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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Die Gemeinstunde hielt Abends ein Redner, der, wie er sagte, in der Wildniß zu Hause und an Handarbeit gewöhnt war. Er hielt einen freien Vortrag über die Loosung des Tages. Frei war nämlich der Vortrag von aller Logik und in der Reihenfolge seiner Gedanken war die Wildniß allerdings zu Hause. Doch fiel das weniger auf. Denn für einen „gemeinmäßigen“ Vortrag kommt es nicht sowohl auf klares und scharfes Denken, als vielmehr auf Anregung der gewohnten Vorstellungen innerhalb der gewohnten Ausdrucksweise an.

Die täglichen Loosungen und Lehrtexte sind Bibelsprüche, von denen jene aus dem alten, diese aus dem neuen Testament für jeden Tag des Jahres ausgeloost und beide mit einer nicht immer zutreffenden Collekte aus dem Brüdergesangbuch begleitet werden. Sie schlingen ein neues Band der Gemeinschaft um alle Mitglieder des Herrnhuterthums. An demselben Tage werden über denselben Bibelspruch die Betrachtungen im europäischen Betsaal wie zwischen dem Rohrgeflecht der Indianerhütten, bei der Thranlampe der Eskimo’s und unter dem tropischen Sternenhimmel der Plantagenneger angestellt; der Diasporaarbeiter, der vom Fichtel- oder Rhöngebirge herabsteigt, die Vogesen oder Karpathen durchstreift, behandelt zu gleicher Zeit wie sein Arbeitsgenosse auf den Niederungen des Ostseegestades den gleichen Stoff der Hausandacht für seine „erweckten Geschwister,“ und das schüchterne Mädchen, das in stiller Abgeschiedenheit des Schwesternhauses einen Antrag zur Ehe bekömmt oder einen Ruf auf Posten erhält, sucht ebenda einen bestätigenden, warnenden oder – tröstenden Fingerzeig ihrer Bestimmung, wo ihn für sein Wagniß der greise Missionär findet, der als Dolmetscher die englische Nordpolexpedition begleiten soll.

Die Loosungen, die seit 1731 zusammen auf ein ganzes Jahr im Voraus gedruckt werden, vor 1731 aber nur von einem Tag zum andern in den Abendsingstunden bekannt gemacht oder frühmorgens durch den besuchenden „Helfer“ Haus für Haus angesagt wurden, sind eine Erfindung des Grafen Zinzendorf. Indem er sein „Kirchlein in der Kirche“ wie ein Heerlager gegen Sünde und Versuchung, seine „Kinder Gottes“ wie Vorposten gegen den Unglauben und Aberglauben ansah, war der Gedanke ihm nah gelegt, auch eine Parole auszugeben. Und die Parole gibt der Anführer aus. So hat denn auch Zinzendorf, so lange er lebte, die Loosungen allein bestimmt; sie waren die letzte Arbeit seiner letzten Lebenstage und seit seinem Tode sind sie Sache derjenigen geworden, die nach ihm an die Spitze des Heerlagers traten.

Ich verließ Christiansfeld nach der Gemeinstunde, indem ich einen entschieden vortheilhaften Eindruck von der Gemeine mit mir nahm.




Drei Marschälle und ein Pinsel.
Balzac. – Der ungalante Damenliebling. – Die Frau à l’enfant. – Das Goldfieber. – Eugen Sue. – Der aristokratische Sozialist. – Le beau Sue (bossu). – Alexander Dumas. – Das Schluß Monte Christo. – Ehre und Gold. – Dumas bezahlt nicht. – Die literarische Fabrik und das Haus Dumas und Kompagnie. – Die Werke der Kompagnie. – Das Genie stiehlt nie. – Rosa Bonheur. – Der Unterrock in Männerkleidern. – Atelier und Pinsel.

Unter den mannigfachen Berührungen mit bekannteren Personen, die sich theils durch den Salonbesuch, theils bei anderen Gelegenheiten für mich nach meiner Rückkehr in Paris darboten, war die Balzac’s eine der interessantesten. Der berühmte Romanschriftsteller, Marschall der Literatur, zerstörte durch seinen persönlichen Eindruck jede Illusion, welche sich die Phantasie von einem Autor machen mußte, der in seinen Romanen eine schreckenerregende Kenntniß der Frauenherzen an den Tag legte, und eine graziöse Eleganz, die man vergeblich in der Person Balzac’s und in seinem Benehmen suchte. Als ich diesen berühmten Mann zum ersten Male sah und sprach, glaubte ich viel eher einen alten penslonirten Offizier vor mir zu sehen, denn einen der liebenswürdigsten Autoren. Groß, stark und fast eckig gebaut, trugen alle Manieren Balzac’s den Stempel einer derben Rauheit, obwohl man in dem tiefen Blick dieses Mannes eine bald sanfte, bald leidenschaftliche Gefühlswelt deutlich ergründen konnte. Aber nicht die geringste Spur von Eleganz des Benehmens oder von Feinheit der Tournüre war in dem Wesen dieses gleichwohl geistvollsten Schriftstellers; er stand, an’s Fenster gelehnt, mit der einen Hand die Lehne eines Sessels trommelnd, ganze Stunden lang in irgend einer Fensternische und schien förmlich mit Ueberdruß die Huldigungen entgegenzunehmen, welche sowohl Herren wie Damen ihm unausgesetzt darbrachten. Trotzdem war Balzac eine der interessantesten Personen; die kurze Antwort, welche er auf an ihn gerichtete Fragen gab und der Sarkasmus, der sehr oft darin lag, konnte Niemanden kränken, sobald man wußte, wer sie aussprach. Am originellsten schien mir die Art und Weise zu sein, mit der Balzac die Damen behandelte, deren tiefste Herzensgeheimnisse er veröffentlicht und deren Aufmerksamkeit ihm nicht das geringste Interesse verursachten. Das Originelle dieses Mannes war die an den Tag gelegte Gleichgültigkeit gegen das schöne Geschlecht, dem er gleichwohl so liebliche Kränze gewunden und welches das Studium seiner gesammten Werke bildet. Er hat von den Huldigungen der Damen, die ihn trotz der Indifferenz Balzac’s, wie ein verzogenes Kind behandelten und noch in seinem vorgerückten Alter die Liebe ihres Vernichters zu erstreben trachteten, niemals besondere Notiz genommen, sondern mit der größten Seelenruhe ihnen eröffnet, daß die Frauen die interessantesten Gegenstände für die Schriftsteller, aber viel weniger für die Männer seien.

Am meisten war es Balzac unangenehm, wenn man ihn nach den Motiven zu seinen Schilderungen fragte. Eines Abends trat lächelnd die junge Frau eines Künstlers zu ihm hin.

„Wissen Sie, Herr von Balzac,“ sagte sie und setzte sich ohne Weiteres neben den berühmten Autor, „daß ich mich gar nicht vor Ihnen fürchte, und nach Ihren Werken, die ich jetzt zum ersten Male gelesen, mir auch nicht denken kann, daß Sie, wie man sagt, unausstehlich ungalant seien?“

Herr von Balzac sah das reizende Weib betroffen an.

„Glauben Sie denn, daß ich glaube, was man von Ihnen erzählt?“

„Was erzählt man denn von mir?“

„Sie könnten nicht lieben.“

„Ah! der Teufel, Madame, man scheint Sie belogen zu haben.“

„Nicht wahr? Und überdies,“ fuhr sie schalkhaft fort, indem sie ihre Stimme dämpfte, „die Gräfin R… straft dieser Behauptung Lügen.“

Balzac erröthete.

„Madame,“ sagte er kurz, „ist das Alles, was Sie mir zu sagen haben?“

„Nicht doch, Herr von Balzac; aber ich frage Sie Alle, meine Herren,“ entgegnete sie und wandte sich zu den Umstehenden, „ob man die Frauen so beschreiben kann, wenn man nicht ihre Geheimnisse besitzt?“

„Madame,“ sagte Balzac, „ich besitzt keineswegs Ihre Geheimnisse; aber vielleicht habe ich die Ehre, sie noch einmal zu beschreiben.“

„Als eine Frau von zwanzig Jahren etwa?“

„Nein, als eine Frau à l’enfant.“

Die junge Dame lachte recht herzlich darüber und bat sich diesen projektirten Roman aus, wenn Herr von Balzac ihn habe drucken lassen.

Es mag sein, daß Balzac den Salon und die Damen desselben nicht liebte; denn er besuchte deren nur sehr selten und pflegte am liebsten in seiner Wohnung zu bleiben, die er mit einem fürstlichen Luxus und orientalischer Pracht ausgestattet hatte. Seine Leidenschaft für Gold und Reichthum war außerordentlich, ohne jedoch mit der Habsucht eine Spur von Geiz zu verbinden. Mit fieberhafter Glut trachtete Balzac danach, Gold zu erwerben und zog sich einsam Wochen lang in die großartige Pracht seiner Wohnung zurück, um zu arbeiten. Wie ein Kind freute er sich an dem blanken und gelben Glanz der Goldstücke, packte sie Stunden lang und legte sie mit innigem Behagen in allerhand Figuren auf dem Tische zusammen. Dann aber schien ihm dieser Reichthum Skrupel

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_121.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)