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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Fragend blickte Heinrich, der den Sinn dieser Worte nicht verstand, den Bruder an, als dieser, der noch immer dem Landvogt nachschaute, ausrief: „Sieh da, sieh da, Heinrich, der Landvogt spricht mit Deiner Elsbeth!“ Und er deutete auf die oben bezeichnete Gruppe von Frauen, vor welcher der Landvogt mit seinen Begleitern hielt.

Eine tiefe Blässe flog bei des Bruders Worten über des jungen Mannes Gesicht, mit bebender Hand faßte er des Waffenschmieds Arm und indem er die Worte: „Komm’, komm’, Bruder!“ stammelte, zog er ihn nach der Gruppe zu, wo der Freiherr von Hagenbach mit einer jungen, schönen Bürgersfrau, die erröthend[WS 1] die Augen niedersenkte, sprach. Es war dies eine Auszeichnung, die Schlimmes bedeutete, denn der Landvogt sprach nie mit einer hübschen jungen Frau, falls er nicht Böses gegen sie im Sinne hatte.

„Helfe mir Gott!“ rief er in munterer Weinlaune, denn er kam von der Mittagstafel, „da treffe ich auf einmal das schöne Kind, das immer so ehrbar hinter dem Erkerfenster am Markte sitzt. Hätte ich doch nie geglaubt, daß im Breisgau so schöne Blumen wüchsen! Ich habe zwar schon so manches hübsche Blümlein gesehen, aber solch’ eine schöne Rose doch noch nicht! – Meint Ihr’s nicht auch, Herr von Eptingen?“

Der Herr, an den die Frage gerichtet war, zuckte verächtlich die Schultern, und entgegnete kurz und trocken:

„Ich bin mein Leben lang kein Liebhaber oder Kenner von solchen Dingen gewesen, Herr Freiherr, aber wäre ich es, so würde ich wahrlich nicht viel Federlesens machen und die Rose, wie ihr sagt, pflücken, wo ich sie fände.“

Der, welcher so sprach, war der Baron Konrad von Eptingen, einer jener handelsüchtigen, stolzen Edelleute, die seit Jahren mit der Eidgenossenschaft in Fehde und Feindschaft lebten und, stets besiegt, endlich in burgundische Dienste getreten waren, um den Herzog Karl so lange zu reizen, bis er der Schweiz den Krieg erkläre, da sie allein zu ohnmächtig waren, etwas gegen den Kuhstall, wie sie verächtlich die Eidgenossenschaft nannten, zu unternehmen. Das geeignetste Werkzeug für ihre Pläne aber war der Freiherr von Hagenbach, der, von gleichem Haß gegen die Eidgenossenschaft erfüllt, ihren Rathschlägen bereitwillig Gehör gab, und den sie auch deshalb stets umlagert hielten.

Die junge Frau erglühte bei des Barons von Eptingen brutaler Rede in Wahrheit wie eine dunkle Rose und trat einen Schritt zurück, um sich hinter den anderen Frauen zu verbergen, als sie sich plötzlich am Arm gefaßt fühlte und eine ihr wohlbekannte Stimme mit zornigem Beben zu dem Baron sagen hörte: „Aber die Rosen haben auch Dornen, gnädiger Herr, und die Dornen stechen bis auf’s Blut.“

Der Mann, der diese kühnen Worte sprach, war der junge Goldschmied Heinrich Vögelin, des jungen Weibes Gatte, der mit seinem Bruder, dem Waffenschmied, in demselben Augenblicke an die Gruppe herangetreten war, als der Herr von Eptingen die schnöde Antwort auf des Landvogts Frage gab. Das sonst so sanfte, fast schüchterne Gesicht des jungen Goldschmieds, der sich in seinem Theuersten gekränkt fühlte, glühte und ein Zittern flog über seine ganze Gestalt. Der Landvogt aber, ganz erstaunt über die kühne Gegenrede des jungen Mannes, richtete sich in den Steigbügeln hoch empor und rief:

„Wie kannst Du, Fant, es wagen, dem Herrn von Eptingen so dreiste Antwort zu geben? Hast Du vergessen, daß er unseres gnädigsten Herzogs Rath ist und ich sein Landvogt in diesen Landen bin? Wahre Deine Zunge, Gesell,“ setzte er drohend hinzu, „mich könnte sonst die Lust anwandeln, Dich stumm zu machen, wie die grünschnäbligen Zeisige zu Freiburg.“

Bei dieser Anspielung auf die oben erwähnte grausame Bestrafung der Verschwörer zu Freiburg erbleichten alle die Männer und Frauen rings herum und selbst des Waffenschmieds herkulische Gestalt, der bis jetzt ruhig, wie ein jeder anderer Zuschauer, neben seinem Bruder gestanden, schauerte zusammen. Die junge Frau aber, der die Drohung des Landvogts alles Blut aus den Wangen gejagt, rief, die Hände flehend zu dem Freiherrn empor streckend, mit Thränen im Auge: „Um der heiligen Jungfrau willen, gnädigster Herr, Ihr werdet nicht Solches thun –“

Der Freiherr lachte spöttisch und indem er sich vom Pferde herabbeugte und die junge Frau auf die Wangen klopfte, sprach er:

„Wenn ich es nicht thue, so geschieht es nicht der heiligen Jungfrau willen, mein Närrchen, sondern Deinetwillen – Gottes Tod, Schurke, was ist das?“ unterbrach sich der Landvogt plötzlich selbst mit erschrecklicher Stimme und Geberde.

Heinrich, seiner beim Anblick der schmachvollen Liebkosung des Landvogts nicht mehr mächtig, hatte das Pferd des Freiherrn beim Zügel ergriffen und es mit Gewalt von seiner jungen Gattin zurückzuziehen versucht. Diese Geberde brachte den Landoogt, dessen Groll ohnedies noch nicht beschwichtigt war, außer sich.

„Lacroix!“ rief er, außer sich vor Wuth, dem burgundischen Rottmeister, welcher die Reiterescorte befehligte, in flamländischer Sprache zu, „bindet den Mann und schafft ihn zur Stadt in den Thurm.“

War auch die Sprache, in welcher der Landoogt seinen Befehl ertheilte, den meisten der versammelten Männer unverständlich, so erriethen sie doch den Sinn desselben sogleich aus dem Verfahren des Rottmeisters, der sich mit einigen der Reiter dem jungen Goldschmied, den sein Weib angstvoll umfaßt hielt, näherte, und ein dumpfes Gemurmel des Unwillens lief durch die Gruppen und Reihen des Volkes. Der Landvogt hörte es und sich höher im Sattel emporrichtend rief er mit dröhnender Stimme:

„An die Arbeit, Ihr Leute, und keine Meuterei oder ich will Euch einen stillen Freitag anrichten, wie noch keiner zu Breisach gefeiert wurde.“

Aber das drohende Gemurmel verstummte nicht und hie und da machten einige junge Leute schon Miene, den Reitern bei der Ausführung ihres Auftrags Widerstand zu leisten, als der Waffenschmied mit lauter Stimme rief:

„Ruhe, Ihr Männer und Leute von Breisach.“ Darauf fuhr er, sich zu dem ihn erstaunt anblickenden Freiherrn gewendet, fort: „Uebermorgen ist das heilige Osterfest. Und zu Ostern gab der römische Landpfleger Pontius Pilatus den Barrabas los, der doch ein Mörder war, warum sollte der Herr Landvogt mit meinem Bruder, der nicht einmal so schwerer Unthat schuldig, nicht ein Gleiches thun?“

Ein unwilliges Gemurmel der Frauen war die Antwort auf diese Rede des Waffenschmieds, die Vielen unbrüderlich und lieblos klang und selbst einige der Männer schauten ihn betroffen an, der Waffenschmied aber kümmerte sich nicht weiter darum, sondern schlug seinen Bruder tröstend auf die Schulter, indem er dabei sagte:

„Und nun gehe getrosten Muthes, Bruder, der Herr Landvogt wird es gnädiglich mit Dir machen und übermorgen ist Ostern.“

Der Landvogt, ganz überrascht von diesem geschmeidigen Benehmen des Waffenschmiedes, den er immer als einen unverzagten, ihm und der burgundischen Herrschaft abhold gesinnten Mann kannte, wußte für den Augenblick nicht, was er auf des Mannes Rede entgegnen sollte. Im Grunde war er aber froh über dieses Benehmen des Schmiedes. Denn wenn er sich auch vor einer etwaigen Meuterei zu Gunsten des Gefangenen nicht fürchtete, so wäre ihm doch bei den jetzigen politischen Zuständen ein Aufstand inmitten der burgundischen Herrschaft nicht lieb gewesen. Spöttisch lachend rief er daher, sein Pferd herumwerfend:

„Du sollst Recht haben, Waffenschmied, wie Pontius Pilatus den Barrabas, will ich zu Ostern Deinen Bruder freigeben. Und Du, mein schönes Kind,“ fuhr er, sich zur weinenden Elsbeth wendend, fort, „weine Deine schönen Aeuglein nicht roth und gräme Dich nicht allzu sehr, vielleicht findet sich für den Gemahl ein Stellvertreter.“

Seine Begleiter lachten hell auf und weiter jagten die Herren, während die Soldaten den jungen Mann gebunden nach der Stadt führten und das Volk unter heimlichen Verwünschungen gegen die burgundischen Dränger wieder zur Arbeit ging. Als sich nun Alles wieder zerstreut hatte, zog der Waffenschmied seine weinende Schwägerin bei Seite und sprach zu ihr:

„Seid ruhig, Elsbeth, und härmt Euch nicht allzu sehr – es geht dem Heinrich nicht an den Kragen, nehmt mein Wort darauf. Und nun geht heim zu Eurem kleinen Johannes und haltet Euch still in Eurem Hause. Wenn Ihr an meinem Laden vorübergeht, so grüßt meine Gertrud und sagt ihr, sie solle unbesorgt sein, wenn ich nicht gleich vom Rheinbau nach Hause käme. Ich habe noch einen Gang über Land zu machen und werde vor Nachts nicht wieder da sein – Nun Gott befohlen, Elsbeth!“

Und während die junge Frau schluchzend zur Stadt ging, kehrte der Waffenschmied wieder an seine Arbeit zurück.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: erröröthend
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_131.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)