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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

das zu vertilgen, was vor ihr stand. Sie hatte plötzlich das Bett verlassen können, als ihr Fräulein Theodore den Text gelesen, hatte plötzlich ohne jedwede Hülfeleistung ihre Toilette besorgen und den gemessenen Befehl zu einem Mittagsessen aussprechen können. Zu gleicher Zeit war ihr Wagen aus der Remise geschoben, ihr Kutscher hatte die Pferde angeschirrt und wäre ich eine halbe Stunde später gekommen, so hätte ich das Vergnügen nicht mehr gehabt, sie noch einmal zu sehen.“

Beide Herren machten sich nun auf den Weg. Der Doktor, um diesen Vorfall von der allerlächerlichsten Seite in der Stadt zu verbreiten, der Rath, um von Moorhagen von dem tragikomischen Ende seines Prozesses zu unterrichten. Ohne weitere Begrüßung legte er den Brief Dora’s vor seine Augen, und bedeutete ihn zu lesen.

Richard las und drückte am Schlusse seine Lippen auf den Namen der Schreiberin. Es war eine stumme und warme Huldigung der dankbaren Liebe, und enthielt einen Schwur für künftige Zeiten.

Der Rath lächelte.

„Halten Sie künftighin den Taubenthurm in Ehren,“ sagte er scherzend – „bei der Bösartigkeit und Hartnäckigkeit der Frau Poldine möchte es sonst schwer gewesen sein, ein günstiges Geständniß der wahren Sachlage zu erlangen.“ Dann erzählte er alle die Umstände, welche die beschleunigte Abreise der jungen Dame begleitet hatten, und verließ nun den jungen Mann in der Ueberzeugung, daß er ihm keinen größern Gefallen erweisen könne, als zu gehen, um ihm selbst die Freiheit zu gestatten, „auf Flügeln, der Eile“ zu seinen Verwandten im Landhause zu reiten.


Diesmal hatte der Criminalbeamte richtig combinirt. Richard flog hinaus, wie vor vierundzwanzig Stunden, aber mit welchem Herzen, das verrieth sein glänzender Blick, seine unbewölkte Stirn und das frohe Lächeln seines Mundes.


Richard ging nicht nach Amerika, sondern im Spätsommer mit seiner jungen Frau Dora nach Moorhagen, wo sie das alte Ritterschloß bezogen. Die schöne Gartenvilla steht verödet mit geschlossenen Läden und fest verrammelten Thüren.


Im alten Schlosse aber herrscht Friede und Freude, obwohl des Tages Last und Hitze getragen werden muß und jeder Luxus ganz und gar verbannt bleibt.

Ernst Fritze.



Eine Kriegsrechnung.

In früheren barbarischen Zeiten führte man öfter Krieg, als heut zu Tage, aber auch ganz anders. Unter allen Umständen kämpfte man um und für etwas und hörte nur nach der Entscheidung auf. Die Entscheidung machte eine Partei zum Sieger, die andere zur besiegten. Daraus folgte ganz natürlich, daß erstere bei der letzteren eine Kostenrechnung einreichte, und so lange auf dem Kriegsfuße oder im Lande des Besiegten blieb, bis die Rechnung entweder bezahlt oder gehöriges Pfand u. s. w. gestellt war. Ich glaube, man wird es auch künftig wieder ebenso machen. Nur der sonderbare Krieg der „westlichen Civilisation“ gegen „östliche Barbarei“, wie man das Ding häufig nannte, macht davon eine Ausnahme. Der großartige Kampf zur „Rettung der Türkei“ (offiziell gesprochen) war eine Art Picknick, wo jeder Theilnehmer seine Rechnung selbst bezahlt und respektive aus eigner Tasche zehrt. Es kam zu keiner „Entscheidung“; jede Partei war zugleich besiegt und Sieger, so daß alle „ehrenvoll“ daraus hervorgingen, wie wenigstens die Blätter Palmerston’s und Louis Napoleon’s sich auszudrücken beliebten. Auch wurde der geschlossene Friede ein dauernder, alle Parteien befriedigender genannt.

Man muß es indessen mit den Ausdrücken der Diplomaten nie so genau nehmen, wie wir unter uns. In der That haben die Worte im Munde oder aus der Feder von Diplomaten niemals einen „gemeinen“ Sinn, d. h. nie einen solchen, wie wir gemeinen Leute mit den Worten verbinden. Man sagt in der Diplomatie sehr häufig etwas, was man nicht sagen will, man veröffentlicht Gedanken, um Gedanken zu verbergen. Man sagt „Schwarz“ und meint damit „Weiß“ oder vielmehr irgend eine Farbe, die kein gemeiner Verstand errathen kann. Die Sprache des ehrenvollen, alle Parteien befriedigenden Friedensvertrages gerieth diesmal so räthselhaft, daß sie die Diplomaten selbst nicht mehr verstehen und Jeder eine Auslegung dafür hat, die jeden Andern unzufrieden macht. Was bleibt da Anderes übrig, als noch einmal in Paris zusammen zu kommen, um namentlich den Herren Palmerston u. s. w. ein besseres Verständniß des ehrenvollen, alle Parteien befriedigenden Friedens beizubringen? Bei dieser Gelegenheit können auch die Nichtdiplomaten, welche immer glaubten und hofften, daß England die „gute Sache“ auf seiner Seite habe, und deshalb die englische Sache als die „gute Sache“ liebten, etwas lernen. Schon jetzt steht fest, daß weder die gute Sache, noch die schlechte siegte, weil Jeder „ehrenvoll“ aus dem Kampfe hervorging, und die Kosten dieser Ehre jede Regierung aus den Taschen des damit beehrten Volkes bestritt.

Die Rechnungen sind noch nicht bekannt. Aber merkwürdig ist, daß die französische Regierung die ihrige nicht nur schon längst fertig, sondern auch veröffentlicht hat. Napoleon fragte nicht erst constitutionell, ob er Krieg führen dürfe und Geld dazu kriege. Er nahm vom Mammon und Mann, so viel er für gut hielt, ohne viel zu fragen. Die englische Regierung dagegen ließ sich ordentlich parlamentarisch Geld und Leute bewilligen, und nannte den Krieg „des Volkes Krieg.“ Aber trotz alles Parlamentarismus und aller Schuldigkeit, Rechnung abzulegen, weiß man in England noch nichts von Rechnungen. Rechnung ablegen, ist immer ein Akt, der Anerkennung verdient, sei die Schuld auch noch so groß. Und so erkennen wir diesen Akt der französischen Regierung um so lieber an, als man sonst nicht sehr oft in Versuchung kommt, von ihr mit Anerkennung zu sprechen, und sie alle andern „ehrenvoll aus dem Kriege hervorgegangenen Regierungen“ beschämt.

Der Kriegsminister, Marschall Vaillant, hat also eine vollständige Kriegsrechnung ausgearbeitet und veröffentlicht. Sehen wir uns die Hauptposten einmal an, damit wir uns mit Adam Riese eine Vorstellung von diesem letzten Kriege machen lernen.

Es wurden 309268 Soldaten und 41974 Pferde von Frankreich weit hinten nach der Türkei und nach der Krim über sehr viel Wasser hinweggeschickt. Von dieser ungeheuern Armee starben über 67000 ganz gewiß, mehr als 3000 ungewiß, da man sie blos vermißt, ohne daß man genau weiß, ob und wie sie umgekommen. Von den Pferden kamen 9000 zurück, die englischen starben fast alle im Kampfe mit Hunger und Kälte, eben so die ganze erste Armee. Alle diese Massen von Menschen und Vieh zogen sich aus allen Theilen Frankreichs nach Marseille zusammen und wurden von da aus alle sicher auf’s und über’s Wasser nach dem Kriegsschauplatze geschwemmt. Was das heißen will, davon geben noch andere Zahlen eine Vorstellung. Die Schiffe, welche immerwährend hin- und hereilten, um neues Futter für Pulver zu holen, kamen auch fast stets beladen zurück, beladen mit Verwundeten, Kranken und Krüppeln, für welche an der Südküste Kranken- und Quarantainelager, groß genug, 30000 Mann zu beherbergen, errichtet waren. Von den englischen Kranken kamen wenige zurück, und die Wenigen mußten oft halbe Tage, ganze Tage warten, ehe sie in verschiedenen Winkeln versteckt werden konnten, um da noch zu sterben. Die Menschenverwüstung, welche die englische Aristokratie trieb, ist fast beispiellos in der Geschichte. Für diese 309000 Menschen und 42000 Pferde mußte aber auch Futter hinübergeschifft werden, Lebensmittel, Kleidung, Wohnung, u. s. w. und zwar genug auf zwei und ein halb Jahre, dazu Waffen, Munition, Geschirre, Wagen, Arzneien, Charpie und tausenderlei Dinge, an die wir im Frieden oder selbst in einem gewöhnlichen Kriege auf dem Lande mit Märschen auf der festen Erde gar nicht denken. Waffen? Natürlich hatte jeder Soldat seine Waffen bei sich. Aber auch 644 Kanonen, Haubitzen und Mörser vom Lande und 603 von der Marine und 140 türkische Kanonen wurden hinübergeschafft mit dem nöthigen Futter, dazu 800 Kanonenkarren, über 700 Munitionswagen und sonstige Artilleriefuhrwerke. Diese waren blos für die Belagerung speciell bestimmt. Mit den für offenen Kampf, für Schlachten bestimmten Kanonen stieg die Gesammtzahl der schweren Geschütze Frankreichs auf 1700 mit 4800 Wagen und Werkzeugen auf Rädern aller Art. Die Zahl der Pillen für diese schweren Geschütze sieht auch recht idyllisch aus: zwei Millionen

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