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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Und man sagte doch, daß er das Osterfest zu Freiburg feiern wollte?“ Er schwieg einen Augenblick und setzte dann mehr für sich als zu dem Andern gewendet hinzu: „Und heute gerade muß Elsbeth mit am Rheinbau sein. Geb’ der Himmel, Friedrich, aber mir ahnt nichts Gutes, er ist ein gar wüster, wilder Herr, der Landvogt.“

Und der junge Mann seufzte, sein Auge noch immer auf die Gruppe der jungen Frauen geheftet, besorgt auf und strich sich mit der weißen Hand, der man es ansah, daß sie nicht, wie die breite Faust des Anderen, gewöhnt war, die schwere Eisenhacke zu führen, das blonde Haar aus der Stirn zurück. Sein älterer Gefährte warf ihm einen mitleidigen Blick zu und sprach dann, den Jüngeren auf die Schultern klopfend: „Kennst Du nicht das Sprüchwort, Heinrich, gestrenge Herrn regieren nicht lange? Und der Hagenbach ist Einer von der schlimmsten Art. Aber nur Geduld, Vogt,“ und er hob seine Faust drohend gegen den Reitertrupp, „Deine Zeit wird kommen, wie die des Wolfenschieß, den der Baumgarten erschlug, und wie des Geßler, den der Tell erschoß, kam.“

„Um Gott, Bruder!“ rief der Jüngere, und schaute sich erschrocken um, als wollte er sich vergewissern, daß Niemand des Bruders verwegene Rede gehört, „um Gott, was sprichst Du da, Friedrich? Wenn es der Vogt oder einer seiner Zuträger hörte, es wäre um Dich geschehen!“

„Oder um ihn!“ sprach der Andere mit kalter Ruhe, indem er die scharfe Axt gegen die Erde schleuderte.

Gleich darauf sprengte ein kleiner Reitertrupp an den Brüdern vorbei, an dessen Spitze ein großer, starker Mann in glänzender Kleidung ritt. Das Gesicht dieses Mannes war nicht unschön zu nennen. Die Stirn war hoch und bedeutend, an den Schläfen scharfkantig, wie aus Stahl gemeißelt; die Nase, lang und etwas gebogen, deutete auf unternehmenden, kühnen Sinn und die hellen, grauen Augen waren scharf, wie die eines Raubvogels. Der Mund war entschieden sinnlich geformt, groß und mit vollen, starken Lippen, während das Kinn, fest, kurz und breit, Entschlossenheit und Kraft des Willens verkündete. Dabei lag aber in dem ganzen Gesicht ein solcher Ausdruck von Härte und Gewaltthätigkeit, daß sich Jeder, der diesem Mann gegenüber stand und nicht zu seinen vertrauten Freunden zählte, von ihm abgestoßen fühlte. Uebrigens war er nicht mehr jung, wenn auch die einzelnen grauen Haare, die sich unter das braune Haupt- und Barthaar mischten, vielleicht mehr die Folgen eines stürmisch und rasch genossenen Lebens, als die eines kaum fünfzigjährigen Alters waren. Der Name dieses Mannes, den die Frauen und Mädchen im Breisgau, Schwarzwald, Sundgau und im Elsaß nur zitternd und zagend, wie den des Bösen, nannten, den die Männer aber unter Verwünschungen und Flüchen aussprachen, war: Peter von Hagenbach, Landvogt oder Statthalter der Herzogs Karl des Kühnen von Burgund in den ihm, seit dem Spätsommer von 1469 vom Erzherzog Sigismund von Oesterreich verpfändeten, sogenannten österreichischen Vorlanden.

Müde der ewigen Reibungen und Kriege mit der schweizerischen Eidgenossenschaft und des Geldes benöthigt, hatte nämlich der Erzherzog Sigismund seine sämmtlichen Besitzungen im Elsaß, Sundgau, Breisgau, auf dem Schwarzwalde, die Grafschaft Pfyrt und endlich die vier Städte: Rheinfelden, Seckingen, Lauffenberg und Waldshut – welche Besitzungen insgemein die österreichischen Vorlande genannt wurden – an Herzog Karl den Kühnen von Burgund gegen die Summe von 80,000 Gulden verpfändet. Die Beweggründe, die den Erzherzog zu dieser unpolitischen Handlung, welche einem der mächtigsten und eroberungslustigsten Fürsten seiner Zeit den Schlüssel Deutschlands in die Hände gab, verleiteten, waren, wie erwähnt, Ueberdruß an den ewigen Fehden mit der benachbarten Schweiz und außerdem Haß und Erbitterung gegen die Eidgenossen, hervorgerufen und genährt durch die Einflüsterungen des Adels in den Vorlanden und zum Theil in der Schweiz selbst, denen die Entwickelung des eidgenössischen Bundes, das Selbstbewußtsein und die wachsende Macht dieser Kuhbauern, wie die Barone im übermüthigen Spott die Schweizer nannten, ein Dorn im Auge war. Durch die Verpfändung an den mächtigen Herzog von Burgund, der nun der Eidgenossenschaft nächster Nachbar wurde, sollten zwischen dieser und dem Herzog Verwickelungen und Kriege erzeugt werden, die, nach der Meinung der Barone, nur mit der größten Demüthigung der Eidgenossenschaft endigen könnten – denn Herzog Karl war ein Fürst mit so gewaltiger Macht, daß selbst der eilfte Ludwig von Frankreich und der deutsche Kaiser Friedrich ihn fürchteten.

In diese ihm verpfändeten Länder setzte nun Herzog Karl als Landvogt den Ritter Peter von Hagenbach, einen stolzen, ungerechten und frevelmüthigen Mann, wie sich ein alter Chronist über ihn ausdrückt. Zu Breisach hatte der Landvogt seinen Sitz aufgeschlagen, und von hier aus drückte und knechtete er das Volk, das sehnlichst die milde Regierung des Erzherzogs Sigismund zurückwünschte. Obgleich mit einer schönen und liebenswürdigen Frau, einer Gräfin von Thengen, vermählt, schonte doch des Landvogts zügellose Begierde weder Frau noch Mädchen, ja selbst die Klostermauern und der Nonnenschleier schützten nicht vor des Mannes wilder Leidenschaft. Mit blutiger Strenge jede Auflehnung unterdrückend, wie er denn einst zu Tann vier der vornehmsten Bürger durch Henkershand hinrichten, zu Freiburg aber den Mitgliedern einer gegen ihn gerichteten Verschwörung, die sich die Zeisigen nannten, die Augen ausstechen und die Zunge ausschneiden ließ, hatte er diese Lande so eingeschüchtert, daß Alles vor ihm zitterte, und Niemand seine Stimme gegen den mächtigen Statthalter des Herzogs zu erheben wagte.

Angestachelt durch seine zwei vertrauten Freunde, die Barone von Hewdorf und Eptingen, reizte er selbst die Eidgenossenschaft durch seinen Uebermuth, und ließ in dem bernischen Amte Schenkenberg durch einen seiner Hauptleute, den Dietrich von Hasbein, sogar burgundische Fahnen aufstecken, eine Handlung, welche Bern, nachdem es die Fahnen mit Gewalt weggenommen, im Wiederholungsfalle als eine Kriegserklärung anzusehen drohete. Als nun vollends im April 1474 zu Constanz zwischen Eidgenossen und dem Erzherzog Sigismund, dem das Schicksal seiner verpfändeten Vorlande sehr zu Herzen ging, und der sie gern wieder von Herzog Karl einlösen wollte, die „ewige Richtung“ beschworen wurde, nach welcher von nun an alle Feindseligkeiten zwischen dem Hause Oesterreich und der Eidgenossenschaft ein Ende haben sollten, da wurde des Freiherrn von Hagenbach Benehmen ein noch viel drohenderes und herausfordernderes und er suchte vor Allem Breisach, wo er seinen Sitz genommen, zu befestigen und zu einem Hauptwaffenplatz der burgundischen Herrschaft zu machen.

Aus diesem Grunde nahm er auch den Rheinbau vor; er ließ nämlich Gräben um die Stadt ziehen, um dann den Rheinstrom hineinleiten zu können, und dadurch die Stadt uneinnehmbar zu machen; ein Werk, welches er mit solcher Eile betrieb, daß selbst an dem höchsten Feiertag der Christenheit die gesammte Bürgerschaft, Frauen und erwachsene Mädchen nicht ausgeschlossen, an den Gräben arbeiten mußte. Nur wer eine Buße von fünf Gulden zahlte, konnte sich an dem Tag von dem Frohndienst befreien. Allein nur die Wenigsten konnten bei den ohnedies so hohen Steuern und Abgaben, die unter der burgundischen Herrschaft eingeführt worden waren, diese Summe erschwingen. Und wer nicht zahlte, mußte arbeiten, denn der Vogt war unerbittlich.

So war des Mannes Wesen, dem Herzog Karl der Kühne von Burgund das Regiment in den ihm verpfändeten Ländern anvertraut hatte. Nach dieser nothwendigen Auseinandersetzung fahren wir in unserer Erzählung der Begebenheiten fort.

Wie der Landvogt so einhergesprengt kam, flogen die Hüte von den Köpfen aller Männer, die am Wege standen, und selbst Friedrich Vögelin, der unerschrockene Huf- und Waffenschmied, der neben seinem Bruder Heinrich, dem Goldschmied stand, rückte seinen breitkrämpigen Hut, wenn er ihn auch nicht so ganz ehrerbietig lüftete, wie die Uebrigen. Der Landvogt, der keinen Gruß erwiederte, bemerkte es auch, als er im schnellen Galopp an dem Brüderpaar vorüberritt, und mit herrischer Stimme rief er dem Waffenschmied zu: „Hut ab, Mann, Hut ab, oder es geht Dir an Kopf und Kragen!“

Der Schmied wurde dunkelroth im Gesicht, seine Faust umklammerte die Axt fester, und ein drohender Blick traf den Landvogt, als ihm sein Bruder Heinrich zuflüsterte:

„Friedrich, Friedrich – um Gottes Willen bezähme Dich!“

Mit einer gewaltigen Anstrengung bezwang sich auch der Schmied und da der Landvogt längst vorbei nach jener Gruppe von Frauen hingesprengt war, zu welcher der junge Goldschmied beim Nahen des gefürchteten Landvogts so ängstlich hingeschaut, murmelte er: „Du hast Recht, Heinrich, ich werde noch ein paar Tage warten.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_130.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)