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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

davon aus, daß jener, wenn er der Schuldige sei, sich in solcher Weise vorbereitet und gerüstet gezeigt hatte, daß er auch durch ein plötzliches Vorstellen des Bestohlenen oder durch ähnliche Mittel nicht mehr überrascht werden könne. In gleicher Weise gewaffnet hatte ich Hertel noch nicht kennen gelernt. Hertel kam.

Ich war oft in einer ähnlichen Lage gewesen, zwischen zwei Menschen, von denen nur Einer der Verbrecher sein konnte, Einer es aber auch sein mußte; gegen welche Beiden ich gleich vielen und zuletzt doch gleich wenigen Verdacht hatte. Aber nie war meine Lage so eigenthümlich, so peinlich einerseits, so schwierig andererseits gewesen. Peinlich, indem ich von der einen Seite Gefahr lief, durch das geringste Versehen zu verschulden, daß der brave B. nicht wieder zu seinem Vermögen kam, ein Bettler wurde, und von der anderen Seite gerade meine eifrigste und treueste Pflichterfüllung nur zu leicht dahin führen konnte, jenes arme, kranke, unschuldige Kind, für das ich angefangen hatte, mich so lebhaft zu interessiren, der Verzweiflung, dem gewissen Tode zu überliefern. Schwierig, indem ich es mit zwei Charakteren zu thun hatte, die, wenn sie sich gleich durchaus verschieden zeigten, doch in dem einen Punkte übereinstimmten, daß dem Schuldigen unter ihnen keine Seite des Anfassens abzugewinnen war. Eduard D. zeigte sich edel, stolz, beinahe hochfahrend, Hertel dagegen unglücklich, still, bescheiden, dienstfertig. Beide legten ein braves, redliches und offenes Wesen an den Tag, und Beide hatten noch nie Verlegenheit oder Verwirrung gezeigt.

Hertel trat bei nur ein, niedergeschlagen, aber unbefangen wie immer. Eine Einleitung konnte mir bei ihm nicht helfen, da er, wenn schuldig, bei jeder neuen Begegnung mit mir sich auf irgend etwas gefaßt halten mußte, und die Einleitung ihn eben nur vorbereiten konnte. Sie mußte mithin sogar nur schaden. Ich mußte ihn sofort überraschen. Ich redete ihn an.

„Hertel, der Dieb des Geldes ist endlich gefunden. Er ist in meinen Händen; hier in Baden. Ich werde ihn Ihnen noch heute Abend vorstellen.“

Ich fixirte auch ihn scharf, durchdringend. Er verzog keine Miene.

„Auch das Geld?“ fragte er hastig.

Die Frage war natürlich; sie wurde natürlich vorgebracht.

„Nein, der Dieb leugnet.“

„Nicht das Geld? Und er leugnet? Ich glaube es. Aber er ist zu überführen. Gottlob, daß er erst da ist. O, Herr Polizeidirector, mir fällt ein schwerer Stein vom Herzen. Ihre Mühe ist belohnt. Er leugnet. Er wird in R. wieder erkannt werden. Ich werde ihm den Diebstahl in’s Gesicht sagen. Er wird den Beweisen nicht widerstehen können. Er wird auch das Geld am Ende herausgeben, wenn er sieht, daß ihm sein Leugnen nicht mehr hilft.“

Auch in Diesen Worten war nichts Unnatürliches, nichts Gezwungenes. Sie wurden auch mit dem Ausdrucke des wahren Gefühls gesprochen.

„Ich hoffe gleichfalls,“ erwidere ich ihm, „daß der Mensch wird überführt werden. Er scheint der Festeste im Leugnen nicht zu sein. Ich habe das oft bei den verwegensten Verbrechern gefunden.“

Er zeigte eine leise Freude über diese Bemerkung.

„Sie werden ihn also auch wiedererkennen?“

„Gewiß.“

„Und ihm Ihre Aussage in das Gesicht sagen?“

„Gewiß.“

Kein Zeichen eines Schwankens, einer Verlegenheit, wie vorhin kein Zeichen einer Ueberraschung. Ich ging, wie von ungefähr im Laufe des Gesprächs, an den Vorhang des Alkovens. Ich zog rasch den Vorhang auseinander.

„Darf ich bitten, Herr Wohlhausen?“ sagte ich sehr höflich zu dem Versteckten.

Eduard D. trat mit seiner stolzen, imposanten Gestalt schnell hervor. Ich glaube, meine ganze Seele war nichts als Auge. Kein Zug, keine Bewegung des jungen Kaufmanns konnte mir entgehen. Er stand unbeweglich, unangreifbar, wie eine Mauer, die mit Pfeilen soll niedergeschossen werden. Wiederum kein Zeichen einer Verwirrung, eines Schwankens. Ueberrascht war er, aber nur um sofort den ihm so unerwartet Vorgestellten mit einem prüfenden Blicke zu mustern, ob es auch der Rechte sei, ob er ihn wieder erkenne.

Ich warf meine Blicke auf Eduard D. Er stand nicht minder unangegriffen und unangreifbar da. Seine Haltung gegenüber dem Manne, den er sollte bestohlen haben, war stolzer geworden, sein Blick strenger, voll Verachtung. So maß er schweigend den jungen Kaufmann.

Allein diesen trafen auch die Blicke des Vorwurfs, der Verachtung nicht. Der Ausdruck seines Gesichts wurde vielmehr sicherer, beruhigter. Seine Augen suchten mich. Er ist es! winkten sie mir mit der gewohnten milden, einfachen Ruhe zu.

Auch das war nichts gewesen. Und ich hatte meinen allerletzten Trumpf ausgespielt, den ich Beiden zusammen gegenüber hatte, wenigstens für den Augenblick hatte. Ich gab dennoch mein Spiel nicht auf. Ich rechnete noch einmal auf mein Glück. Beide mußten sich gegen einander aussprechen. Leicht, wie so oft, konnte dann der gegenseitige Eifer, oder aber auch gerade das Bestreben, recht auf seiner Hut zu sein, die Vorsicht vergessen lassen, unvorsichtig machen.

„Hertel,“ fragte ich diesen, „Sie kennen diesen Herrn?“

„Ja, Herr Polizeidirector, er ist der Dieb des Geldes.“

„Sie kennen ihn bestimmt wieder?“

„Ganz genau, trotz der Veränderung seines Aeußeren. Er war in dem Eisenbahncoupé nahe genug bei mir gewesen, daß ich sowohl seine Gestalt als seine Gesichtszüge mir merken konnte. Als ich meinen Verlust entdeckte, prägten sie sich meinem Gedächtnisse für immer ein.“

„Mein Herr, Sie hören,“ sagte ich zu Eduard D. „Was haben Sie zu erwidern?“

„Sind Sie mein Richter hier?“ fragte er mich stolz.

„Das nicht,“ antwortete ich ihm ruhig. „Aber der mit den ausgedehntesten Vollmachten versehene Polizeibeamte, der Sie, wenn Sie nicht noch heute Abend von der Anschuldigung des Diebstahls sich reinigen können, Ihrem Richter überliefern wird.“

Er schrak zusammen.

„O mein Gott, die arme –“

Er sprach den Namen Ottilie nicht aus. Auch in diesem Momente war sein erster, sein einziger Gedanke das kranke Kind. Es wollte laut in mir rufen: Nein, der kann der Schuldige nicht sein. Aber völlig so im Gewande der Unschuld stand auch der Andere da.

„Wohlan, Hertel,“ sagte ich, „wenn der Herr nicht reden will, so sprechen Sie. Halten Sie ihm die Einzelheiten des Diebstahls vor.“

Hertel schickte sich dazu an. Aber Eduard D. hatte seinen ganzen Stolz wiedergewonnen.

„Mein Herr,“ sagte er zu mir, „ich kenne derartige Spiele. Sie haben Verstand genug, um einzusehen, daß es hier ein eben so unwürdiges als unnützes wäre. Ich erwarte von Ihnen, daß Sie mich damit verschonen. Im Uebrigen thun Sie mit mir, was Sie wollen. Sie werden mir die Güte haben, mich drei Zeilen an die Frau von Wüsthof schreiben zu lassen.“

Die letzten Worte waren ihm schwer geworden. Es war, als wenn das Herz sich ihm zuschnüre. Ich ergriff den Umstand, nicht blos mit Absicht auf ihn.

„Mein Herr,“ sagte ich mit tiefem, aber mildem Ernst, „versuchen Sie nicht weiter, hier eine Rolle zu spielen, die unter allen Umständen eine durchaus vergebliche ist. Verkennen Sie Ihre Lage nicht. Lassen Sie mich sie Ihnen schildern, ganz so wie sie ist, wie ich sie Ihnen mit Thränen in den Augen schildern müßte, wenn Sie mein Sohn wären. Dieser junge Mann hat seinem Principal stets treu gedient; sein Ruf ist der unbescholtenste; er klagt Sie des Diebstahls an; er erkennt Sie bestimmt wieder. Eine Menge Personen in R. und K. werden Sie gleichfalls wieder erkennen. Sie leugnen überdies nicht, dort gewesen zu sein, selbst nicht, zur Zeit des Diebstahls mit ihm allein in dem Coupé gewesen zu sein. Sie können sogar nicht leugnen, daß Sie heimlich, auf eine lebensgefährliche Weise den Wagen verlassen haben und dann spurlos verschwunden sind. Nehmen Sie alle diese Umstände zusammen, zu denen noch manche andere, zwar kleine, aber desto mehr bestätigende kommen, und dann fragen Sie sich selbst, ob es ein Geschworenengericht in der Welt geben kann, das Sie nicht verurtheilen muß.“

Der junge Mann war nachdenkend geworden; er wurde unruhig; auf seine Stirn traten Schweißtropfen.

„Aber ich bin unschuldig!“ sagte er stolz.

Und der junge Kaufmann? Ich hatte ihn nicht aus den Augen gelassen. Und in einem Augenblick, in einem ganz kleinen Augenblick, in welchem er sich unbemerkt glauben mochte, oder aber in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_231.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)