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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

den Kopf, aber er wußte es dahin zu bringen, daß meiner Mutter wirklich die Pension entzogen wurde.“

„Infam! Sollte Seldorf einen so schlechten Charakter besitzen?“

„Hatte er nicht mit dieser Heldenthat gedroht?“ rief Henriette. „Wem anders als ihm konnten wir es zuschreiben, daß wir unsere einzige Hülfsquelle versiegen sahen? Meine arme Mutter hatte mit dem Jammer des Lebens nicht lange zu kämpfen – ein sanfter Tod führte sie zu meinem Vater. Als ich von dem Gottesacker zurückkehrte, fand ich Bergt vor, der mich zu besuchen gekommen war; er zeigte mir an, daß er in seinem Vaterlande eine einträgliche Stelle erhalten habe, und bat mich um meine Hand. Ich war dem braven jungen Manne längst mit ganzer Seele zugethan – nachdem das Trauerjahr vorüber war, folgte ich ihm in seine Heimath, wo uns die Hand des Priesters für ewig verband. Ach, Cäcilie, ich habe es nie zu bereuen gehabt, denn Bergt ist der bravste Mann, der zärtlichste Gatte. Ein Jahr verfloß in ungetrübtem Glücke. Da hörte ich plötzlich, daß der neuangestellte Kammerpräsident Seldorf heiße, und daß er von K. herübergekommen sei. Der böse Mensch war also der Vorgesetzte meines Mannes geworden! Bergt kannte sein Verhältniß zu meiner Familie nicht, und um ihn nicht besorgt zu machen, verschwieg ich ihm, daß Seldorf mir einst nachgestellt hatte. Auf dem Balle nun sah mich der Präsident, und wie ich aus seinen Blicken schließen muß, hat er einen fürchterlichen Groll auf mich geworfen. Ach, wenn mein Mann nur nicht darunter zu leiden hat!“

„Verbannen Sie jede Sorge, Henriette, und vergessen Sie nicht, daß ich Ihre Freundin bin!“ rief Cäcilie eifrig.

„An Ihrer Freundschaft, liebe Cäcilie, zweifle ich nicht; aber was können Sie einem so gefährlichen Menschen gegenüber thun, um mich zu schützen?“

„Dies gehört wieder zu dem Geheimnisse, das ich Ihnen jetzt noch nicht anvertrauen kann. Ich wiederhole Ihnen, daß jeder feindliche Plan, den der Präsident gegen Ihren Mann schmiedet, scheitern soll.“

„Cäcilie, wie soll ich Ihnen danken?“

„Dadurch, daß Sie meine Freundin bleiben, und daß sich unsere Freundschaft nicht ändert, wie auch die Lästerzungen über mich reden mögen. Der Ruhe Ihres Mannes wegen beobachten Sie über Alles ein tiefes Schweigen. Es ist ja möglich, daß Seldorf vernünftig geworden und Nichts unternimmt – warum wollen Sie dem guten Bergt Besorgnisse einflößen?“

„Wer kommt da?“ rief plötzlich Henrielte, die durch das Fenster gesehen hatte.

Cäcilie wandte ruhig ihr Köpfchen.

„Kennen Sie ihn nicht?“ fragte sie lächelnd.

„Es ist der Fürst!“ stammelte verwirrt die junge Frau.

„Beargwöhnen Sie mich immer noch? Soll ich meine Bitte zum dritte Male wiederholen?“

„Nein, nein! Aber gestatten Sie mir, daß ich mich zurückziehe!“

„Nachdem ich Sie Sr. Durchlaucht vorgestellt habe.“

Henriette nahm Hut und Shawl. Ihr Gesicht glühete wie Purpur, denn sie konnte sich eines leisen Schamgefühls nicht erwehren, trotzdem sie sich vorgenommen hatte, in die Freundin volles Vertrauen zu setzen. Nach zwei Minuten trat der Fürst unangemeldet ein. Sein ergrautes Haupt und die milde Freundlichkeit, die sich in seinen großen Augen ausdrückte, gaben der jungen Frau so viel Fassung zurück, daß sie artig und ehrerbietig grüßen konnte. Cäcilie stellte die Freundin dem hohen Gaste vor, der sich lächelnd verneigte, ohne zu reden. Henriette drückte Fräulein von Hoym die Hand und verließ das Zimmer. Mancherlei Betrachtungen drängten sich ihr auf, als sie langsam über die Promenade ihrer Wohnung zu ging.

„Ich werde schweigen und ausharren,“ flüsterte sie vor sich hin; „es ist ja möglich, daß ich des Schutzes Cäciliens nicht bedarf.“




Ⅳ.

Dem Kanzleirathe Bronner war der Sekretair Bergt ein gefürchteter Mann geworden; die Voraussetzungen des Präsidenten, dessen Protektion durch Fräulein von Hoym kraftlos gemacht wurde, wie er wähnte, hatten ihn aus der Ruhe emporgeschreckt, in die das freundschaftliche Verhältniß zu dem Chef ihn eingewiegt hatte. Menschen, die das überwiegende Talent eines Andern zu fürchten haben, sind dann am gefährlichsten, wenn sie ihr eigenes Unvermögen zu begreifen beginnen; sie verzweifeln an sich selbst, und gehen bis zum Aeußersten, um den Feind zu vernichten. Bergt war seit jenem Ballabende der ärgste Feind Bronner’s. Sehen wir, wie er seine Netze ausspannt, um die Beute zu fangen.

Eines Abends erschien der Kassendiener Peters in seiner Wohnung.

„Gut, daß Sie kommen, Peters. Ich kann Ihnen einen vorläufigen Bescheid auf den Antrag geben, den ich befürworten soll.“

Peters war lange Soldat gewesen, und hatte den Posten des Kassendieners als Versorgung erhalten.

„Ach, Herr Rath,“ sagte er, „das ist mir lieb, denn die Zeiten sind gar zu drückend, ich weiß nicht mehr, wie ich meine starke Familie erhalten soll. Mir wird grau vor den Augen, wenn ich an den nächsten Winter denke. Meine Frau ist stets krank –“

„Es thut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß ich Ihnen nicht nützlich sein kann, so gern ich möchte. Für dieses Jahr ist an eine Gehaltserhöhung nicht zu denken.“

„Mein Gott, mein Gott!“ murmelte Peters, indem er seine rauhen Hände faltete. „Wenige Thaler monatlich würden genügen, um mich glücklich zu machen. Der Herr Rendant Ernesti sagte mir, daß es nur von Ihnen abhinge.“

„Von mir?“ unterbrach ihn lächelnd der Rath. „Und das sagte Ihnen der Rendant?“

„Gestern noch.“

„Dem Rendanten, mein Freund, liegt das ganze Kassenwesen ob. Noch mehr: wenn er bestätigt, daß Ihre Dienste nicht hinreichend belohnt werden, so berichte ich dem Präsidenten, und die Sache ist abgemacht. Auf meine Anfrage, die ich unter der Hand machte, ward mir die Antwort: man kann der Kasse neue Ausgaben nicht aufbürden, sie ist bereits zu stark in Anspruch genommen.“

„Das sagte der Rendant?“ fragte Peters mit zornigen Blicken.

„Ernesti ist für die ihm anvertrauete Regierungskasse besorgt.“

„Für die Kasse und für seine Freunde!“ murmelte mit verbissener Wuth der Alte.

„Wie meinen Sie das?“ fragte ruhig der Rath.

„Für mich ist die Kasse nicht da, aber für den Sekretair Bergt, der um viertausend Thaler in Verlegenheit war – o, ich will nichts gesagt haben – aber es thut weh, wenn man hartherzig behandelt wird.“

Der Rath verbarg sein Erstaunen, indem er fragte: „Bergt hat Geld erhalten?“

„Nun ja, einen Vorschuß von viertausend Thalern auf acht Tage. Ich hörte das Gespräch der beiden Herren in meinem Arbeitszimmer, dessen Thür angelehnt war.“

„So, und was sprachen sie?“

„In acht Tagen erhalte ich die Summe von einem Freunde auf dem Lande, sagte der Rendant; er ist ein sicherer Mann, ich kann mich auf ihn verlassen; ich gebe Ihnen das Geld bis dahin aus meiner Kasse – gehen Sie, und lösen Sie Ihren Wechsel ein. Da hörte ich, daß der Sekretair vor Freude weinte. Gleich darauf sah ich ihn durch mein Fenster über den Platz laufen, wahrscheinlich, um seinen Wechsel zu holen. Ich wollte neulich zwanzig Thaler Vorschuß haben – mir hat sie der Herr Rendant verweigert, mir armen Manne, der einen Haufen Kinder und eine kranke Frau hat.“

„Still, Peters, still, die Aufregung reißt Sie zu weit hin.“

„Die Aufregung? Sagen Sie die Verzweiflung, Herr Rath.“

„Also zwanzig Thaler können Ihnen helfen?“

„Ja!“ murmelte Peters.

„Hier sind sie!“ sagte der Rath, indem er das Geld aus seinem Sekretair holte. „Ich schenke sie Ihnen unter der Bedingung, daß Sie keiner Seele erzählen, was Sie mir so eben mitgetheilt haben. Der neue Präsident, Sie wissen es ja, ist ein sehr strenger Mann. Wenn er erführe, daß fürstliche Kassengelder zu solchen Zwecken verwendet würden – –“

(Fortsetzung folgt.) 

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_092.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2019)