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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Geh’,“ sagte er, seinerseits jetzt drängend, zu der Frau. „Halte Dich nur nicht länger auf, als nöthig.“

Die Frau schien den Gedanken zu errathen, der ihn beschäftigte. Sie sah ihn nicht mehr verächtlich, aber mit einer tiefen Trauer an, und als ihre Augen von ihm zu dem schlafenden Kinde hinüberglitten, füllten sie sich mit Thränen. Sie hauchte einen Kuß auf die Lippen des Kindes und verließ das Zimmer. Wenn sie einen festen Willen hatte, so war sie nicht zugleich sorglos.




Ein trauliches Stübchen des Wirthshauses, hinten nach dem Garten, fern von allem Geräusche der Straße wie des Hauses gelegen, war zu einem Krankenzimmer geworden. Das einzige Fenster war mit einem dichten Vorhange versehen, so daß man sich in einer Art von Halbdunkel befand. In diesem Halbdunkel herrschte die tiefste Stille; man hätte das leiseste Summen einer Mücke hören müssen, wenn solche in dem Zimmer gewesen wäre. Man konnte meinen, nur der Tod sei hier, er sei so eben hier eingekehrt; aber er sei still und sanft eingekehrt, wie der Engel des Todes, und habe Allem, was lebend dagewesen, still und sanft die Augen zugedrückt: so still, so ruhig, und so heimlich war es in dem Stübchen.

Dennoch zeigte das Halbdunkel zwei lebende Wesen. Eine zum Erschrecken blasse und abgemagerte Kranke lag im Bette. Trotz der Blässe und Magerkeit erkannte man ihre Jugend und ihre Schönheit. Man erkannte aber auch, daß Jugend und Schönheit hier unrettbar dem nahesten Tode geweihet waren. Die Augen der Kranken waren geschlossen; der Todesengel hatte sie noch nicht zugedrückt; sie warteten noch auf seinen letzten, stillen, sanften Druck. Sie warteten darauf, die Kranke schlief nicht. Sie war im Gegentheil unruhig. Ihre Augäpfel bewegten sich unter den geschlossenen Lidern; ihre Brust wogte, als wenn sie von erstickender Luft zu voll sei; ihre Lippen schienen vergebens nach erfrischender Luft zu haschen. Zu einer weiteren Bewegung war der unruhige, nicht von dem Kampfe mit dem Tode, aber von der Erwartung des Todes ergriffene Körper zu schwach.

Vor dem Bette zu dem Haupte der Kranken saß ein frisches, blühendes junges Mädchen von achtzehn bis neunzehn Jahren. Das Bild des Lebens und des Todes so unmittelbar beisammen! Das blühende Mädchen achtete mit einer liebenden Sorgfalt auf jede Bewegung der Sterbenden. Eine Schwester hätte nicht liebevoller, nicht achtsamer sein können. Es war die Tochter des Hauses, die der, vor wenigen Tagen krank und elend, allein und hülflos angekommenen Fremden seitdem die Theilnahme und Pflege einer Schwester widmete.

Die Stille der Krankenstube wurde nach einer Weile unterbrochen. Die Kranke war plötzlich ruhiger geworden. Die Augen bewegten sich nicht mehr; die Lippen schlossen sich leise. Ein stiller Friede, eine wie heilige Verklärung schien sich nach und nach über die ganze Gestalt zu ergießen. Das Gesicht bekam eine natürliche Form, bestimmtere Züge zurück; eine feine Röthe zeigte sich sogar, auf den Wangen wie auf den Lippen. Die Kranke schlug die Augen auf, ein paar große, schwarze Augen, glänzend wie von einem himmlischen Glanze. Nahete sich ihr der Todesengel, um den Leib von seinen Leiden zu erlösen, den Geist in die seligen Gefilde des Himmels hinüberzutragen?

Wie schön, wie irdisch und zugleich wie überirdisch schön war diese Sterbende! Die großen glänzenden Augen wandten sich zu der Freundin, die vor dem Bette saß. Der nahe Tod hatte schnell die beiden Herzen befreundet.

(Fortsetzung folgt.)


Land und Leute.
Nr. 7. Die Dithmarschen.
Die Tüchtigkeit der Dithmarschen. – Ein Todtenhemd die Mitgift der Braut. – Dithmarsche Trachten. – Ihre Kost und eine Erinnerung aus dem Jahre 1848. – Das Flachsschwingen. – Eine Einladung. – Die Bestattung der Todten. – Hochzeitsfeierlichkeiten. – Eine Meerschaumpfeife der Verlohnungsring. – Bringt Messer, Gabel und Löffel mit. – Das Abholen der Braut. – Der Brauttanz.

Neben dem Ausflusse der Elbe in die Nordsee liegt ein Ländchen, winzig zwar in Betreff seiner Ausdehnung, denn es ist kaum sieben Meilen lang und drei bis vier Meilen breit, doch bedeutsam durch die Geschichte seines Volkes. Die alten Dithmarschen, nach den meisten Geschichtsforschern dem sächsischen Stamm entsprossen, eigenthümlich, einfach, ritterlich und frei,

„friske, riske, starke Degen,
de ehr Hoved in die Wolken dregen,“

wie der alte Chronist Neocorus singt, waren nach Maßgabe ihres Charakters und ihrer Thaten mit den hochherzigen Bewohnern jenes Alpenlandes wie aus einem Holz geschnitten, doch in den Erfolgen ihrer Freiheitskämpfe einzig wegen der Ermangelung äußerer und natürlicher Schutzmittel minder glücklich. Die ungewöhnlich reichen und mit seltsamer Treue bewahrten Traditionen aus Dithmarschens Vorzeit, welche dem Forscher eine reiche Fundgrube eröffnen, sind daher im Allgemeinen eben so interessant, wie im Besonderen für alle jüngeren Generationen begeisternd und anregend.

Die ganze Elb- und Nordseeküste Dithmarschens bildet einen ungemein fruchtbaren Marschgürtel von nicht ganz unbeträchtlicher Breite, den man theilweise im Lauf von Jahrhunderten dem Meere mag abgewonnen haben, und dessen gegenwärtige Bewohner im Allgemeinen unter dem Einfluß der in den letzten Decennien so bedeutend gesteigerten Konjunkturverhältnisse eines hervorragenden Wohlstandes sich erfreuen.

Die Dithmarscher Gestbewohner, die wir von jetzt an schlechthin Dithmarschen nennen wollen, sind unverdrossen bemüht, den Kulturzustand ihres von Natur minder erzeugungsfähigen Bodens zu heben, und es werden von den immer noch in größerer oder geringerer Ausdehnung vorhandenen unurbaren Heideflächen fortwährend neue Felder eingehägt und mit fleißiger Hand in recht fruchtbare Aecker umgewandelt. Was aber dennoch im Vergleich zu jenen sehr bevorzugten Marschgegenden die Natur in Betreff des Landertrags hier versagt, das ersetzt wieder in reichlichem Maße die allgemein vorherrschende Einfachheit und Sparsamkeit, indem die Produkte der Heimath in ihrer Mannigfaltigkeit meistens ausreichen zur Befriedigung der täglichen Lebensbedürfnisse. Flachs, Hanf und Wolle bieten der ländlichen Industrie fast Material genug zur Anfertigung verschiedenartiger Kleidungsstoffe für den minder gang- als geschmacklosen Anzug, der in seiner Eigenthümlichkeit in geringem Grade dem Wandel der Mode unterworfen ist und der selbst da, wo er in seltneren Fällen aus den Vorräthen der Kaufläden completirt wird, von dem Herkömmlichen wenig einbüßt. Wo die Vermögensverhältnisse es irgend gestatten, da wirkt und schafft die Wirthin des Hauses Jahr ein und Jahr aus, daß die Vorräthe an selbstverfertigten – in der hier gangbaren niederdeutschen oder plattdeutschen Mundart „egenreedten“ – Stoffen für alle und selbst für etwa unvorhergesehene Bedürfnisse der Familie ausreichen, und wie weit in dieser Beziehung die Fürsorge geht, das wird zur Genüge einleuchten, wenn wir bemerken, daß in möglichen Fällen der Landessitte gemäß ein Todtenhemd der Mitgift der Braut nicht mangeln darf.

Die älteren Männer vorzugsweise tragen kurze und enganschließende Beinkleider, die oben unterhalb des Kniees mittelst silberner Spangen geschlossen sind, und wenn dabei nicht Schuhe, so doch Stiefel, die nicht zu hoch sind, um die meistens hellblauen Wollstrümpfe ganz zu bedecken. Eine gewöhnliche Tracht daneben ist eine kurze Jacke, welche die ganze Naturwüchsigkeit der in der Regel sehr kräftigen Figuren unverhüllt zur Schau stellt. Der Rock dagegen, dessen Schöpfer in weiser Selbstgefälligkeit die moderneren Façons neuerer Zeit fast für Gespenster halten mag, erscheint nur in Galla. Denken wir uns endlich noch einen breitkrämpigen schwarzen Filzhut hinzu, dessen Rand an drei Seiten aufgebunden ist, „Pustdelamphoot“ (Pust de Lamp ut – Blas’ die Lampe aus –), so haben wir das vollständige Bild eines alten Dithmarscher Bauern vor uns. Etwas abweichend von dieser Tracht erscheint die der jüngern Bauern und der Burschen, indem letztere meistens schon mit langen Beinkleidern und als Kopfbedeckung mit Mützen bekleidet sind. Die Frauen dagegen tragen tief auf der Brust und auf dem Rücken ausgeschnittene Jacken, lange und breitgestreifte wollene Röcke und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_004.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)