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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

an der ganzen italienischen Küste entlang eine Hauptlust der Fischer und des in Gondeln und Schiffen zusehenden Volkes.

Am folgenden Morgen bei Milchkaffee und Chocolade (zusammen zur beliebigen Wahl aufgetragen) war fast ausschließlich von Politik die Rede, die ich hier übergehe. Ich spielte, um das Gastrecht nicht zu verletzen, den Neutralen, den Unwissenden, und äußerte nur den Wunsch, mich näher zu unterrichten. Auch von unsern Ausflügen notir’ ich nur den nach Ventimiglia auf einem Felsen dicht am Meere. Er verdient wegen seines echt italienischen Charakters und Gegensatzes zu Nizza ein Wort. Als wir durch die engen, steilen Straßen hinauf holperten, füllten sich alle Fenster und Balkone mit liebenswürdiger Neugier, und es entstand ein allgemeines Grüßen und Verneigen vor uns, besonders dem ehrwürdigen Oberst, der fortwährend seinen grauen Schnurrbart drehte, und angelegentlichst wieder grüßte. Es war die liebenswürdigste Kleinstädterei in einer naiven, graziösen Weise, wie sie nur dem echten, unverdorbenen Italiener gelingt. In den großen Städten Italiens, jenseits Sardiniens, gibt’s mehr Fremde und Flöhe, als Italiener und Citronen, mehr Polizei und Kerker, als Orangen, glühend im dunkeln Laube. Italien kommt zunächst nur in dem felsengeschützten Sardinien wieder zu sich. Weil sich darüber zu viel sagen ließe, schweigen wir lieber ganz.

Der Dom von Ventimiglia, zum Theil aus Ruinen eines Junotempels gebaut, bot außer einem alten Steine mit eingegrabener Schrift (kostbares Kleinod für Antiquare und Philologen) und einer Almosenbüchse vor einem zerfallenen Madonnenbilde mit einer Bittschrift, worin sie bat, man möchte etwas hineinthun, damit sie sich verjüngen könne, nichts Merkwürdiges. Auch über andere Sehenswürdigkeiten eilten wir hinweg, um in ein Herz der Klosterfrage, das Lateranenserkloster zu kommen, ein großes, zerstreutes, mißtönig-düsteres Gebäude, bis zum Ende des siebzehnten Jahrhunderts Schloß der Grafen von Ventimiglia, die von hier aus lange kämpfend eine feudale Selbstständigkeit gegen kleine Nachbarstaaten oder mit denselben gegen das Haus Savoyen zu erhalten suchten, bis endlich die zahllosen kleinen Fürstenthümer, Grafschaften und Republiken, welche das jetzige Königreich Sardinien bilden, durch die Herrscher von Savoyen unterworfen wurden und nun als Theile eines respektabeln ganzen Staatskörpers Sicherheit, Ruhe, Ordnung und Freiheit finden.

Aber ich sehnte mich bald wieder hinaus, wie die kleine briccona, das niedliche Kind mit den langen, sanften, mandelkernförmigen Augen. – Wie heiter und schön grüßte uns jetzt die Meeresküste, als wir aus dem Kloster heraustraten!

Die schöne Küstenstrecke Sardiniens ist das Land, wo die Citronen blühen, im dunkeln Laube Goldorangen glühen; ein ewiges Blühen, Duften und Reifen der süßesten Erquickungen der Natur, ein ewiges Lächeln des Meeres, eine unerschöpfliche Malerei in Landschaften und Menschengesichtern, die so liebenswürdig sind, so treuherzig, so schön und so wißbegierig. Möge dem herrlichen Lande eine Zukunft werden, wie es sie verdient, wie ich sie mir schwärmend erträumte aus den langen, sanften, braunen Augen des Kindes.

Das schöne Kind war mir ein Bild der Zukunft, der Hoffnung für Italien. Freilich die nächste Zukunft hängt nicht von solchen Kindern ab, sondern von bärtigen Männern, besonders dem schnurrbärtigsten von Allen, dem Könige, den wir uns bereits früher und zwar in einem Portrait in Nr. 2 unseres Blattes[WS 1] angesehen haben und das unter den vielen Konterfei’s als das getroffendste gilt.




In der Herrnhuter Brüdergemeine.
Von G. A.

Es war am vierten Mai. Auf einer Reise im nördlichen Deutschland kam ich nach Christiansfeld. Ich beschloß hier Rasttag zu halten. Eigenthümliche Lebenserscheinungen haben immer ihren Reiz, zumal wenn sie mit dem Schleier des Geheimnißvollen umgeben sind, und das Herrnhuterthum trägt diesen Schleier in vielerlei Hinsicht, wie wenig es sich auch zu verbergen strebt.

Christiansfeld ist eine der jüngsten und bedeutendsten Niederlassungen, welche die Herrnhuter im Norden Deutschlands begründet haben. Angebaut am Tystruphof im Jahre 1773, nachdem die Gemeine Pilgerruh bei Oldeslohe wegen oppositioneller Schwierigkeiten von Innen und Außen hatte aufgegeben werden müssen, zählt Christiansfeld heutzutage etwa 60 Häuser mit 700 Einwohnern. Es wird von Westen nach Osten durch zwei kleinere Straßen, von Süden nach Norden durch die elegante Hauptstraße durchschnitten, die von Hadersleben nach Bolding führt. Die größere Hälfte des Orts ist die westliche. Hier befinden sich auch die größeren, nämlich die öffentlichen Gebäude: Gemeinsaal, Chor- und Anstaltshäuser. Die Privatgebäude sind fast durchweg einstöckig.

Der Ort trägt ganz das Gepräge, das den Gemeinorten eigenthümlich ist. Sauberkeit und Regelmäßigkeit der Straßen und Häuser, reges geschäftiges Treiben neben tiefer Stille, welche nur hin und wieder das Läuten einer Glocke vom Gemeinsaal oder aus den Chorhäusern unterbricht, städtische Verfeinerung bei ländlicher Prunklosigkeit und religiöse Einfalt inmitten socialer Vervielfältigung findet man in Christiansfeld, wie man sie in andern Kolonien der Herrnhuter wiederfindet.

Den vierten Mai feiern die ledigen Schwestern ihr Chorfest. Diese Gliederung der Gemeine in Chöre je nach Verschiedenheit des Geschlechtes, Standes und Alters ist einer der charakteristischen Grundzüge im Wesen des Herrnhuterthums. Jede Gemeine wird eingetheilt in das Chor der ledigen Brüder und der ledigen Schwestern, der verehelichten Geschwister, der Wittwer und Wittwen, der größeren Knaben und Mädchen und der Kinder. Jedes Chor hat einmal im Jahre sein besonderes Chorfest und fast jedes Chor aus seiner Mitte einen besonderen Chorarbeiter. Die Chorarbeiter sollen in möglichst vertrautem Umgang mit den Mitgliedern ihres Chores die Herzensgesinnung derselben bearbeiten und die Chorfeste sind dazu bestimmt, daß die Chorgenossen sich immer von Neuem auf ihren gemeinsamen Beruf in ihren besonderen Verhältnissen mit Gott verbinden sollen. Die Choreinrichtung überhaupt hat den Zweck, daß nicht nur jedem Einzelnen die Pflichten klarer und ununterbrochener vorschweben, die seinem Stand besonders eigen sind, sondern daß auch Bündnisse vertrauter Freundschaft, anständiger Geselligkeit und religiöser Gefühlserwärmung innerhalb der Gesammtheit entstehen, welche das Band gleicher Lebensverhältnisse und Erfahrungen umschließt. Aeußerlich durch ihre Tracht unterscheiden sich nur die Chöre weiblichen Geschlechts: an ihrem selten kleidsamen weißen Häubchen tragen die größeren Mädchen ein dunkelrothes, die ledigen Schwestern ein hellrothes, die verheiratheten Frauen ein blaues und die Wittwen ein weißes Haubenband.

Die Chorprinzipien sind schon zu Anfang des Herrnhuterthums vorhanden gewesen; sie werden aus der Bibel hergeleitet. Die Einrichtung der Chöre aber mit ihren Chorhäusern ist etwas allmälig Gewordenes, mit ihren Chorfesten etwas willkürlich Gemachtes. Sie ging vorzugsweise aus dem Bestreben hervor, die Geschlechter gesondert zu halten, und entwickelte sich ursprünglich aus den sogenannten Banden, kleinen Gesellschaften von Leuten einerlei Geschlechts, welche sich wechselseitig ermahnten, ermunterten und mit einander beteten. Das Chor der ledigen Brüder und das der ledigen Schwestern sind vielleicht die frühesten Chöre. Als die mährischen Flüchtlinge sich zuerst unter dem Grafen Zinzendorf sammelten und 1722 am Hutberg ansiedelten, wußte man noch nichts von ledigen Brüdern und Schwestern. Im Jahr 1728 zogen „die jungen Bursche um Verdachtes, bösen Scheines und unnöthiger Gedanken willen aus den Familienhäusern weg, in denen ledige Frauenzimmer wohnten.“ Noch im selben Jahre wurde der Umgang der Geschlechter förmlich verboten. Eine Wollspinnerin aus Mähren, siebzehn Jahre alt, die in der folgenden Zeit noch Gräfin Zinzendorf werden sollte, schloß am 4. Mai 1730 mit siebzehn ihr gleichgesinnten Jungfrauen den Bund, daß sie niemals einem Heirathsantrage Gehör geben wollten, welcher auf eine dem

Sinne der Welt und des Fleisches, nicht aber den Sitten und

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Heft 2 enthält kein derartiges Bild, wohl aber das Heft 44 des Jahrgangs 1856 auf Seite 593.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_108.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)