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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)


Briefwechsel.

K. L. in W. Ihre Frage gehört nicht in das Territorium der Gartenlaube und kann deshalb auch nicht in der gewünschten Weise beantwortet werden. Jedenfalls sind Sie in Ihrem Urtheile über jene „leichtsinnigen Kinder der Pariser Dachstuben“ zu streng. Es liegt mir durchaus fern als Vertheidiger des Grisettenlebens aufzutreten und ich möchte dies am allerwenigsten in unserm Familienblatte, das für solche Dinge keinen Raum hat, wo aber Erziehung und Sitte so sehr und fast entschuldigend mitsprechen, sollte man den Stein nicht auf jene Wesen werfen, die kaum ihre Schuld kennen. In den Geld- und aristokratischen Kreisen Frankreichs und leider auch Deutschlands ist mehr Sittenlosigkeit zu finden als dort. Und in den meisten Fällen lieben diese „Kinder des Tages“ doch mit einer Wahrheit und Innigkeit, die an das Rührende grenzt. Ein französischer Schriftsteller erzählt uns ein reizendes Geschichtchen von einer Grisette, die mit einem Blumentopfe zu einem Künstler kommt und ihn zu lieben und bei ihm zu bleiben verspricht, so lange bis die Blume welke. Die Kleine aber liebt den Künstler mehr als sie selber glaubt, oder sie lernt ihn vermehrt lieben, denn der Letztere bemerkt, wie sie Nachts sich verstohlen vom Lager erhebt und ungesehen die Blume begießt, um sie vor dem Verwelken zu schützen. Und als die Blume endlich doch anfängt zu welken und die Blätter zu senken, da bittet sie den Künstler mit Thränen im Auge und faltet die Hände so bittend schön, er möge ihr die Blume ihres Glückes malen in voller Schönheit und Blüthe, damit sie ihn immer und mit jedem Tage wieder lieben und an ihn denken könne, auch wenn er sie lange vergessen, daß der Künstler das „leichtsinnige Kind“ gerührt an sein Herz zieht und ihr die Blume malt, glänzend und schön wie am ersten Tage ihrer Liebe. Im Boudoir einer glücklichen Gattin aber hängt jetzt noch die gemalte Blume der Liebe, und mit jedem Morgen schmückt das glückliche Weib in immer neuerwachender Liebe die todte Blume mit den lebenden ihres Gartens – ein Bild des reinsten innigsten Eheglückes! Und es war doch eben auch nur „eine Grisette.“

W–s in H–d. Bitte wiederholt darauf zu achten, daß die Gartenlaube von aller Polemik in religiösen und kirchlichen Dingen durchaus absieht. Wir haben das von vornherein erklärt und sind diesem Princip während der verflossenen 4 Jahre auch stets treu nachgekommen. Uebrigens können wir der, in Ihrer Zuschrift ausgesprochenen Meinung nicht beistimmen. So lange die Kanonen Guttenberg’s nicht wieder eingeschmolzen werden, ist an die Verwirklichung Ihrer Befürchtungen nicht zu denken; am allerwenigsten hat der Mysticismus in Deutschland eine Zukunft.

Mtz. in Bremen. Wir sind Ihnen sehr dankbar für Ihre Theilnahme und Rathschläge, bitten aber diese in Zukunft frankirt mitzutheilen. Wenn Sie die Gartenlaube besitzen, so verstehen wir übrigens nicht, wozu ein nochmaliger Abdruck der Erzählungen nützen soll.

R. in W. Biographien und Charakteristiken von Feldherren dieser Art liegen außer der Tendenz der Gartenlaube, die eine Ausnahme nur dann gestatten kann, wenn die Zeitereignisse, deren Chronik ein Journal mehr oder weniger sein soll, eine solche nothwendig machen. Schlachtengrößen vergangener Zeit, zumal solche, denen das Vaterland keinen Dank schuldet, haben für das Lesepublikum der Gartenlaube – so dürfen wir hoffen – kein Interesse. Die Thaten unserer Väter, welche für ihr Vaterland verbluteten, werden für uns stets heilig und unvergeßlich bleiben; das Bild eines Eroberers, der auf Ordre seines Herrn Schlachten schlägt und gewinnt, ist für die Humanität und Civilisation der Menschheit gleichgültig. Die Thiere zittern und fliehen vor ihren Würgern, und nur die Menschen machen Götter aus ihnen.

S. R. in D. Sie fordern unsern Rath in einer Angelegenheit, in der wir nicht competent sind. Sie wollen nach Amerika auswandern und glauben in einer gediegenen Universitätsbildung die Basis zu besitzen, auf der Sie Ihr Glück unter den Yankee’s aufbauen können. „Mit einem reichen Schatz klassischer Bildung ausgestattet, – schreiben Sie, – mit den vorzüglichsten Zeugnissen dreier Universitäten versehen, und vor Allem mit Kraft und Willen zu arbeiten, denke ich einer sichern, vielleicht reichen Zukunft dort entgegen zu gehen.“ – Erlauben Sie mir Ihnen eine kurze Geschichte zu erzählen.

Es war ein naßkalter regnerischer Novembermorgen des vergangenen Jahres, als ein Mann in meine Arbeitsstube trat, dessen Anblick mich fast erschreckte. Bleich, abgehärmt, ein Bild des Jammers und des Elends, die Haare verwirrt um den Kopf hängend und mit einem Rock bekleidet, der augenscheinlich nicht auf seinen Leib gemacht war, trat er, mit einem Knüttel bewaffnet, in das Zimmer. Kein Gruß, aber auch kein Wort der Entschuldigung über seine Störung kam über seine Lippen, stumm wie er eingetreten, schritt er bis hart an mein Pult, wo ich stand und schrieb und sah mich stieren Auges an. Ich wußte nicht, was ich aus der Erscheinung machen sollte. „Herr,“ frug er dann leise und aus dem schmerzlichen Tone, mit dem er die wenigen Worte sprach, klang’s fast wie ein Vorwurf heraus, „Herr – kennen Sie mich nicht mehr?“ –

Bei dem ersten Tone seiner Stimme erfaßte mich die Erinnerung: „Reinhardt, um Gottes Willen, Sie sind’s – wo kommen Sie her?“

„Aus Amerika“ sagte er leise.

„Und als was – aber wie?“ fuhr ich heraus und unwillkürlich trat ich zurück, denn sein Auge stierte mich noch immer an, wie das eines Wahnsinnigen.

„Als Bettler“ antwortete er eben so leise.

Wie der Mann das so einfach sagte, packte mich die ganze Gewalt seines riesengroßen Unglücks. Es waren kaum zehn Jahre her, daß ich Reinhardt zum letzten Male gesehen. Damals war er die Zierde der Gesellschaft, einer der intelligentesten Geschäftsleute, dessen Bildung weit über die gewöhnliche hinaus ragte, geschätzt und geachtet von allen Leuten der Wissenschaft, die seine umfassenden Kenntnisse nicht genug zu rühmen wußten.

Er war dabei ein praktischer Kopf, sprach vier Sprachen, war trotz eines guten Einkommens in seinen Bedürfnissen einfach und als thätig und arbeitsam allgemein bekannt. Nur ein grenzenloser Haß gegen Alles, was Geld- und Standesaristokratie hieß, beherrschte ihn und riß ihn oft zu Aeußerungen hin, die seinem sonst ruhigen und gesetzten Wesen ganz widersprachen. Dieser Haß führte ihn auch nach Amerika.

Ich will Ihnen nicht die Leidensgeschichte in ihrer ganzen Ausführlichkeit erzählen, die ich jetzt anhören mußte. Nur ein Mann, wie Reinhardt, eine Natur voll Kraft und Energie konnte das Alles ertragen, ohne den Muth zum Fortleben zu verlieren. Seine Existenz in Amerika war eine Kette von Enttäuschungen und Brutalitäten, die einen Menschen von strengen Ehrbegriffen, wie sie Reinhardt hatte, moralisch niederdrücken mußte. Sein Glauben an die Menschheit ging verloren.

„Ich habe,“ schloß er seinen Bericht, „gearbeitet wie ein Lastthier. Als ich meine Kenntnisse nirgend mehr verwenden konnte, habe ich Steine geklopft, habe Schienen auf die Eisenbahnen gelegt, Rouleaux in einer Fabrik gemalt, Karten gedruckt und schließlich die – Presse gedreht. Das Letztere mochte wohl für meine Brust zu viel sein, denn eines Tages warf mich mitten in der Arbeit ein Blutsturz zu Boden und in’s Hospital, wo ich Monate lang lag, krank und elend. Gute Freunde streckten mir nach meiner Entlassung aus dem Krankenhause eine kleine Summe vor, ich begann damit einen Cigarrenhandel und ging – hausiren, so schlecht und gut das eben mit einer todtkranken Brust gehen wollte. Aber ich hatte doch eine Existenz, ich nährte mich ehrlich und athmete wieder freier. Freilich nur kurze Zeit! Als ich eines Abends spät in meine Wohnung trat, matt und müde zum Umsinken, fand ich mein Kämmerchen erbrochen und meine Vorräthe und geringe Baarschaft gestohlen.“

Reinhardt schwieg hier einige Augenblicke und die Erinnerung an jene Tage mochte wohl eine sehr trübe und unvergeßliche sein, denn ich sah, wie er die Lippen zusammenkniff, um seinen Schmerz zu verbeißen. Dann sprach er weiter.

„Der Schreck über die wiederholte Zerstörung meiner Existenz warf mich nieder. Als ich erwachte, sah ich mich von einigen Freunden umringt, die, wenn auch selbst arm und ohne Mittel, doch herzugeeilt waren, nach Kräften zu helfen. Ich weiß nicht, wie es kam, aber eine unendliche mächtige Sehnsucht nach meiner alten Mutter in Deutschland erwachte plölzlich in mir, der Boden Amerika’s brannte unter meinen Füßen und unaufhaltsam trieb es mich hinüber. Von meinen Freunden bettelte ich mir das Ueberfahrtsgeld nach England, dort war ein deutscher Kapitain mitleidig genug, mich ohne Zahlung nach Hamburg mitzunehmen und jetzt bin ich hier, um meine alte Mutter noch einmal zu sehen und dann ruhig zu sterben. Da drinnen,“ schloß er mit zitternder Stimme und zeigte auf seine Brust, „wird’s ja bald genug alle werden!“

Das, lieber Herr, ist meine Geschichte und meine Antwort auf Ihre Aufrage. Was weiter mit Reinhardt geschah – was soll ich’s noch erzählen? Es gehört zu den erschütterndsten Momenten des Lebens, wenn ein Mann, dessen Kenntnisse und Eigenschaften zu den höchsten Erwartungen berechtigen und dessen Stolz sonst ängstlich Alles vermied, was wie Annahme einer Gefälligkeit aussah, wenn ein solcher Mann durch des Lebens Schicksalsschläge so weit gebrochen ist, daß er – demüthig die Hände küßt für eine Gabe, die ihm das Mittel an die Hand gibt, sein altes Mütterchen wieder aufzusuchen. Mit Kenntnissen außergewöhnlicher Art, mit großer Arbeitskraft und dem regsten Willen ging er nach Amerika und mit dem Bettelstab in der Hand kam er zurück, der intelligente, wissenschaftlich gebildete Mann – ein Pressendreher! Ein Beispiel freilich kann nicht maßgebend sein, aber so viel beweist immerhin diese kurze Geschichte, daß Kenntnisse und guter Wille in Amerika allein nicht ausreichen. Und wer gibt Antwort auf die Frage, wie viele deutsche Reinhardt’s da drüben ungekannt und ungenannt in Jammer und Elend untergegangen und noch untergehen?

E. K.


Mit dem 1. Januar begann ein neuer Jahrgang der bei Ernst Keil in Leipzig erscheinenden Zeitschrift:

„Aus der Fremde,“
Wochenschrift für Natur- und Menschenkunde der außereuropäischen Welt,
redigirt von A. Diezmann.
Wöchentlich ein Bogen mit und ohne Illustrationen. Vierteljährlich 16 Ngr.

Unsere Zeitschrift beschäftigt sich mit Land und Leuten weit und breit, auf dem ganzen Erdenrunde. Sie gibt nicht Erdichtetes, sondern Wahrheit, aber, was sie erzählt, bestätigt gar oft den altbewährten Spruch: „Wirklichkeit ist seltsamer als Dichtung.“ Sie gibt nicht trockne Reiseberichte; sie beschreibt vielmehr Erlebnisse in der pikantesten und kleidet ihre Schilderungen in die eleganteste und anmuthigste Form; denn, was gelesen zu werden verdient, soll auch angenehm zu lesen sein. Ihr Feuilleton ist stets reich und neu. – Die große Verbreitung, welche die Fremde seit ihrem kurzen Bestehen gefunden hat, beweist am besten die Gediegenheit des Blattes.

Alle Buchhandlungen und Postämter nehmen Bestellungen an.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_032.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)