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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

kommen sie hinan – der Wind schlägt auf und sie wittern nicht die Gefahr, der sie sich nahen. Prachtvoll sieht es dabei aus, wie die dunklen, schlanken Thiere an den lichtgrauen Steinwänden hin und aufwärts setzen. Jetzt bleibt die Leitgeis auf einer vorspringenden Zacke mit dicht zusammengeschobenen Füßen stehen und sichert umher – aber nicht lange braucht sie nach der vermutheten Gefahr zu suchen – der Treiber dort oben auf dem nackten Joch schwenkt den Hut nach ihnen hinüber, seine ganze Gestalt zeichnet sich ihnen scharf und rein gegen den blauen Himmel ab, und fort stürmen sie wieder, geschützteren Platz zu erreichen, und aus so gefährlicher Nähe zu kommen – die armen Dinger.

Jetzt setzen sie die Schlucht hinauf, an dessen oberem Ende der Jäger steht – kaum funfzig Schritt an ihm vorbei springt das Leitthier – hält einen Augenblick auf dem Kamm, sieht den neuen Feind, thut einen scharfen Pfiff und verschwindet auf der anderen Seite des Jochs – Und kein Schuß? – noch eine Gems und noch eine folgen ihr und jetzt – eine kleine blaue Wolke steigt hinter dem Felsen auf – jetzt noch eine, und zwei Gemsen sind schon lange zusammengeknickt und von der steilen Höhe niedergerollt, als der dumpfe Knall der Büchse sich erst donnernd an den Wänden bricht und in das Thal seine Schallwellen niederwälzt. – Wie die übrigen Thiere stutzen und schrecken – aber die Leitgeis ist voraus, der müssen sie folgen, und nach drängt deshalb, trotz dem Schuß, der ganze Trupp, nur einen scheuen Bogen um die gestürzten Kameraden beschreibend.

Wieder steigt in zwei kurzen Stößen der blaue drohende Dampf empor, und wieder taumelt eine Gemse. Wild vorbei stürmen die entsetzten Thiere. Aber noch ist der Donner nicht verhallt, als auf’s Neue die tödtliche Kugel ihr Opfer sucht.

Sechs Mal hat es aus den drei Doppelbüchsen gesprochen und drei Gemsen liegen verendet auf dem Platze und schwer verwundet schleppten sich zwei andere noch über das Joch hinüber, davon eine der Hund nach kurzer Suche in einem Laatschenbusche antrifft und niederreißt. Die andere ward später verendet gefunden.

Die übrigen Rudel brechen zwischen den Treibern durch, und nur der eine alte Bock ist halsstarrig in seinem wohlversteckten Platz stehen geblieben, bis die Jäger ihn längst passirt haben. Dann drehte er sich um und verschwindet plötzlich in einer der zahlreichen Spalten, wie in die Wand hinein.

Und nun der fröhliche Heimzug von der Jagd! Rasch versammeln sich die Jäger, guter Dinge, daß der mühselige „Trieb“ gelungen; brechen das erlegte Wild auf und werfen es aus, thun sorgfältig das gesammelte Feist wieder hinein, packen die Gemsen in ihre Bergsäcke und heimwärts geht es jetzt, am Rücken des Jochs auf einem ziemlich guten Pirschwege hin.

Viele Menschen, besonders die Flachlandleute, glauben daß es viel bequemer sei, einen Berg hinab, als ihn hinaufzusteigen. Bei nicht zu steilen Hängen und auf kurze Strecken, oder in dem kleinen lockeren Geröll der Reißen auf die ich noch später zu sprechen komme, mögen sie auch recht haben. Wer aber den ganzen Tag in den Alpen herumgeklettert ist, und mit müden Knieen dann Abends noch auf dem Heimweg die steilen Hänge, die er den Tag mit Mühe und sauerem Schweiß erklommen, wieder hinab muß, der weiß, was es zu sagen hat, das Niedersteigen.

Schneller geht’s jedenfalls, als bergauf; die Brust ist nicht so eingezwängt dabei, und hat freieren Athem. Die Glieder brauchen den Körper nicht fortwährend zu heben, sondern geben nur dem Druck von oben nach. Wenn aber die Knie besonders vom Steigen angegriffen sind, und müssen nun einen steilen Hang auf Stundenweite hinab, dann staucht das doch gar bös, und man würde viel lieber noch einmal dieselbe Strecke aufsteigen als hinab.

Auch gefährlicher ist der Niedergang an steilen oder „schiechen“ Stellen. Aufwärts hat man weit eher festen Halt. Die Fußspitzen sind vorn, man sieht den Fels dicht vor sich, an dem man aufklettert, sieht jeden kleinen Vorsprung, den man benutzen kann – versucht hie und da die beste Stelle und rückt, wenn auch langsam, sicherer empor. Anders ist das beim Niedersteigen, wo der Blick die Tiefe suchen muß, den nächsten Anhalt für den Fuß zu finden. Der Hacken ist dabei lange nicht so biegsam als die Fußspitze, und ruht der Körper auf ihm und gibt dann der Stein, auf dem er rastet, nach, dann kann die Hand nur in seltenen Fällen helfen stützen, und vor dem Sturz bewahren.

So mühselig es z. B. sein mag, in den Krummholzkiefern aufwärts zu klettern, wo uns die langen stachligen Zweige alle entgegendrücken, so wenig gefährlich ist es dabei. Abwärts dagegen, wo man in dem dichten Gestrüpp, das nur die grüne Decke bildet, nicht sehen kann, was darunter liegt, ist man stets der Gefahr ausgesetzt in irgend eine senkrechte Wand, über die sich diese Büsche nur zu gern hinüberhängen, einzugleiten.

Ist der Boden gebrochen, mit großen Steinen oder Wurzeln bedeckt, und nicht zu glatt und abschüssig, so geht es noch eher. Auch von nicht zu steilen Lannen läuft man ziemlich rasch hinab. In dem Fall ist dann der Bergstock die beste Stütze des Jägers. Aber nur nicht voraus darf man ihn einstemmen, denn rutschte er ab, wäre es um den Mann geschehen. Wagerecht hält ihn der Kletternde deshalb in der Hand, die Spitze an die Wand zurückgedrückt, die eine vorn am äußersten Ende untergehalten, die andere etwa in der Mitte aufgestemmt, das Gewicht des Körpers darauf vom Abgrund fortzulehnen. Der Stock dient solcher Art als Hemmschuh, der mit dem Stachel in den Boden reißt und selbst bei etwaigem Ausgleiten des Fußes den Körper immer noch zu halten vermag.

Am leichtesten und schnellsten läuft sich’s die sogenannten Reißen hinab.

Diese „Reißen“ sind weiter Nichts als Geröll; von steilen Wänden losgebröckeltes Gestein, das in’s Thal hinabgeworfen, sich in den Jahrhunderten höher und höher gethürmt hat. Die meisten derselben sind nicht übermäßig steil, da sie sich eben nur dadurch vergrößern, daß die abfallenden Massen auf ihnen eine Strecke niederrollen und, wenn ihr ärgster Fall gebrochen, liegen bleiben. Zum Theil bestehen sie dabei aus riesigen Felsbrocken, die entweder durch ihr eigenes Gewicht losgebrochen, oder durch eine Lawine zu Thal gerissen wurden. Was aber auch die Unterlage bildet, obenauf sind die meisten von ihnen mit klarem kleinen Steinzeug bedeckt, das dem darauf tretenden Fuß weicht und ein Aufsteigen wohl nicht gefährlich, aber entsetzlich beschwerlich macht. Bei jedem Schritt aufwärts rutscht man wieder fast ebensoweit zurück; kein fester Punkt bietet den sich immer nur mit aller Kraft einhakenden Sohlen sicheren Halt. Hinunter geht es aber dafür desto leichter, und auf einer steilen klaren Reißen braucht man kaum selbst den Stock zur Stütze. Bei jedem Schritt weicht das Geröll mit dem Fuß, und läßt den Körper oft seine ganze Länge tiefer gleiten. Ihm nach poltern allerdings die Steine, und rutscht oft das ganze Geschiebe nach, aber was thut’s – kommt es zu arg, so braucht man nur mit ein paar Sprüngen seitwärts auszuweichen, und ich habe solche Niederfahrt auf klarem Geröll immer nur mit dem Gefühl des Schlittschuhlaufens vergleichen können. In zehn Minuten legt man dabei oft eine Strecke bergab zurück, zu der man auf demselben Terrain stundenlang gebrauchen würde, sie bergauf zu steigen.

Doch was sind alle die Beschwerden und selbst Gefahren in dem einen seligen Gefühl der Jagd.

Ihr Tagewerk war wahrlich kein leichtes, und wer ihnen zusieht, wie sie an den steilen Wänden hinlaufen, oft über Abgründen hangen, wo der geringste falsche Tritt sie rettungslos in die Tiefe schickt – jetzt im Schweiße ihres Angesichts durch ein Laatschendickicht arbeiten, jetzt über das Geröll einer Reißen springen, und immer munter, immer vergnügt dabei, der muß die Leute wahrlich bewundern.

Und trotz den oft furchtbaren, immer höchst mühseligen Wegen, die sie zu steigen haben, achten sie nicht blos auf ihren schmalen Pfad, nicht blos auf das Wild, auf das sie losgehn sollen. Nein, ihr Auge späht dabei noch, sorglos um die Gefahr, die sie umgibt, nach dem spärlich, und nur an den rauhsten, wildesten Stellen wachsenden Edelweiß, nach einer einzelnen, vom Sommer übrig gebliebenen Scabiosa, nach einem tiefblauen Enzian oder einer, in dieser Jahreszeit sehr seltenen Alpenrose, mit diesen Blüthen, neben Spielhahnfedern und Gemsbart, den Hut zu schmücken.

Der Bruch von einer Laatsche an Mütze oder Hut ist dann das Siegeszeichen der gelungenen Jagd, und das Behagen erreicht den höchsten Grad, wenn Abends die erlegten Gemsen am Pirschhaus, mit den Krickeln oben am Dach eingehakt werden, und nun zur Zierde, als eben soviel wohlerworbene Trophäen, dort über Nacht hängen bleiben.

So verfliegt der Tag draußen in den Bergen – man weiß wahrhaftig manchmal gar nicht, wo er hingekommen, und der Abend dann, am lodernden Kamin, vergeht noch schneller fast. Recht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_015.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2020)