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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

und ich, begab sich, mit Pistolen und Munition versehen, in’s Boot und ruderte erst einige Male um das Schiff herum, um jeden Argwohn zu beseitigen, dann aber mit aller Kraft dem Lande zu.

Nachdem das Boot festgebunden war, suchten wir eine zu unserem Zwecke passende Stelle auf, die leicht gefunden war, denn die Gegend besteht fast nur aus Wiesen und Feldern, und ist in der Nähe der Dämme einsam. Die Entfernung von fünfzehn Schritten wurde abgemessen und nachdem die Pistolen geladen waren, stellten sich die Kämpfer einander gegenüber.

Vier Schüsse wurden gewechselt, ohne daß Einer eine Verletzung erhielt. Der Geforderte bot seinem Gegner Versöhnung an, dieser aber, aufgeregt durch das Schießen, wollte nichts davon wissen. Beim nächsten Schuß stürzte er. Die Kugel war ihm durch den Leib gegangen, auf der einen Seite hinein und auf der andern wieder heraus.

Als ich den armen Teufel fallen sah, forderte ich die beiden Sekundanten auf, bei ihm zu bleiben, und lief dem nächsten Dorfe zu, um einen Arzt zu holen. Unterdessen kam der Verwundete, der nach seinem Falle die Besinnung verloren hatte, wieder zu sich, fing an sich am Boden umherzuwalzen und zu schreien: „Ma Bauch! Ma Bauch! Druckt mir doch den Bauch!“ Die beiden Sekundanten thaten, wie er wünschte, warfen sich über ihn und drückten mit beiden Händen auf die Wunde. Dies linderte ihm seine Schmerzen, und als ich mit dem Arzte ankam, schien er sich im Ganzen nicht so schlimm zu befinden, wie ich befürchtet hatte. Eine Bahre hatten wir mit aus dem Dorfe gebracht; darauf legten wir den Verwundeten, nachdem der Arzt ihn untersucht, und die Wunde für gefahrlos, auch sich bereit erklärt hatte, unseren Freund in sein Haus aufzunehmen. Wir aber begaben uns zu unserem Boote und ruderten der „Deutschland“ zu.

Am Bord wurde uns vom Wachoffizier bedeutet, so lange auf Deck zu bleiben, bis er den Kommandanten von unserer Ankunft benachrichtigt haben würde.

„Wo sein Sie gewest?“ redete uns T. an, der aus seiner Kajüte herausgekommen war und die Mütze noch tiefer als gewöhnlich in’s Gesicht gezogen hatte, als Zeichen seiner bösen Laune. „Habe Sie nicht die Signal gesehe en die Schuß gehoort? Erre, antworten Sie mir.“

Wir hatten wohl gesehen, daß man durch ein Signal uns zurück rief; wir halten auch den Schuß gehört. Wir glaubten aber nicht darauf achten zu dürfen bis die Sache abgemacht sei und ich antwortete: „Herr Kommandant, es war eine Ehrensache unter uns auszumachen; wir fürchteten, Ihre Erlaubniß nicht zu erhalten und sind deshalb mit dem Boote an’s Land gerudert. G… liegt in G. und hat einen Schuß durch den Leib bekommen; es ist aber glücklicherweise nicht gefährlich.“

„Was? Sie habe sich geschoosse? Err Braun!“ rief er dem Wachoffizier zu, „hooren Sie es well, die Jonkers habe sich duellirt en dorch die Bauch geschoosse! Abber ich werde des an die Admiral anseige. Jetzt gehe Sie runder; Sie seien consigneret bis auf weitere Ordre.“

„Daß es ohne sein „consignere“ nicht abgehen würde, dachte ich mir wohl,“ brummte einer im Herabgehen.

„Was?“ rief T., der dies gehört hatte, „brummele Sie noch? Ich soll Sie, Gott verdamm mi, gleich in die Bramsalinge schicken, bis Middernacht, wenn ich Sie noch hoore.“

T. war, das wußten wir schon, durchaus nicht so schlimm, wie er gern erscheinen wollte. Er ließ uns ruhig in unsere Kajüte gehen. Anzeigen freilich mußte er die Sache, aber er bat zugleich um Nachsicht für die „Jonkers“ und so kamen wir ohne Strafe davon. Der sittsame Mann hielt immer viel auf uns, und in Gesellschaften war es sein Steckenpferd, von uns und unseren Streichen zu erzählen. Auch wurde kein Ball gegeben, ohne daß er mit Einigen von uns da erschien, die gerade nicht „consigneret“ waren. Nicht wohl war mit ihm zu sprechen, wenn er seine Launen hatte. Man erzählte sogar von ihm, daß er einst bei einer Beobachtung des Mondes, als dieser sich hinter eine Wolke versteckt, ausgerufen habe: „Ich werd Sie, Gott verdamm mi, consignere for Ihre Ewigkeit, wenn Sie sich noch einmal achter die Wolke verstecke.“ Von diesem seinem „consignere“ halte ich am meisten zu leiden. Wenn Unfug geschehen war und die Thäter nicht entdeckt werden konnten, verlangte er von mir als Aeltestem, ich solle sie nennen. Dies that ich natürlicherweise nie, und so war ich fast beständig in Schiffsarrest. Meine Kameraden boten mir zwar an, sich freiwillig zu melden, aber ich konnte es nicht zugeben, da Schiffsarrest mich wenig quälte, sie aber mit einer schwereren Strafe belegt worden wären.

Im Winter gingen die Offiziere und Mannschaften größtentheils auf Urlaub und so sah es auf dem Schiffe der armen deutschen Marine traurig und öde aus. Für uns Seejunker hatte man ein großes Lokal gemiethet und zu einer Schule eingerichtet. Der Admiral gab sich alle erdenkliche Mühe, damit seine „Söhne“ etwas Ordentliches lernten und trotz der geringen Mittel, die ihm zu Gebote standen, hatte er für Lehrer und Unterricht auf’s Trefflichste gesorgt. Im Frühjahr sollte die erste große Prüfung gehalten werden. Je näher die Zeit derselben rückte, desto eifriger studirten wir. Endlich kam der verhängnißvolle Tag und wir erwarteten, in voller Parade mit Hut und Säbel, die Ankunft der Prüfungkommission, welche aus fünf Kapitainen bestehen sollte, deren Aeltester den Vorsitz führte. T., der auf Deck kam, sprach uns Muth ein und sagte:

„Ich werd immer dabei sein, wenn Sie geexaminiret werde, en darauf achte, daß man Sie nur in die vorgeschriebene Sachen prüft.“

Die Kapitaine kamen an Bord der „Deutschland,“ auf der dies alles vorging, und in den ersten drei Tagen waren schriftliche Arbeiten zu machen. Das mündliche Examen wurde in der Kapitainskajüte abgehalten. Einer nach dem andern wurden wir hereingerufen. Als ich die Herren mit den großen goldenen Epauletten und den ernsten Gesichtern sah, verlor ich allen Muth. Ich kannte keinen der Examinatoren, und von T. konnte man nie recht wissen, ob er Einem wohlwolle oder nicht.

„Machen Sie es sich so bequem, wie Sie wollen,“ redete mich der Präsident an; „legen Sie Hut und Säbel ab, und krämpen Sie sich den Rockärmel in die Höhe, damit Sie sich nicht mit der Kreide beschmutzen.“

Ich that, wie er mir gesagt hatte, und als ich die Waffe, ein großes Stück Kreide, in die Hand genommen hatte, sah ich die Leute, von denen mein Schicksal entschieden werden sollte, wohl mit etwas dummem Gesichte an, denn sie fingen an zu lächeln und einander allerhand, wie es schien, spaßige Sachen zuzuflüstern. Dem für mich drückenden Auftritte machte T. ein Ende, indem er sagte: „Err R., seien Sie nicht bange, Sie seien ja immer eine gude Schule gewest.“

Es ging auch gut, und wir waren bis zur Manövrirkunde gekommen, da sagte einer der examinirenden Offiziere zu mir:

„Sie sind Kapitain einer Fregatte, und befinden sich in der Nähe des Feindes in einem sehr engen Fahrwasser. Plötzlich werden Sie durch eine versteckte Batterie vom Lande aus angegriffen, von deren Vorhandensein Sie nichts wußten. Ihre Masten werden Ihnen weggeschossen, und Sie sind genöthigt sich zurückzuziehen; wie werden Sie das machen?“

„Ich werde einen Wurfanker ausbringen und so das Schiff dem Feuer zu entziehen suchen,“ antwortete ich.

„Und wenn das nicht mehr geht? Ihr großes Boot ist schon zerschossen.“

„So werde ich die andern Böte aussetzen, und mit ihrer Hülfe das Schiff fortzuziehen suchen.“

„Ihre Böte sind alle von Schüssen durchlöchert, der Feind schießt mit glühenden Kugeln und das Schiff fängt an zu brennen.“

Jetzt sah ich, daß der Offizier mir alle diese Fragen nur vorlegte, um mich in Verlegenheit zu bringen. Deshalb hielt ich es für das Beste, ihnen durch eine kühne Antwort ein Ende zu machen und sagte:

„Herr Kapitain, ich fahre mit meinem Schiffe in keinen Graben, wo ich mir ohne Weiteres die Masten abschießen lassen muß von einer Batterie, deren Vorhandensein mir nicht einmal bekannt ist.“

Die Kapitaine sahen einander erstaunt an, und eben wollte Einer mir eine scharfe Zurechtweisung geben, als der alte T. von seinem Sitze aufsprang und sagte: „Das ist sehr well gesagt; man fährt mit seine Schiff in keine – wie haben Sie gesagt, Err R.?“

„Graben, Herr Kommandant.“

„Well, man fährt nicht in die Grab. Der Jonker hat ganz Recht.“

Zum Glück war damit die Prüfung zu Ende. Ich wurde

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_098.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)