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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Verwirklichung der obigen Vorschläge praktisch Hand angelegt werden soll, in den Fall, einen Theil davon aufgeben zu müssen, weil bei ihrer völligen Durchführung ein Zusammenstoß mit einer solchen Menge von Interessen, die inzwischen ebenmäßig im bürgerlichen Leben zur Geltung gekommen sind, Statt finden würde, daß die Folgen gar nicht abzusehen wären. Dies ist auch der Grund, weshalb man überall, wo die Staatsgewalt auf die Wünsche der Handwerker einging, es nicht weiter, als bis zu einzelnen Concessionen, nirgend aber das ganze System in Ausführung gebracht hat. Aber eben die bisherige Praxis in diesen Ländern, besonders in Preußen, welches für sehr entgegengesetzte Versuche das beste Erfahrungsmaterial bietet, hat gezeigt, wie durch solche halbe Maßregeln nicht das Mindeste für die Verbesserung der Handwerkerzustände gewonnen wird. Da haben wir die Abhängigkeit des Etablissements von der Aufnahme in die Innung oder dem Bestehen der Meisterprüfung, da haben wir die Abgrenzung der Arbeitsgebiete, die Regelung des Lehrlings- und des Gesellenwesens, das Verbot, daß andere als geprüfte Meister Arbeiten ihres Fachs übernehmen oder Gesellen halten, mit geringen Ausnahmen zu Gunsten der Fabriken; da kann selbst das Beziehen der Wochenmärkte und das Halten von Magazinen zum Verkauf fertiger Handwerkerwaaren andern als Handwerksmeistern ortsweise untersagt werden. Aber daß sich durch alle diese Beschränkungen seit Erlaß der neuern Gewerbeordnungen die Zustände der Handwerker nur im Mindesten gebessert oder gehoben hätten, wird Niemand, der mit diesen Dingen vertraut ist, behaupten, am wenigsten die Handwerker selbst, welche fortwährend nach neuen, weitern Konzessionen schreien, eben weil sie fühlen, daß jene halben Maßregeln ihnen zu gar Nichts helfen. Weder ist durch die Nothwendigkeit des Beitritts zur Innung oder des Bestehens der Prüfung der Zustand zum selbstständigen Handwerksbetrieb geringer geworden, noch durch die andern Beschränkungen die Konkurrenz der Fabrikanten und Kaufleute abgewehrt. Schlimmsten Falls, wenn man es auch noch strenger nehmen wollte, finden sich zurückgekommene Handwerker im Ueberfluß, welche den Handelsleuten und Kapitalisten Namen und Dienst zur Verfügung stellen. Kurz, am Ende behalten diejenigen unter den Handwerkern, welche die völlige Umkehr zu den alten Zuständen fordern, in ihrer Art Recht. Wenn einmal auf dem Wege der Umkehr zum Alten die Verbesserung der Lage der Handwerker erreicht werden, wenn die vorgeschlagenen Beschränkungen zu Gunsten der Handwerker überhaupt einen Effekt haben sollen, so müssen sämmtliche angedeutete Maßregeln ohne alle Abschwächung und in ihrem nothwendigen Zusammenhange in das Werk gesetzt werden, oder das ganze System wird dergestalt durchlöchert und unhaltbar, daß es zu gar Nichts taugt.

Sehen wir in unserem nächsten Artikel die hierher gehörigen Forderungen der Handwerker im Einzelnen, rücksichtlich ihrer Ausführbarkeit etwas näher an.




Blätter und Blüthen.


Der große Bauernkrieg. „Man hat in dem Völker- und Staatenleben die Krankheitszustände, ihre Ursachen und Heilungen bisher viel weniger erforscht und dargestellt, als die Zeiten den Blühens und der gesunden Kraft. Weit zu wenig zur Erkenntniß des Gottesgerichtes, das sich in der Geschichte vollzieht, hat man die inneren Kämpfe und Entwickelungen, und am wenigsten das untersucht und unbefangen gewürdigt, was in der Tiefe der Gesellschaft lebte, webte und litt, was in ihr gährte und aus ihr heraufrang, in Europa überhaupt, und ins besondere im deutschen Reiche. Und doch ist ohne das Verständniß diesen Lebens und Regens in den Tiefen ein richtiges Verständniß der Geschichte den Ganzen nicht möglich.“

Mit diesen zu allen Zeiten, aber ganz besonders in der Gegenwart im höchsten Grade beherzigenswerthen Worten beginnt Dr. Wilhelm Zimmermann die Vorrede zur neuen ganz umgearbeiteten Auflage seiner „Geschichte des großen Bauernkrieges“ (Stuttgart; Rieger’sche Buchhandlung).

War schon die erste Ausgabe dieses Buches, welche 1843 erschien, ein bedeutendes Ereigniß auf dem Felde der vaterländischen Geschichtsforschung und eine ernste Mahnung an Jedermann, die Wogen der Geschichte in’s Auge zu fassen, auf denen das Schifflein jedes Einzelnen treibt, von jedem Augenblicke ebenso stürmischen Untergang wie ruhiges Dahingleiten erwartend, so gilt dies in vermehrtem Grade von der eben vollendet vorliegenden zweiten Auflage; und wenn man ein Buch ein Ereigniß nennen darf, so muß man Zimmermann’s Geschichte des großen Bauernkrieges als ein solches bezeichnen; ja neben ihm verdient in Anwendung auf Deutschland außer Gervinus’ Einleitung in die Geschichte des XIX. Jahrhunderts kaum ein anderes deutsches Geschichtswerk diese Auszeichnung. Neben der Darstellung der geschichtlichen Ereignisse, in der weitesten Auffassung des Begriffs, welche auf dem Gebiete der Gegenwart hervortreten, konnte die Gartenlaube keinen Augenblick zweifeln, Zimmermann’s Buch als ein solches nachdrücklich hervorzuheben. Sie hat damit gezögert, bis das neunte Heft den Schluß brachte und bis die sachkundige und unparteiische Kritik ihr Urtheil abgegeben hatte. Beides ist geschehen und wir zögern keinen Augenblick länger, dieses Volksbuch den Lesern der Gartenlaube dringend an das Herz zu legen. Ein Volksbuch ist es so recht eigentlich, denn es schildert das Ringen des Volkes nach Befreiung von unerträglichem Druck; er schildert dieses Ringen, da es mehr als dreihundert Jahre hinter uns liegt, mit der nüchternen Ruhe eines nicht mehr betheiligten Beobachters.

„Diese Bewegung (den großen Bauernkrieg)“, sagt Zimmermann in der Einleitung, „hat Treitschke sinnig die prophetische Vorbereitung der neueren Weltgeschichte genannt. Sie ist die gewaltige Ouvertüre zu dem Schauspiele, das sich auf dem Boden der neueren Zeit abspielt, und dem das Tragische nicht fehlt. Alle Erscheinungen der späteren socialen Bewegungen in Europa liegen in der Bewegung von 1525 eingeschlossen: sie ist nicht nur der Anfang der europäischen Revolutionen, sondern ihr Inbegriff im Kleinen. Alle die Erscheinungen, durch welche Staaten im Laufe der folgenden Jahrhunderte verändert wurden, sowie diejenigen, welche in unseren Tagen eine gesellschaftliche Umgestaltung vorbereiten, finden ihre Vorbilder in den Bewegungen von 1525, sowohl was Individuen, als was Ideen betrifft. Mit Recht nannte Treitschke den Geist Thomas Münzer’s (von welchem man dem Volke gewöhnlich nur die finstre Kehrseite als Gespenst zeigt) „einen Spiegel, der die Erscheinungen künftiger Zeiten in sich prophetisch darstellt.“

„Die Geschichtschreibung ging lange an diesem großen Ereignisse entweder mit halb abgewandtem Gesichte vorüber, oder die es berührten, mißhandelten dasselbe, aus Mangel eines unparteiischen, eines höheren Standpunktes.“

„Daß die folgende Darstellung Niemand ein Anstoß sein werde, wird nicht erwartet. Wer der Geschichte sich weiht, dem muß es um die Wahrheit zu thun sein und das Wohl der Menschheit, nicht um Gunst. Es ist schön, der Gegenwart zu gefallen, besser aber ist es, der Zukunft zu genügen.“

„Die Geschichte des großen Bauernkrieges“ zieht das Letztere vor, und ehrenhafte Geschichtsforscher, voran der alte Schlosser, Gervinus, Wuttke, Kortüm, haben in ihren Beurtheilungen einstimmig ihr Urtheil dahin abgegeben, daß das Buch „der Zukunft genügen“ wolle und daß dieses Streben ein gelungenes sei. Gervinus sagt von dem Buche: Der Geist der Zeit und der Geist der Geschichte, welche Zimmerman schildert, weht uns mit voller Unmittelbarkeit an. Gewiß heißt nur dies Geschichte schreiben, diese treue Bewahrung des Farbentones der Zeit, trotz alles Colorites, das die geschichtliche Kunst auftragen mag; und die A. A. Z. rühmt dem Buche nach: Die Darstellung besitzt große Vorzüge, sie ist lebendig, fließend, blühend, oft pathetisch und energisch.




Die Termiten. Ein in Westafrika Reisender erzählt in einem englischen Blatte ein Beispiel von dem Scharfsinn der Termiten oder weißen Ameisen, welche er vielfach in ihrem Thun und Treiben beobachtet hatte. Bekanntlich sind in und nach der langen Regenzeit große Ueberschwemmungen nicht seltene Erscheinungen, und kommt es nicht zu diesen, so bilden sich doch in der Nähe größerer Flüsse und Ströme sehr häufig eine Menge kleinerer Nebenflüsse. Diese bringen die Termiten, welche gerade auf einem Wanderzuge begriffen sind, dadurch oft in nicht geringe Verlegenheit, daß sie ihnen den Weg plötzlich abschneiden. Entweder entsteht durch einen Nebenfluß in Verbindung mit dem Hauptstrom eine Insel, auf der sich die wandernde Ameisenschaar wider Erwarten festgebannt sieht; oder diese will und muß, wer weiß das, den angetretenen Reiseweg ohne Aufenthalt oder ohne Umwege verfolgen: in beiden Fällen ist sie gezwungen, das Wasser ohne Brücke oder Fahrzeuge zu passiren. Wie aber sollen die Thiere das bewerkstelligen, da sie zwar schwimmen, aber der Kraft des Stromes nicht widerstehen können. Sie würden also jedenfalls mit dem Strome bedeutend abwärts und natürlich von ihrem Wege ganz fortgetrieben werden. In diesem Falle wissen sie sich prächtig zu helfen. Ehe sie aber diesen letzten Entschluß ausführen, sieht man sie in großer Unruhe am Wasser hin- und herlaufen und einen natürlichen Uebergang suchen. Finden sie einen solchen nicht, dann machen sie denselben auf ihre eigene Faust in folgender Weise. Eine Anzahl von Termiten, groß genug, um mit ihrer vereinten Kraft der Macht des fließenden Wassers Widerstand leisten zu können, klammert sich eine an die andere an, nicht aber in der Form einer Kette, sondern mehr als ein dichter Knäuel, von welchem der eine Theil den andern durch Ziehen, dieser jenen durch Entgegenstemmen unterstützt, die eingeschlagene Richtung festzuhalten und nicht stromabwärts getrieben zu werden. Sind sie nun glücklich am andern Ufer angekommen, und es gelingt ihnen dies fast ohne Ausnahme, so dienen die ersten, welche mit ihren Füßen das Land berühren, als Anker, vermittelst dessen die nachfolgenden das Wasser verlassen, und das Trockne erreichen können. Ist dann die ganze Schaar beisammen, so setzen sie in ihrer bekannten Art zu reisen, daß eine der andern in langer Reihe folgt, die Reise landeinwärts weiter fort.

Hzn.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_128.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)