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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Zerreißung der Gefäße im Gehirn veranlassen kann. – Den von Gicht Heimgesuchten kann der Arzt, ebenso wie den an Fettsucht oder Blutarmuth Leidenden sehr oft schon durch bloße Regulirung der Diät von allen seinen Beschwerden befreien; den Brustkranken wird er durch Athmungsregeln, den an Magen- und Darmübeln Erkrankten durch Trink- und Speiseregeln Hülfe schaffen können. Kurz der mit den Vorgängen im gesunden und kranken Menschenkörper vertraute Arzt wird in den allermeisten (freilich nicht in allen) Fällen von Kranksein ohne jede Arznei, nur durch Anordnen eines zweckmäßigen diätetischen Verhaltens hülfreiche Hand reichen können. Aber freilich nennt das die unwissende Menge „Nichtsthun,“ während sie das Quacksalbern von Charlatanen und Heilkünstlern, die den Kranken niemals untersucht und wohl gar nicht einmal gesehen haben, oder die wie die Homöopathen nur gegen die hervorstechendsten Krankheitserscheinungen eine Masse von Nichtsen mit Arzneimittelnamen ganz ernsthaft durchprobiren, für gelehrtes Thun ansehen.

Was ist denn nun hiernach des Vf.’s Ansicht und Behauptung? Jeder, wer sich unwohl oder krank fühlt, soll sofort „Etwas“ dagegen thun und zwar Das, was die unwissende Menge ebenso der Laien wie Aerzte „Nichts“ nennt, d. h. er soll eine zweckmäßige diätetische Behandlung seines Körpers einschlagen und nicht in seinem alten Schlendrian so lange fortleben, bis er nicht mehr fort kann, was der Bf. „Nichtsthun“ nennt. Thäte man gleich beim Beginne von Krankheiten dieses Etwas, es würden sicherlich viele Leiden bald nach ihrem Entstehen wieder vergehen oder doch keine so große Ausbreitung, Dauer und Gefährlichkeit erreichen, wie dies zur Zeit sehr oft der Fall ist, zumal bei Kinderkrankheiten. Fragte man aber schon bei gesunden Tagen einen wissenschaftlich gebildeten Arzt um Rath und ließe sich über die seinem Körperzustande dienliche Lebensweise unterrichten, dann käme es weit seltener zum Krankwerden, als jetzt, wo man lange suchen muß, ehe man einen ganz gesunden Menschen findet; gesunde Frauen scheint es gar nicht mehr zu geben. – Bei dieser Ansicht, wenn sie einmal ordentlich Eingang bei der großen Masse gefunden haben wird, hofft der Vf., daß „der Arzt der Zukunft“ der Menschheit weniger durch Curiren, als durch Abhalten von Krankheiten Nutzen schaffen wird. In der Gegenwart freilich, wo der Bildungsgrad ebenso der hoch- wie niedriggestellten Menschheit in Bezug auf die Kenntniß und Behandlung ihres Körpers und ihrer Gesundheit ein so äußerst geringer ist, würde der Arzt der Jetztzeit, der blos nach obiger Ansicht handeln wollte, sehr bald verhungern müssen, denn „mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens“ und „populus remedia cupit“ d. h. ohne Medicin geht’s heutzutage nun einmal nicht. Deshalb wird auch noch lange der allopathische, homöopathische, isopathische, hydropathische, dynamische, schrothsche, rademachersche, sympathische, mystische und gymnastische Curir-Hokuspokus und Schwindel großen Anklang finden; auch werden noch lange zu ihrem Aerger die bedoctorhuteten Heilkünstler neben sich Hufschmiede, Schäfer, alte Weiber, Somnambule, lebens-magnetische Kraft-Secretaire, Tischrücker und Geisterklopfer, buchhandelnde Geheimmittelkrämer u. dgl. heilmächtige Personen als Collegen sehen. Man sollte sich eigentlich darüber freuen, daß die jetzige Menschheit bei ihrem hartnäckigen Sträuben gegen die Aufklärung durch die Naturwissenschaften, bei ihren blödsinnigen Ansichten über die Naturerscheinungen und über die Beschaffenheit ihres eigenen Körpers, sowie wegen ihrer Willensschwäche, ihrer Inhumanität und Selbstsucht, zu Schande gedoctert, gerademachert, geschrothet und geprießnitzt wird, denn wer nicht hören will, muß fühlen; aber es ist doch gar zu traurig, ruhig und freudig zuzusehen, wie der so großer körperlicher und geistiger Ausbildung fähige Menschenkörper aus purer Dummheit ruinirt wird. Wer sollte da, wenn er in Folge dieses Ruins die Menschheit fast in jeder Hinsicht ihren Menschenwerth tagtäglich immer mehr verlieren sieht, nicht Weltschmerz und Lebensmüdigkeit empfinden, auch wenn sich darüber genußsüchtige, eitele Egoisten lustig machen?

Also hübsch bei Zeiten dazu gethan, die Gesundheit zu erhalten und Unwohlsein zu heben, nicht so lange mit den Vorsichtsmaßregeln gewartet, wie dies gewöhnlich geschieht, bis nicht mehr zu helfen ist. Denn was machen beim Unwohlsein viele Aerzte und die meisten Laien jetzt? Sie warten, ja wenn sie sogar schon die Krankheit deutlich herannahen sehen, bis das Uebel sich zu einem solchen Grade ausgebildet hat, daß von einer völligen Wiederherstellung gar nicht die Rede sein kann, und so wandern dann die meisten Patienten aus der Hand des einen Quacksalbers in die des andern, um endlich durch die dunklen Kräfte der Somnambulen, der Wunderdoctoren und Geheimmittel viele Jahre früher, als dies nöthig wäre, in das dunkle Grab gestoßen zu werden. Manche Aerzte beruhigen sich freilich dann damit, daß sie sich bei der Behandlung alle Mühe gegeben und Alles gethan haben, um es, wie Göthe den Mephistopheles von der Medicin sagen läßt, am Ende gehen lassen zu können, wie es Gott gefällt. Hätten sie es doch lieber gleich vom Anfange an gehen lassen, aber wie’s Gott gefällt. Auch gibt es noch Heilkünstler, die sich darüber Vorwürfe und Gewissensbisse machen können, daß sie einem Verstorbenen vor seinem Tode nicht noch etwas Blut abgezapft, einige Blutegel ge- und dieses oder jenes Medicament versetzt haben, nicht aber darüber, daß sie dem Kranken durch falsche diätetische Behandlung, besonders in Bezug auf Nahrung und Luft, umbrachten. Sie gleichen jenem Arzte, der zu seiner Beruhigung, um bei gefährlichen Krankheiten Alles gethan zu haben, schließlich dem Patienten noch einen gesunden Zahn auszog.

Im Folgenden will der Verf. versuchen, den Leser mit denjenigen diätetischen Regeln bekannt zu machen, welche beim ersten Unwohl- und Krankwerden, bei innern und äußern Leiden zu beachten sind, zugleich aber auch andeuten, wo und wenn ein Kranker sich sobald als möglich der Behandlung eines rationellen Arztes unterziehen muß. Denn ganz unentbehrlich werden die Aerzte wohl nie, obschon ihr Geschäft in der Zukunft sicherlich mehr im Verhüten als im Heilen von Krankheiten bestehen wird. Laßt Euch einmal das Wirken eines „rationellen Hausarztes der Zukunft“ in Kürze beschreiben. Zuvörderst würde Euch derselbe über das Klima und den Ort, welchen Ihr eben bewohnt, solche Aufklärung geben, welche zur Erhaltung Eurer Gesundheit beitrüge; sodann würde er Euch in der Wahl und Einrichtung der Wohnung unterstützen und hier vorzüglich die gesündeste Stube zum Schlafzimmer und zum Aufenthalte für die Kinder auswählen; ja sogar die Geräthschaften der Küche und die Beschaffenheit der Abtritte und Gruben dürfen dabei nicht unbeachtet von demselben bleiben. Was Eure eigne Person betrifft, so würde Euch ein solcher Arzt auf diejenigen Eurer Gewohnheiten (in Bezug auf Essen und Trinken, Kleidung, geistige und körperliche Thätigkeit u. s. f.), welche nach und nach die Gesundheit untergraben können oder schon untergraben haben, aufmerksam machen und zugleich die passenden Mittel und Wege zur Kräftigung Eures Körpers angeben. Sein Hauptaugenmerk würde aber auf die Kinder gerichtet sein und diese sollten von demselben nicht blos in körperlicher, sondern auch in geistiger Beziehung strenge überwacht werden. Da es nun jetzt derartige rationelle Hausärzte der Zukunft nur noch wenige gibt, und die unwissende Menge selbige zur Zeit nicht einmal wünscht, so schenkt beim Krankwerden wenigstens blos solchen Heilkünstlern Euer Vertrauen, die Euren Körper (besonders an den kranken Stellen) genau untersuchen (befühlen, beklopfen, behorchen), Euch hinsichtlich Eurer Lebensweise bis in’s Kleinste examiniren, Euch in Bezug auf Essen und Trinken, Wohnung und Kleidung, Luft, Bewegung und Ruhe, Wärme und Kälte u. s. w. Verhaltungsmaßregeln geben, die dem Ausspruche Wunderlich’s beistimmen: „wo die Receptensucht aufhört, fängt die Therapie an,“ oder mit Griesselich behaupten: „die edelste Aufgabe der Heilkunst bestehe darin, sich selber (nämlich die Aerzte) überflüssig zu machen.“ Solche Aerzte nennt man rationelle oder vernünftige (von ratio, die Vernunft), und die neuere Heilkunde, welche durch die richtige Einsicht in den gesunden und kranken menschlichen Körper solche Heilkünstler zu bilden strebt, heißt die rationelle Medicin, aber nicht etwa Allopathie, Homöopathie u. s. f. Diese Vernunftmedicin strebt danach, die Unordnungen in der Erhaltung (Ernährung, Stoffwechsel) unseres Körpers und deren Ursachen zuvörderst richtig zu erkennen, lehrt dann dieselben zu vermeiden und auf naturgemäßem Wege wieder in Ordnung zu bringen, und zeigt auch, wie die meisten Krankheiten ohne Arzneimittel, nur bei gehöriger Einwirkung der richtigen Lebensdürfnisse und naturgemäßen Heilhülfsmittel in Gesundheit ausgehen. Heil der Vernunftheilkunst, Schmach über jede Quacksalberei und Charlatanerie!

(Fortsetzung folgt.)   Bock. 



 

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_154.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)