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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Beide traten zum Tanze an. Auch Henriette erschien an der Seite ihres Mannes. Nach beendetem Tanze saßen die beiden jungen Frauen allein auf einem Divan, während die Männer sich unterhielten. Der Kammerpräsident beobachtete sie verstohlen aus einem Winkel des Saales. Bronner, der Kanzleirath, trat zu ihm.

„Störe ich, Herr Präsident?“

„Nein, Sie kommen mir im Gegentheil sehr gelegen. Da ich nicht tanze, gewährt mir ein Ball kein Vergnügen.“

„So befinden wir uns in einem gleichen Falle – ich will nicht sagen, in gleicher Verlegenheit.“

„Dieser Verlegenheit können wir uns bald entziehen. Begleiten Sie mich nach Hause.“

„Ich stehe zu Diensten, Herr Präsident.“

Beide verschwanden aus dem Saale. Gleich darauf traten sie, in ihre Mäntel gehüllt, auf den Marktplatz. Es war eine sternenklare, warme Septembernacht. Die Glocke der nahen Stadtkirche schlug eins. Die beiden Männer gingen die Straße hinab über den Schloßplatz. Es schien, als ob der Präsident absichtlich so lange geschwiegen, bis er sicher war, von keinem unberufenen Ohre belauscht zu werden.

„Sie haben mir heute einen wesentlichen Dienst geleistet, Herr Kanzleirath,“ begann der Präsident. „Die nähere Kenntniß aller jener Personen war mir nicht nur von großem Interesse, sondern auch von Nutzen. Zählen Sie darauf, daß ich Ihnen nach Kräften nützlich zu sein suchen werde.“

„O, das ist Alles, was ich wünsche, Herr Präsident.“

„Ich habe Sie liebgewonnen, und bitte Sie, mich als Ihren Freund zu betrachten. Es ist mir von jeher Bedürfniß gewesen, einen Vertrauten zu besitzen, mit dem ich in schwierigen Fällen mich berathen kann. Meine Stellung ist eine so schwierige, daß ich sie ohne fremde Hülfe nicht gut ausfüllen kann. Stehen Sie mir mit Ihrer Erfahrung zur Seite, und machen Sie mich auf das aufmerksam, was Ihnen in unserm beiderseitigen Interesse der Beachtung werth erscheint.“

Bronner hatte Mühe, seine große Freude zu verbergen. Mehr konnte er nicht wünschen, mehr hatte er nicht gewollt. Aber er war schlau genug, die Bedingung herauszumerken, die der so eben geschlossenen Freundschaft zum Grunde lag. Hätte der Präsident ihm diese Aufforderung schriftlich gegeben, so würden wir füglich gesagt haben, der Kanzleirath verstände zwischen den Zeilen zu lesen. Bronner wäre nicht erschreckt gewesen, hätte der Präsident ihm mit dürren Worten gesagt: „mein Herr, ich werde für Sie Alles thun, wenn Sie mein Spion sein wollen.“ Er sprach von Ehre, von Vertrauen, von Hingebung, Uneigennützigkeit und Hochachtung.

Der scharfsinnige Präsident hatte längst seinen Mann erkannt; er wußte, wie viel er ihm zumuthen durfte, wußte aber auch, wie weit er gehen mußte, um sich eine imponirende Stellung ihm gegenüber zu erhalten.

„Der Fürst ist gut,“ fuhr der Präsident fort, „und wie mir scheint, wird man seine Gutherzigkeit mißbrauchen, wenn die Energie seines ersten Raths nicht dazwischen tritt. Die Frauenscene, an deren Spitze Fräulein von Hoym stand, hat mir nicht gefallen. Die junge Dame ist unbestritten sehr schön, und was für Erfolge Frauenschönheit in der Politik schon errungen, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen. Ich hasse dergleichen Einflüsse, und suche sie ohnmächtig zu machen. Es ist dies in mir, ich möchte sagen, zum Instinkte geworden. Fräulein von Hoym scheint die junge, ebenfalls reizende Gattin des Sekretairs Bergt unter ihre Flügel genommen zu haben, und der Mann – –“

„Nun, und der Mann?“ wiederholte Bronner in ängstlicher Spannung.

„Der Mann wird dabei nicht leer ausgehen.“

„Wie meinen Sie das, Herr Präsident?“ fragte gedehnt der Kanzleirath.

„Ich meine, daß der Sekretair Bergt Ihnen wie mir gefährlich werden kann. Der Sekretair berichtet das, was er berichten will, seiner Frau; die Frau berichtet es ihrer Freundin, und die Freundin läßt es in einer süßen Stunde an den Fürsten gelangen. Auf diesem sehr einfachen Wege umgeht man uns. Wie diese Berichte nun mitunter ausfallen, wie man diese und jene meiner Maßregeln deutet – wer kann es wissen? Bergt arbeitet in Ihrem Departement, vergessen Sie das nicht; darum seien Sie auf Ihrer Hut, und beobachten Sie genau den Gatten jener Frau, die heute mit dem Fürsten getanzt hat. Diese Warnung mag Ihnen der erste Beweis der Freundschaft sein, die ich für Sie hege. Uebrigens zählen Sie unter allen Umständen auf mich, denn ich bin stets bereit, dem Weiberregimente entgegenzutreten.“

Der Präsident hatte eine furchtbare Saat in das Herz des armen Kanzleiraths gesäet, der die Tüchtigkeit seines Sekretairs mehr als jeder Andere kannte. Die Furcht vor dem fleißigen und intelligenten Arbeiter war es eben, die ihn zwang, sich um jeden Preis die Protektion des neuen Präsidenten zu erwerben. Und nun mußte er hören, daß der Protektor diese Furcht, wenn auch aus andern Gründen, mit ihm theilte. Er mußte sich eingestehen, daß Seldorf nicht nur einen scharfen Blick besaß, daß er auch wirklich einen Freund an ihm gefunden hatte. Die Situation war bedenklich. Seldorf bemerkte mit großer Genugthuung, daß der von ihm gestreute Samen des Argwohns Wurzel gefaßt hatte, denn Bronner ging schweigend wie ein Mann neben ihm, den eine Nachricht tief ergriffen hat. So gelangte man an das Haus, das dem Präsidenten zur Wohnung angewiesen war, und dem Haupteingange des Schlosses gegenüber lag.

„Gute Nacht, Herr Kanzleirath!“ sagte der Präsident, indem er dem neuen Freunde die Hand reichte.

Er fühlte, wie die Hand des Freundes zitterte.

„Gute Nacht, Herr Präsident!“

„Seien Sie vorsichtig und verschwiegen.“

„Aber ich werde auch Ihnen ergeben sein bis in den Tod!“

Seldorf zog die Glocke an seinem Hause. Bronner verschwand in dem Schatten der Nacht.




Ⅱ.

Der Tag, der dem Balle folgte, war ein Sonntag. In der Residenz herrschte eine wahrhaft englische Sonntagsstille. Nur um die Zeit, als die Glocken zur Kirche riefen, waren die Straßen von geputzten Leuten belebt, die mehr aus Gewohnheit, als aus Bedürfniß ihre Andacht vorrichten wollten.

Der Sekretair Bergt saß mit seiner Frau beim Frühstück. Das Thema der Unterhaltung bildete natürlich der Ball. Henriette hatte bereits vollständig Toilette gemacht; sie war frisch und duftig wie eine Rose im Mai. Keine Spur in ihrem reizenden Antlitze verrieth, daß ihr der größte Theil der gewöhnlichen Nachtruhe abgegangen war. Sie plauderte lebhaft, geistreich und mit einer Liebenswürdigkeit, die den Gatten berauschte. Die einjährige Ehe hatte die Leidenschaft der beiden jungen Leute nicht abzukühlen vermocht.

Wenn die Frau Landreceptorin und die Frau Hofkommissärin auf dem Balle von der glänzenden Einrichtung des Sekretairs gesprochen, der nur einen Jahresgehalt von fünfhundert Thalern bezog, so hatten sie Recht. Bergt bewohnte ein ziemlich geräumiges, mit Eleganz und mit Luxus ausgestattetes Haus. Wenn man nun bedenkt, daß Henriette ihrem Manne, der nur auf seinen Gehalt angewiesen war, keine Morgengabe zugebracht hatte, so mußte man sich die natürliche Frage vorlegen: wer hat den Sekretair in den Stand gesetzt, die Anschaffung dieser kostbaren Einrichtung zu bestreiten? Die Medisance kleiner Städte, und vorzüglich kleiner Residenzen, ist boshafter als die großer. Es läßt sich diese Medisance mit dem Bisse kleiner Vipern vergleichen, der giftiger ist, als der Stich einer Klapperschlange. Ueber den Sekretair und seine Gattin hatte man viel gesprochen, viel angenommen und viel vermuthet, vorzüglich seit der Zeit, daß Henriettens und Cäciliens Freundschaft bekannt geworden war. Die junge Frau selbst glaubte an ein Privatvermögen ihres Mannes, und dieser hütete sich aus Eitelkeit, ihr diesen Glauben zu zerstören. Wir sagen aus Eitelkeit, denn die Liebe ist mit der Eitelkeit so innig verbunden, wie der Stolz mit dem Reichthume. Die Eitelkeit auf das Bewußtsein, die schöne, von so vielen begehrte Henriette verdankt dir allein das Glück, das sie umgibt, war gleich groß wie seine Liebe. Henriette war dankbar für die Sorge ihres Mannes; sie war ihm das, was sie ihm sein sollte – eine reizende Frau. Die kleinste Anordnung, die sie in dem Hause getroffen, hatte einen gewissen persönlichen Zauber, den nur Frauen von geläutertem Geschmacke einzuhauchen verstehen.

„Henriette,“ sagte Bergt, „über Fräulein von Hoym ist diese Nacht viel gesprochen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_075.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2019)