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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

und meine Erfahrungen in New-York waren mir trefflich zu Statten gekommen. Aber die Zustände in den Sclavenstaaten hatten für mich zu viel des Ekelhaften, als daß ich mich hätte entschließen können, länger, als eben nöthig, dort zu verweilen. Ich komme vielleicht später auf dieses Thema zurück.

Bei diesen Kreuz- und Querfahrten traf ich übrigens noch manche Angehörige der schleswig-holsteinschen Armee. Einzelnen ging es äußerlich sehr gut, sie erwarben viel Geld; manchen so ziemlich erträglich, mehreren aber nur schlecht, so daß sie bei harter Arbeit nur eben die nothwendigsten Lebensbedürfnisse befriedigen konnten. Am besten waren stets alle die daran, die irgend ein Handwerk trieben, am schlechtesten aber die, welche nur eine theoretische Wissenschaft gelernt hatten. Einen unserer Artillerie-Officiere, der in Schleswig-Holstein sich gerade nicht durch sonderlich platonischen Lebenswandel ausgezeichnet hatte, traf ich in Boston als Lehrer der Naturwissenschaften in einem großen, berühmten Mädcheninstitut, und im Begriff, die Vorsteherin desselben, eine schon etwas ältliche Engländerin, die mehr Dollars wie körperliche Reize besaß, zu heirathen. Der dicke, lustige Hauptmann N., der stets ein so großes gastronomisches Talent bewiesen, war in New-Orleans Inhaber einer Delikatessenhandlung, und verdiente nach seiner eigenen Aussage viel Geld; eben so waren in letzterer Stadt einige unserer früheren Militairärzte sehr beschäftigt, während ein junger früherer Artillerie-Lieutenant als Matrose auf einem Paketboot nach England fuhr, mir aber selbst sagte, daß er Aussicht habe, es noch zum Steuermann, ja selbst bis zum Capitain zu bringen.

Auf einem dieser liederlichen amerikanischen Flußdampfer, die von Louisville nach New-Orleans auf dem Mississippi fahren, wäre ich übrigens beinahe mit in die Luft geflogen. Ich war mit meinem treuen Hansen noch nicht fünf Minuten vom Schiffe, als der überheizte Kessel sprang, und das Schiff in Trümmer zerriß. Ueber vierzig Personen verloren bei dieser Gelegenheit das Leben, noch mehr aber erhielten bedeutende Verletzungen, und das Ganze bot ein furchtbares Schauspiel dar, fast eben so schrecklich, wie das, welches uns im August des Unglücksjahres 1850 traf, als in Rendsburg das große Laboratorium in die Luft flog, das so viel Unheil anrichtete. Es kamen auf dem Mississippi bei dieser Explosion furchtbare Scenen vor, die ich für mein ganzes ferneres Leben niemals wieder vergessen werde.

Ich war die ganze Nacht, denn das Unglück geschah gerade in der Mitternachtsstunde, mit meinem Hansen und noch einigen Deutschen beim Retten mit beschäftigt, und wir haben gewiß einige Dutzende von Menschen aus den schmutzigen Wellen dieses mächtigen Stromes herausgezogen und dadurch gerettet. Manche hatten sich auf Baumstämme geflüchtet, die im Flusse herumschwammen, und mußten auf diesen schwankenden Sitzen, den halben Oberleib im Wasser, mehrere Stunden verharren, bis es uns gelang, sie Alle zu retten. Dabei kamen manche schauerliche Fälle vor, die recht deutlich zeigten, wie schwer das Schicksal einzelne Menschen prüft. So war auf dem Dampfer eine deutsche Familie gewesen, mit der ich mich auf der Fahrt von Louisville her vorzugsweise gern unterhalten hatte. Der Mann, eine jugendlich schöne, kräftige, ungemein anziehende Persönlichkeit, hatte sich im Jahre 1849 mehr aus Unbesonnenheit, wie aus planmäßiger Ueberlegung, an den Unruhen in Baden betheiligt, und war in Folge dessen flüchtig geworden. Seine Braut, eine der ansprechendsten Frauenerscheinungen, die ich jemals sah, hatte ihn im Unglück nicht verlassen wollen, und sich gegen den Willen ihrer Eltern in London mit ihm trauen lassen, und war dann dem Manne ihres Herzens über das Meer gefolgt. Obgleich das junge Ehepaar den höchsten Ständen angehörte, hatte es sich in Louisville ungemein kümmerlich durchschlagen müssen. Die junge, verwöhnte Frau hatte für Geld genähet und Putzsachen gemacht, der Mann war Zeitungsausträger, dann Lehrer in einer Volksschule und zuletzt Corrector in einer Zeitungsexpedition gewesen. Nur in ihrer gegenseitigen Liebe hatte das Ehepaar Glück und Trost in allem diesem Ungemach gefunden, und die Geburt eines Töchterleins hatte dann noch mehr dazu beigetragen, der Frau Alles, was sie im alten Vaterlande zurückgelassen, vergessen zu machen. Jetzt endlich schien das Glück ihnen zu lächeln. Der Mann hatte durch Verwendung einflußreicher Verwandten Amnestie und Erlaubniß zur Rückkehr in sein Vaterland erhalten, und auch sein Schwiegervater war endlich erweicht worden, hatte der Tochter verziehen und sich bereit erklärt, dem Ehepaare eines seiner Landgüter abzutreten, damit es daselbst in ländlicher Stille sich so recht seines eheliches Glückes erfreuen könne.

Der freudigsten Hoffnung voll, hatte sich dies schöne Paar mit uns in Louisville auf dem Dampfer eingeschifft, um von New-Orleans aus die Fahrt nach Deutschland anzutreten. Besonders die junge Frau, ihr Töchterlein, ein liebliches kleines Mädchen von zwei und ein halb Jahren, auf dem Schooße, war überglücklich, in ihr Vaterland zurückkehren zu dürfen, und daselbst an der Seite ihres Mannes, den sie über Alles liebte, ein ruhiges Leben führen zu können. Sie schwelgte förmlich in Hoffnungsplänen, und lud mich ein, später, wenn ich einmal wieder nach Deutschland zurückkehren sollte, sie auf ihrem Gute zu besuchen. Und alles dies Glück zerstörte nun die Explosion des Dampfkessels, lediglich durch die frevelhafte Ruchlosigkeit des Capitains, der eine Wette gemacht hatte, ich weiß nicht mehr, in wie viel Stunden nach New-Orleans zu fahren. Der Ehemann wurde, förmlich in Stücken zerrissen, an das Ufer geschleudert, und wir fanden seinen Kopf später an einem Baumaste; dem kleinen Kinde war ein Fuß abgerissen worden, es schrie die ganze Nacht furchtbar und starb am andern Morgen im Arme der Mutter, die mehrere Stunden auf einem im Flusse treibenden Baumstamme sich angeklammert hatte, bis es uns gelang, sie zu retten. Als sie am Morgen, beim anbrechenden Tageslicht, den abgerissenen Kopf ihres Gatten, den sie bis dahin noch immer wiederzufinden gehofft hatte, erblickte, wurde sie wahnsinnig, und wollte sich in den Mississippi stürzen, so daß sie gebunden und streng bewacht werden mußte. Sie verfiel in Tobsucht und starb einige Tage darauf an einem Gehirnschlage im Hospital zu New-Orleans.

Auch sonst kamen in dieser Schreckensnacht noch mehrere derartige Scenen vor, namentlich war das Geschrei der Kinder nach ihren Eltern und umgekehrt das Rufen der Eltern nach ihren Kindern entsetzlich. Die von dem heißen Wasser des zersprungenen Kessels förmlich abgebrühten Maschinenleute jammerten vor unerträglichem Schmerz, und einer derselben, ein junger Deutscher, dem das Eingeweide förmlich aus dem Leibe heraushing, zog mit letzter Kraft eine Pistole aus seiner Tasche und erschoß sich selbst. Diese ganze schaurige Scene ging dazu in einem dicken Urwald, der von beiden Seiten den mächtig rauschenden Strom umgab, vor sich und brennende Holzstöße, die wir angezündet hatten, um den Schauplatz des Unglücks besser sehen zu können, wie auch die aus dem Wrack des Schiffes herausschlagenden Flammen erhellten das Ganze.

Die Mannschaft eines amerikanischen Flachbootes aus dem fernen Westen, das grade unfern des Dampfers geankert hatte, echte, tüchtige Hinterwäldler, und dann 4–5 Deutsche, die auf einer Station zum Holzeinnehmen wohnten, bei der ich mich fünf Minuten zuvor hatte aussetzen lassen, um einen frühern schleswig-holsteinschen Officier in der Nähe zu besuchen, wurden nebst meinem Hansen und mir die Hauptretter der im Flusse herumschwimmenden und treibenden Passagiere. Ich möchte fast sagen, leider, retteten wir auch den schuftigen Capitain, der auf einem großen Baumstamme saß und sich mit echt nordamerikanischer Kaltblütigkeit schon wieder eine Cigarre angezündet hatte. Hätte ich gewußt, daß es der Capitain sei, ich wäre mit meinem Kahne vielleicht an dem Baumstamme vorbeigerudert, wenigstens hätte der Kerl bis zu allerletzt warten sollen, bevor an ihn die Reihe des Rettens gekommen. Das viele Unglück, was sein ruchloser Leichtsinn angestiftet hatte, schien diesen Menschen wenig zu betrüben, und er bedauerte besonders nur, daß auch die Kasse des Schiffs mit in den Mississippi gefallen sei.

In New-Orleans, was gegen New-York gehalten, eigentlich sehr ärmlich aussieht, dabei aber schon eine ungemein südliche Charakteristik zeigt, herrschte während meiner Anwesenheit gerade das gelbe Fieber in der größten Heftigkeit. Zu Hunderten starben die Menschen hin und es waren bisweilen kaum Kräfte genug vorhanden, um die vielen Leichen so schnell, wie es nöthig war, zu begraben. Besonders mehrere hundert arme deutsche Auswanderer – wenn ich nicht irre, aus Rheinhessen, die man hier ohne Weiteres an das Land gesetzt hatte, starben fast sämmtlich. Es waren die Armen einiger Gemeinden, die man auf öffentliche Kosten hieher befördert hatte. Ohne Geld, ohne der Sprache im Mindesten mächtig zu sein, halb verhungert und verkümmert und von Schmutz starrend, lagen diese Armen obdachlos auf einem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_175.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)