesen. Das unentbehrliche Rennthier fehlt ihm, nichts als Fische zu essen und deren Thran zu trinken oder Eis zu kauen, wenn’s ihm zu durstig und zu heiß wird. Letzteres kommt nicht häufig vor. Zuweilen spionirt er einen Bär aus und verfolgt ihn mit seinen Hunden, bis er ihm das Fell abziehen und sich Bärenschinken aus ihm schneiden kann. Regierung ist nicht, Polizei, Abgaben, Militairpflichtigkeit, Bürgerbrief, Jagdzettel,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_698.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)