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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Na flink, Barbara,“ sagte ihr Vater, nachdem sie ihm guten Morgen gewünscht; „wir müssen uns tüchtig rühren, wenn wir unsere Gäste heute Abend anständig empfangen wollen. Ich werde selbst so viel als möglich mit Hand anlegen und habe auch schon nach der alten Schirmer-Marie geschickt, die uns manche Gänge gehen und dies und jenes herholen kann. Ich halte sie für ganz ehrlich, wenn sie auch einmal ein paar Scheite Holz gestohlen hat; wenn sie nicht gefroren hätte, so hätte sie es auch nicht gethan.“

Nach dem Frühstück ging Barbara in den Materialladen, zu dem Fleischer, zu dem Bäcker, zu dem Conditor und anderen dergleichen Lieferanten und machte überall so bedeutende Bestellungen auf den Namen ihres Vaters, daß die Verkäufer sie zwei Mal fragten, um sich zu überzeugen, daß sie recht gehört. Herr Müller suchte aus seiner nicht sehr umfangreichen Bibliothek ein altes Kochbuch hervor und las die Recepte laut vor, während Barbara und Margarethe die Fleischpasteten und Salate zurecht machten.

„Barbara,“ äußerte der Alte, als ob ihm plötzlich wieder etwas einfiele, „Herr von Schönberg sagte, mein altes großes Arbeitszimmer müßte sich ganz gut in einen Gesellschaftssaal umwandeln lassen.“

„Das ist auch wahr,“ entgegnete Barbara. „Daran habe ich gar nicht gedacht. Wir wollen sogleich die Spinneweben abfegen und die Wände mit grünen Tannenreisern ausputzen.“

„Ja, wir wollen einen ganz schönen Tanzsaal daraus machen,“ rief freudig Herr Müller. „Schicke hinüber zu Meister Graul, dem Tapezierer, der mit seinen Gesellen wahrscheinlich schon für dieses Jahr Feierabend gemacht hat. Wenn sie herüber kommen und das alte Zimmer in Stand setzen wollen, so können sie noch heute zum Sylvester ein tüchtiges Stück Geld verdienen.“

„Ja, tanzen müßte es sich ganz herrlich in der alten Stube,“ wiederholte die alte Margarethe, die schon seit zwanzig Jahren auf dem linken Beine hinkte.

„Das wollte ich meinen,“ entgegnete Herr Müller. „Auf der hintern Seite neben meinem Schreibepulte wird eine kleine Erhöhung gebaut, auf welche die Musikanten zu sitzen kommen. Lämmermann und seine Leute sollen spielen, wenn sie nicht schon engagirt sind. Hoffentlich werden sie es mir nicht weiter nachtragen, daß ich sie an jenem Abend so unfreundlich fortwies.“

„Aber wer soll denn tanzen, Vater?“ fragte Barbara.

„Nun vor allen Dingen Friedrich und seine beiden Schwestern, sodann unsere Nachbarskinder von links und rechts und gerade über und außerdem noch eine Menge von Leuten, die ich gleich hernach einladen werde,“ bemerkte er.

Eine Stunde später ging Herr Müller aus, um die Gäste zu seiner Abendgesellschaft einzuladen. Er entschuldigte sich wegen Kürze der Zeit und obschon einige bereits anderweit versprochen waren, so sicherten ihm doch viele ihr Erscheinen zu. Der Fleischer, dessen Waare er nur erst vor einigen Tagen so heruntergemacht, wunderte sich nicht, wenig, als er Auftrag erhielt, einer Anzahl Leute, deren Namen auf einem langen Zettel standen, größere und kleinere Quantitäten Fleisch zuzusenden. Herr Müller vergaß seine Freunde vom vorigen Abend nicht und fand sogar Zeit, noch mehr Gegenstände seines Mitleids aufzusuchen. An diesem einzigen Tage übte er mehr Thaten wahrer Menschenliebe, als jemals zuvor in seinem ganzen Leben.

Meister Graul war mit seiner improvisirten Ausschmückung des alten Waarenlagers noch vor Abend fertig. Die Wände wurden mit Spiegeln behangen und mit vergoldeten Armleuchtern versehen, auf welchen weiße Wachskerzen aus grünen Zweigen hervorlugten. Herr Müller überwachte diese Anstalten mit vollkommener Zufriedenheit und stand eben auf der obersten Sprosse einer Leiter, um noch einige künstliche Blumen an den Leuchterhaltern zu befestigen, als sich die Zimmerthür ein wenig öffnete und ein schöner munterer Jünglingskopf hereinschaute.

„Wunderschön ausgeführt, Herr Müller,“ rief der junge Herr von Schönberg, indem er vollends hereintrat. „Ich freue mich, zu sehen, daß Sie meinen Rath befolgt haben, obschon ich mir, auf Ehre, gar nichts weiter dabei dachte. Ich hatte keine Ahnung, daß ich eine solche Veränderung finden würde. Ich komme eben blos im Vorbeigehen einen Sprung herein, um Ihnen für Ihre Mühe zu danken. Sie haben Ihre Sache ganz herrlich gemacht – die ganze Stadt spricht von Ihnen und dem unbekannten Wohlthäter, der noch hinter Ihnen steckt. Wenn ich Ihnen eine Gefälligkeit erzeugen kann, so stehe ich gern zu Diensten.“

„Wenn Sie mir einen Gefallen thun wollen, mein werther Herr von Schönberg,“ entgegnete dieser, ohne von seiner Leiter herunterzusteigen, „so erzeigen Sie mir die Ehre, durch Ihre werthe Gegenwart die Gesellschaft zu vermehren, die ich heute Abend eingeladen habe. Es gibt Musik und Tanz und daß Sie ein flotter Tänzer sind, das weiß ich schon längst.“

„Ich komme, Herr Müller, mein Wort darauf!“ rief der junge Mann. „Ich wäre ja ein ganz undankbarer Mensch, wenn ich Ihre Einladung nicht annehmen wollte. Sorgen Sie nur hübsch für Tänzerinnen.“

„Ach, der Tausend!“ sagte Herr Müller, als der junge Mann sich wieder entfernt hatte; „ich habe ja ganz vergessen Herrn Lukas, den Maler, einzuladen; da muß ich gleich noch hin.“

Der Maler befand sich allein in seinem Zimmer. Es war schon ziemlich dunkel, aber er hatte noch kein Licht angezündet, sondern saß in einem Winkel und schien eben nicht bei der heitersten Stimmung zu sein.

„Guten Abend, Herr Lukas,“ rief eintretend der Hauswirth; „ich dächte, Sie nähmen von dem alten Jahre nicht eben den freundlichsten Abschied!“

„Guten Abend, Herr Müller,“ entgegnete der Maler; „allerdings bin ich gerade nicht sehr heiter, denn das alte Jahr hat mir noch zu guter Letzt einen Streich gespielt, der mir auch das neue verleidet.“

„Oho!“ rief ersterer, der aber lange wußte, was der Maler meinte; „was ist Ihnen denn passirt?“

„Eine meiner liebsten Hoffnungen ist mir zu Wasser geworden, Herr Müller,“ klagte der Maler. „Ich sagte Ihnen doch von dem Cornelius Schuyt, der niedlichen Landschaft, die heute Morgen in der Auktion bei Dr. Rivinus mit weggegangen ist und die ich so gern gehabt hätte.“

„Nun, haben Sie sie denn nicht bekommen?“ fragte Herr Müller, an welchen das Bild schon im Laufe des Vormittags abgeliefert worden war.

„Nein, ich habe es nicht bekommen. Mehr als fünfundzwanzig Thaler konnte ich nicht bieten, weil ich nicht mehr habe und der Advokat Stempler überbot mich – ein Mensch, der von der Malerei gerade so viel versteht, wie ein Wilder von dem Gebrauche einer Taschenuhr.“

„Na, lasten Sie das nur gut sein,“ tröstete der Alte. „Ich habe für heute Abend eine kleine fidele Gesellschaft zu mir eingeladen, beehren Sie uns ebenfalls mit Ihrem Besuch und ich will Ihnen ein Bild zum Geschenk machen, welches Ihnen eben so gefallen wird, wie Ihr Cornelius Schuyt.“

Der Maler lächelte wehmüthig und schüttelte den Kopf, Herr Müller aber nöthigte ihn so lange, bis er endlich versprach zu kommen.

Schlag sieben Uhr erschien der arme Lämmermann – dessen Anrede und Ständchen an jenem Abend vor Weihnacht auf so unhöfliche Weise unterbrochen worden – mit seinen Leuten in einem so netten Anzuge, daß die alte Margarethe sie für einige der eingeladenen Gäste hielt. Sie nahmen auf der für sie erbauten Erhöhung Platz und begannen ihre Instrumente zu stimmen. Nach und nach fanden sich auch Friedrich und seine Schwestern und die Nachbarsleute von rechts und links und gegenüber ein. Zuletzt kam auch, seinem Versprechen gemäß, der junge Herr von Schönberg, dessen freundliche Erscheinung und heiteres Wesen der allgemeinen freudigen Stimmung einen neuen Impuls gab. Herr Lukas, der Maler, war auch da, schaute aber etwas düster darein. Die arme Schirmer-Marie war von Margarethen mit anständiger Kleidung versehen worden und fungirte als Kellnerin.

Kurz nach acht Uhr war die ganze Gesellschaft beisammen und das Schmausen, Trinken und Tanzen nahm seinen Anfang. Friedrich tanzte mit Barbara sehr oft und es war leicht vorauszusehen, daß sie nächstens zur langen Lebensquadrille miteinander antreten würden. Der junge Herr von Schönberg bot seine ganze aristokratische Liebenswürdigkeit auf, die Gesellschaft zu bezaubern und Herr Müller war unaufhörlich bemüht, die heitere Stimmung seiner Gäste zu erhöhen. Dem guten Lämmermann that er wegen der Unterbrechung an jenem Abend förmlich Abbitte und forderte ihn auf, das von Friedrich verfaßte Gedicht noch nachträglich zu deklamiren, was auch zur höchlichen Erbauung aller Anwesenden geschah.

Nicht lange darauf nahm er den Maler bei Seite und ersuchte ihn, das mit einem Tuche bedeckte auf seinem Schreibepult liegende Gemälde anzusehen, von welchem er gesprochen; und als

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