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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

von denen man bisher etwa blos wußte, daß das oder jenes Glied gelähmt sei, werden jetzt mittels Faradisirens als beiden eines oder weniger einzelner Muskeln erkannt, mancher sogen. Krampf als Lähmung und umgekehrt. So z. B. der heutzutage so allgemeine Schreibekrampf, die Quelle der sogen. schweren Hände und die Marter vieler Schreibstubenbeamten, welche dadurch oft sogar in ihrem Lebenserwerb ernstlich bedroht werden. Bei diesem Uebel (das übrigens in anderer Form auch bei Geigen-, Flöten- und Klavierspielern, Nähterinnen, Schuhmachern, Ciseleuren und anderen mit der Hand feine Sachen arbeitenden Personen vorkommt und in einem Versagen der Finger bei andauernder Berufsanstrengung beruht), – bei dem Schreibekrampf, sage ich, zeigt die Faradisirung bald eine Lähmung des Zeigefingerbeugers, bald des Zeige- und Mittelfingerstreckers, bald des Daumenballenfleisches (oft mit abgestorbenem Tastgefühl der Zeigefingerspitze); erst durch die Willensanstrengung, welche Patient macht, um diese Mangel zu überwinden, entsteht der Krampf, welcher entweder die Fingerspitzen nebst Schreibefeder nach der Hohlhand zusammenkneift, oder aber die Finger plötzlich auseinander gehen macht, so daß die Feder dem Schreibenden aus der Hand fällt.

Ganz neuerdings hat Duchenne die Quelle gewisser Lätsch- und Pferdefüße (d. h. Verdrehungen des Unterfußes) in einer Lähmung und Atrophie gewisser Unterschenkelmuskeln finden gelehrt, und damit zugleich einen Weg zur Heilung oder Linderung dieser Uebel aufgefunden, welche bisher meist nur mit plumpen und schweren, den Schwächezustand des kranken Beines nur vermehrenden Maschinen behandelt wurden.

Manche der Heilerfolge, welche Duchenne und seine Nachfolger auf diesem neuen Wege erzielt haben, grenzen an das Wunderbare und gewinnen namentlich den wissenschaftlichen Beobachter durch die Schärfe der Diagnose und die sichere Einfachheit der darauf gegründeten Behandlung. Doch wollen wir gleich hinzusetzen, daß dies nur eine Minderzahl von Fällen ist. Eine Menge von Lähmungen, Zusammenziehungen und anderen Krankheiten werden auch fernerhin noch ungeheilt bleiben, weil sie eben für die elektrische Behandlung gar keinen Anhalt darbieten. Das Publicum lasse sich vor zu großen Erwartungen von dieser Heilmethode warnen; es traue nicht Dem, der ohne Unterschied alle möglichen Krankheiten zur elektrischen Behandlung übernimmt und mit kecker Zuversicht Heilungen verspricht. Jede industrielle Ausbeutung der örtlichen Faradisation ist entschieden gegen den Geist Duchenne’s und seiner wissenschaftlichen Nachfolger.

Hermann Richter.




Die Rose.
Von L. W–t.

Es hat einen eigenthümlichen Reiz, beim Nahen des Frühlings an die Rosen zu denken. Mag Kälte und rauhe Witterung sie noch in Haft halten, um so inniger blicken wir im Voraus auf die Zeit, wo der wachsende Sonnenstrahl ihre Banden lösen und sie zur Freiheit führen wird in unsere Gärten.

So wollen wir denn auch, indem wir nur erst hinter den erwärmten Fensterscheiben die Rose blühen sehen, uns doch schon an die Gartenplätze versetzen, wo wir nach einigen Monaten unsere Lieblinge wiederfinden und an ihrer Gestalt, an ihrer Farbe, an ihrem Duft uns erfreuen werden. Niemand ist davon ausgeschlossen. Hat er nicht einen stattlichen Garten, so besitzt er doch wohl ein kleines Plätzchen, wo er die Rose pflegte, oder es ist ihm der Zutritt vergönnt in die Räume, in welchen sie blüht. Und ist sie nicht auch erfreuend in ihrer Einfachheit, wenn wir sie finden am Feldrain oder am Waldrande, am Bergesabhange oder auf felsigem Vorsprunge?

Fast allgemein verbreitet ist die Rose über die ganze Oberfläche der Erde. Nicht allein über ganz Europa, auch über die Länder Asiens, Afrika’s und Amerika’s dehnt sie sich in ihrer natürlichen wilden Form und Einfachheit aus. Nur Australien hat keine Rose im natürlichen Zustande, und auch in der Nähe des Aequators wurde bis jetzt keine wilde Rose gefunden.

Wann die wilde Rose zuerst eine Bewohnerin des cultivirten Bodens ward? Wann die Menschenhand zuerst sie pflegte und veredelte? Schon 2000 Jahre vor Christi Geburt bestanden die berühmten Gärten Babylons, – möglich, ja wahrscheinlich, daß in ihnen auch die Rose duftete, da ja Persien, im Alterthum schon bekannt durch seine Rosen, das Nachbarland war.

Ob die Bibel, das älteste Buch der Welt, für das Alter der Rose Etwas beweisen könnte? Wohl steht in ihr geschrieben: „lasset uns Kränze tragen von jungen Rosen, ehe sie verwelken,“ – „gehorchet mir, und wachset wie die Rose am Bächlein gepflanzt.“ Ebenso finden wir erwähnt die „Rose von Saron,“ die „Rose von Jericho.“ Aber war diese Rose die Rose des heutigen Tages? Wenigstens die „Rose von Jericho“ ist es nicht, sie hat mit der unsern fast keine Aehnlichkeit.

Homer, der älteste classische Dichter (ob er im zehnten, neunten oder achten Jahrhundert vor Christi Geburt lebte, ist noch nicht ausgemacht) braucht die Rose bildlich in seinen Dichtungen. Sappho (600 Jahr vor Christus) nannte die Rose „die Königin der Blumen.“

So alt schon ist diese, auch bei uns noch gebräuchliche, Benennung. Aber Vieles ging für uns verloren von den schönen Gebräuchen, mit denen man sonst die Rose auszeichnete und ehrte. Griechen und Römer schmückten sich mit Blumen bei ihren Festen, bei ihren Mahlzeiten, bei ihren Opfern, und die Rose stand da immer obenan. Der Venus, dem Amor, der Aurora war sie geweiht, ebenso dem Harpokrates, dem Gott der Verschwiegenheit.

Durch letzteren Umstand wurde wahrscheinlich auch im nördlichen Europa der Gebrauch eingeführt, daß bei gesellschaftlichen und anderen Versammlungen eine Rose an der Decke hing, – zum Zeichen, daß Jeder zu schweigen habe über Alles, was hier gesprochen wurde und vorging. – Größtenteils war es die weiße Rose, die man zu diesem Gebrauche verwendete.

Einfache, ehrwürdige Menschen, ihr gehet still vorüber an unserm Auge noch heute! Keinen Handschlag, keinen Eid, keine Unterschrift mit Siegel brauchtet ihr, um euch zu verpflichten zur Verschwiegenheit. So lange die weiße Rose über euern Häuptern schwebte, galt euch jedes Geheimniß als unverletzlich. Mochten es ernste Berathungen sein über das Wohl des Vaterlandes, oder mochte der Weinbecher kreisen in Lust und Freude: das geschenkte Vertrauen wurde unter der aufgesteckten Rose nicht verletzt.

Auf uns ist nur das Wort noch gekommen: „Freund, ich vertraue es Ihnen sub rosa.“ Wie es damit steht, weiß Jeder, – es wird leicht hingenommen, in den Wind geschlagen, als halbe Erlaubniß geachtet, daß man das Anvertraute allenfalls gegen Diesen und Jenen ausplaudern dürfte.

Nannte die Dichterin Sappho die Rose „die Königin der Blumen,“ so fehlte es auch nicht an andern griechischen Dichtern, welche die Rose ehrten durch Wort und Lied. Vorzüglich that dies der heitere Dichter Anakreon, (lebte 530 Jahr vor Christo) welcher in seiner 51. Ode sagt:

Nebst dem kranzgeschmückten Lenze
Sing’ ich dich, o holde Rose.
Auf, Geliebte, hilf mir singen!
 u. s. w., u. s. w.

Aber nicht nur die Griechen, auch die Römer stellten die Rose hoch in Wort und Lied. Häufig erwähnt Virgil sie in seinen Werken, so im Anfange des fünften Hirtengedichts, wo er die blasse Narde der erröthenden Rose gegenüberstellt. An anderm Orte rühmt er die Rosen von Pästum, wo dieselben auch im Herbst noch blühten, – obgleich Botaniker, welche Pästum besuchten, dies nicht so fanden. – Auch Cicero, Ovid, Martial, Plinius, Horaz sprechen von Rosen, – und war der Verkauf von Blumen überhaupt, so war besonders auch der Verkauf von Rosen in die Hände der schönsten Mädchen gelegt und mehrere Namen dieser Mädchen wurden durch die Gedichte der Sänger unsterblich.

Einige Schriftsteller behaupten, die Römer hätten ihren Geschmack an dieser Blume den Egyptern verdankt. Diese nämlich sendeten während der ersten Jahrhunderte der Republik alljährlich bedeutende Massen dieser Blume nach Rom. Zum Uebermaß wurde hier die Liebe zur Rose unter der Regierung des Augustus und der nachfolgenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_214.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)