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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

umsonst den Namen Jean Paul’s. Fragen Sie ihn um Rath, lesen Sie in seinen Schriften und Sie werden fest in der Erkenntniß bleiben, daß kein Ideal aufgegeben werden darf um äußerer Rücksichten willen!“

Wie Bruno die beiden Damen so hatte sprechen hören, trat er plötzlich hervor, ohne sich zu besinnen, was er that, und stand wie eine geheimnißvolle Erscheinung mit jenen Worten vor ihnen.

Erschrocken war die ältere Dame aufgesprungen, indeß Amanda, wie verzaubert, sitzen blieb. Ihr schön geformtes, ausdrucksvolles, aber bleiches Gesicht erglühte, ihre blauen Augen sahen erschrocken und doch so seelenvoll zu dem Fremden auf, ihre schlanke, zarte Gestalt zitterte und vermochte wohl eben darum sich nicht zu erheben, noch ein Wort hervorzubringen, indeß die andere Dame sagte:

„Mein Herr, welche Indiscretion! Wer sind Sie, daß Sie sich nicht scheuen, sich in so zudringlicher Weise in die Unterhaltung fremder Damen zu mischen?“

„Ein Jünger Jean Paul’s,“ antwortete Bruno mit erzwungener Fassung. „An dieser geweihten Stelle ist es erlaubt, im Sinne dieses erhabenen Genius zu sprechen und seinen Beistand Allen zu empfehlen, die dessen bedürfen sollten. Ich konnte nichts Anderes wollen, als dies, und werde Ihnen nicht länger lästig fallen.“

Mit höflichem Gruße ging er von dannen und überließ die beiden Damen den verschiedenartigsten Empfindungen.




II.

Bruno Meinhardt war schon seit einiger Zeit auf der Reise und allein. Man weiß, was das zu sagen hat. Auf der Reise wird selbst der vertrocknetste Geschäftsmann, der eingerostete Pfahlbürger, der entschiedenste Philister ein anderer Mensch, wie viel mehr nicht der lebensfrohe Jüngling. Ein jeder Reisender geht aus sich heraus, nimmt Leben und Menschen, wie beides sich bietet, kommt über hergebrachte konventionelle Formen und über tausend Vorurtheile, die daheim ihm das Leben erschweren, leicht hinweg und denkt nicht, wie in seiner Vaterstadt, daran, was die Leute dazu sagen werden. Ja, es kitzelt ihn wohl gar, in heiterem Uebermuth der Reisefreiheit, diese mannigfach zu benutzen, und das ihm gleichgültige Urtheil fremder Menschen im flüchtigen Begegnen geradezu herauszufordern.

Als Bruno sich selbst in diesem Falle befand, handelte er zwar nicht aus Absicht rücksichtslos, aber er war es schon gewohnt geworden, der Eingebung des Augenblicks sich hinzugeben und mehr als daheim der poetischen Stimmung seines Innern zu folgen, die Flügel seiner Seele frei zu entfalten und von ihnen über das Alltägliche hinweg sich tragen zu lassen. Die Reisefreiheit benutzte er nicht, um unter Unbekannten und im Geheimen die Schranken zarter Sitte oder gar der Sittlichkeit zu überspringen, sondern nur, die poetische Idealität seiner Natur weniger zu beschränken und sie frei walten zu lassen, wo keine nüchternen Bekannten ihn darum bespöttelten.

Nun wandelte er hier auf den Spuren des großen deutschen Dichters, der immer dem Herzen und seinen Gefühlen zum heiligen Rechte verhalf. Von Jean Paul’schen Erinnerungen und Mahnungen durchdrungen, hatte er an sie sich hingegeben, und da er jene Frauenstimmen gehört, war es ihm gewesen, wie ein sanfter Anklang aus seinen Werken. Aber wie Blasphemie erschien es ihm gerade an dieser Stätte, Zeuge zu sein, wie ein empfindsames Mädchenherz um ihre Ideale betrogen werden sollte für ein ganzes Leben, wie an diesem Betrug eine Andere sich betheiligen wollte, die selbst eine Betrogene war und, statt vor dem gleichen Schicksal Jene zu schützen, es ihr selbst mit zu bereiten gedachte. Das hatte in seine Seele gegriffen. Sein ganzes Wesen war ohnehin erregt von poetischen Eindrücken und physisch angegriffen von der weiten Wanderung. Ihm war zu Muthe, als sehe er ein herrliches, singendes Vöglein in einem listig ausgestellten Netz sich fangen, um dadurch für immer der goldenen Freiheit beraubt zu werten – als müsse er das Netz zerreißen, damit nicht so Schreckliches geschehe. In diesem Erregtsein trat er hastig hervor und sprach, was der Augenblick ihm eingab. Wie konnte er anders hier, mit allen Verhältnissen unbekannt, ein Befreier werden, als wenn er ein edles, aber zagendes Herz an den verwies, der am Besten auch die zarten Mädchenherzen ergründete und darum sie zu stärken und zu schirmen verstand?

Aber als Bruno Meinhardt am folgenden Tage in einer nüchternen Morgenstunde die gestrige Scene auf dem Jean Panl’s–Platz überdachte, kam sie ihm selbst doch etwas wunderlich vor für ein Reiseabenteuer und Reisefreiheit. Das Bild der holden Amanda stand lebendig vor seiner Seele; er mußte mehr von ihr erfahren, sie wiedersehen, sich vor ihr rechtfertigen, er mußte ihr Beschützer werden. Solch liebreizendes Wesen durfte nicht in engherziger Umgebung verkümmern, nicht einem ungeliebten Manne geopfert werden.

Bruno ließ sich die Fremdenliste bringen und las sie aufmerksam durch; ein vergebliches Bemühen. Denn war auch Alexanderbad nicht eben sehr besucht, es standen doch sehr viele Familien „mit Fräulein Tochter oder Töchtern“ da und die Vornamen waren nicht mit verzeichnet. Aber der Name Blumenbach fesselte ihn, dahinter das Wort „Rentier.“

„Das also ist er,“ sagte er für sich, „ein Rentier ist immer ein Freier, der selten abgewiesen wird. Aber wer weiß auch, was es mit seinen Renten für eine Bewandtniß hat – in den Bädern muß man mißtrauisch sein gegen Alles, was nach seinem Vermögen sich nennt – vielleicht kann ich mir Aufklärungen über diesen Blumenbach verschaffen, kann ihn sondiren.“

Indem Bruno, sich in diese Gedanken vertiefend, in den Promenaden auf und nieder ging, holte ihn ein stattlicher Herr in mittleren Jahren ein und knüpfte in freundlich gesprächiger Weise eine Unterhaltung mit ihm an, wie das harmlose Badeleben sie mit sich bringt. Bruno ging gern eben so freundlich darauf ein. Er hatte schnell beschlossen, einige Tage hier zu bleiben, und jede Bekanntschaft mit einem alten Badegast, als welcher sich der Fremde zu erkennen gab, war ihm erwünscht, weil er dadurch um so eher auf eine Gelegenheit rechnen konnte, von seiner interessanten Unbekannten etwas zu erfahren. Bei den vielen Grüßen, welche derselbe sowohl empfing, als auch an die ihm begegnende Damenwelt austheilte, konnte Bruno um so eher darauf zählen, daß auch Amanda seinem Begleiter bekannt sei, und er war darum zuweilen etwas zerstreut bei der Unterhaltung, weil er immer mit den Augen umherspähete, ob er sie nicht irgendwo erblicke.

Endlich war ihm auch hierin der Zufall günstig. Amanda kam an der Seite einer andern, als ihrer gestrigen Begleiterin. Die Dame an ihrer Seite war sehr elegant und luxuriös gekleidet und schien durch ihre stolze und herausfordernde Haltung auch ein besonderes Gewicht darauf zu legen. Eine majestätische Gestalt mit einem frischen Gesicht und feurigen Augen, konnte sie wohl für eine schöne Frau gelten – aber ein Ausdruck von Gemeinheit und kaltem Egoismus in ihren Zügen fiel sogleich Jedem auf, der nur ein wenig Sinn für physiognomische Betrachtungen hatte, und that ihrer oberflächlichen Schönheit großen Eintrag. Sie erschien wie eine prahlende Tulpe neben Amanda, die einer zarten, halbgeöffneten Lilie glich. Sie erschien heute bleicher, als gestern, und es war, als habe Nachtthau im Kelch ihrer Augen gestanden.

Bruno erblickte und erkannte sie schon von Weitem und fragte seinen Begleiter: „Wer sind diese Damen?“

Die Erwiderung ward mit freundlichem Lächeln gegeben:

„Frau Regierungsräthin Scharndorf und ihre Tochter Amanda, meine Braut. Wenn Sie wünschen, stelle ich Sie den Damen vor, auf die ich so eben gewartet.“

Bruno blieb wie angewurzelt stehen und schien bestürzt nach Fassung zu ringen.

Der Fremde beobachtete gespannt dies auffallende Betragen.

Plötzlich fragte Bruno entschlossen:

„Mein Herr – verzeihen Sie, wenn ich zweifle – seit wann nennen Sie dies Mädchen Ihre Braut? Wie ist Ihr Name?“

Erstaunt und fast frappirt von dieser Frage, nahm der Fremde einen zusammengefalteten Brief aus seiner Tasche und überreichte ihn Bruno, ohne ein Wort zu sprechen, aber ihn scharf beobachtend.

Bruno öffnete und las die in der üblichen Weise lithographirte Verlobungsanzeige:

„Die Verlobung ihrer Tochter Amanda mit Herrn Rentier Wilhelm Blumenbach beehren sich Verwandten und Freunden ergebenst anzuzeigen
Regierungsrath Scharndorf und Frau.“ 

Bruno zerriß den Brief, warf das Papier zu Boden und sagte:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_158.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)