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dem Kameele, dem vieltausendjährigen Träger aller Lasten und brennenden Mühsale dieses ruhelosen Wanderlebens der Wüste, gesellen sich das Pferd, die Kuh, die wollige Heerde; und der kriegerische Räuber, hart wie das Gestein seines Bodens, und der rastlos umher gehende Nomade, unstät wie der im leisesten Lüftchen hinwogende Sand, werden warm und weich und wohnlich unter mannigfaltigeren Wirthschafts- und socialen Verhältnissen auf ländergroßen Oasen, die dann Millionen Menschen dauernd nähren, während sie jetzt oft Hunderten kaum eine bald erschöpfte kärgliche Kost gewähren. Bebaute Felder und melkende Kühe geben den festgesiedelten Bauer, das Pferd liefert den Ritter, der sie regelmäßig besteuert statt, wie jetzt, durch räuberische Ueberfälle. Die umhergetriebenen Stämme und Familien werden zu Dörfern und Städten, in welchen sich regelmäßige Industrie und zwischen denen sich umgrünte Handelswege einfinden. Die „Gesellschaft“ schichtet sich. Es findet sich der Feudalismus ein und endlich ein eiserner Ritter, der die berittenen Steuereinnehmer seiner Collegen mit Hülfe bewaffneter Bauerjungen sich unterwirft, „Ruhe und Ordnung“ schafft und als Monarch und Garantie „des Blühens der Gewerbe“ gefürchtet und geehrt wird, bis Gewerbe und Handel, Wissenschaften und Künste die Entdeckung machen, daß sie ohne Garantie viel besser blühen. –

Der vieltausendjährige einförmige, hier fromme, dort kannibalische Patriarchalismus Afrika’s wird einem historischen Leben weichen. Barth, Overweg, Richardson, Vogel, Magyar Lazlo, der eine schwarze Prinzessin heirathete, englische Dampfschiffe auf dem Kowara, Frankreich vom Norden, England, Holland und die „deutsche Fremdenlegion“ vom Süden her und historische Völker und Interessen von allen Seiten aus führen die Geschichte in das Innere Afrika’s ein, das dafür reichliche Schätze seines heißen, befruchteten Innern nach allen Seiten ausströmen wird.

Die Sahara selbst bietet für die Arbeit der Cultur zwei große entgegengesetzte Völkerstämme, die Tibbuhs und die Tuariks. Sie wohnen nicht. Erstere ziehen mit ihren Hütten und Heerden von Oase zu Oase, um so aus Tausenden von Meilen mühsam zusammenzusuchen, was bei uns eine einzige Quadratmeile reichlicher und dauernd liefert. Letztere fliegen auf graziösen, leichten Moharikameelen mit dem Sturme um die Wette über Ebenen, um die darüber hinziehenden Karavanen und Tibbuhs zu besteuern. Der Ritter, Räuber und Krieger und der Schäfer – ganz vortreffliche Materialien und Gegensätze für Cultur und Civilisation. Freilich auch eine Aufgabe, die wilde Poesie dieser schrankenlosen Lebensweise in die Prosa von Polizeibezirken zu fesseln. Der Beduine und Tuarik haben keinen Halt in Ebenen, die z. B. zwischen dem 20sten und 28sten Grade nördlicher Breite, also in einer Ausdehnung von 120 geographischen Meilen dem Auge nicht den geringsten Gegenstand bieten, an welchen es sich halten könnte. Er bricht sein Zelt ab, das die Frauen den Abend vorher aufschlugen, ladet es auf’s Kameel, packt eine Bratpfanne und vier Ziegenfellschläuche, mit Wasser, mit zwei Sorten Mehl und mit Datteln gefüllt, dazu, fällt mit Familie und Kameel auf den Boden, bittet Allah um Wasser, Futter für’s Kameel, friedliche Begegnung mit Menschen und um den richtigen Weg und ist so reisefertig für jede Entfernung, auf Allah, aber noch mehr auf das Compaßtalent seines lieben Thieres vertrauend, dem er von Oben her etwas vorspielt, dem er Märchen erzählt, wenn er neben ihm in dessen Schatten wandelt, von den Palmen und Quellen der Heimath, die sie finden werden, von blökenden Heerden und lachenden Kindern. Das Kameel wendet seinen kleinen Kopf öfter nach der Schattenseite und blickt den Plaudernden mit verständigen, freudeglänzenden Augen an, als verstände und fühlte es Alles Wort für Wort. Und wer kann es dem Plaudernden verdenken, daß er an den Menschenverstand und das dankbare Herz seines Thieres glaubt?

Die Bewohner der Sahara sind Beduinen, Araber, Kinder der alten Berber in verschiedenen Farben vom Negerschwarz bis zur Weißheit des Europäers (da wo die Sonne die Haut nicht schmort) und in den mannigfaltigsten Stammes-, vielleicht auch Racen-Unterschieden.

Zwischen Murzuk und dem Tsadsee umhernomadisirend findet man die schönen, friedlichen Tibbuhs, hoch und schlank, voller Anmuth, Grazie und Würde besonders in Frauen und Mädchen, mit lockigem, fließendem Haar, feingemeißelt, wie classische Sculpturen der Griechen in aller Gliederung, Kinder und Mädchen sich mit Ziegen neckend oder mit übermüthigen, spielerigen Kameel-Kälbern umherjagend, im Schatten wiederkäuender Dromedare lagernd, Hirse säend, erntend und kochend und Hirsebrei essend, manchmal glänzend braun und glühend wie Abendroth, dann dunkelbraun, dann tief äthiopisch schwarz und negerartig; hier friedlich angesiedelt auf einige Wochen, dort in malerischen Gruppen auf Kameelen, zwischen Schafen und Ziegen über glatte, heiße Ebenen nach einer neuen Heimath lechzend; hier auf der Lauer und Jagd nach Gazellen und Straußen, um für Haut, Geweihe und Fleisch der ersteren und die kostbaren Federn letzterer von vorüberziehenden Karavanen Pferde und Schnellkameele (Moharis oder Mohers), Kleidungs- und Putzstoffe einzutauschen. Die classischen Bronzestatuen der Tibbuh-Mädchen putzen sich gern, aber viel einfacher und antiker, als die eingeschnürten und aufgedonnerten Schönen unserer Gegenden. Ihr Gewand besteht aus einem leichten, farbigen Stück Zeug, das nach Belieben und Haltung um den nackten Körper flattert. Alle übrige Kleidung fehlt eben so, wie an antiken Statuen, und auch der bei allem weiblichen Geschlechte unentbehrliche Putz beschränkt sich größtenteils auf einen ehernen oder silbernen breiten Ring über den Knöcheln. Wohlhabendere (und es gibt in besseren Gegenden der libyschen Wüste Tibbuh-Familien mit 5000 Stück Vieh und mehr) fügen dazu Ringe um den Oberarm und das Handgelenk und große, oft doppelte Ohrringe, außerdem Schmuck im Haargeflecht, der oft aus Silber besteht und dann herrlich contrastirt zu dem Glanze des schwarzen Haars und der strahlenden, dunkeln Augen. Die Tibbuhs verbreiten sich über eine ungeheuere Strecke und nehmen alle Oasen, Quellen und fruchtfähigen Stellen auf der rechten Seite des früher erwähnten Wüstengürtels von Tripolis bis zu den Sudanstaaten am Tsadsee, vom 16ten bis zum 26sten Grade nördlicher Breite als ihr Land in Anspruch. Sie bewohnen die Inseln dieses Wüsten-Oceans, auf den ergiebigeren dauernd, auf den kärglicheren vorüberziehend. Wo der Boden auch den armseligsten Hirse, ihr Brod, nicht aufkommen läßt und das kärgliche, rauhe Gras und das stachelige Gesträuche nicht hinreichen, die genügsamen Kameele zu sättigen, da müssen Stra0- und Gazellenjagd Tauschartikel für die jährlich durchziehenden Earavanen und so das Fehlende herbeischaffen. Im Uebrigen sind sie an Entbehrungen gewöhnt, wie das Kameel, und der durch Noth und Gefahr ausgebildete Scharfsinn und Mutterwitz hilft ihnen durch tausend Sorgen und drohende Tode, denen der gebildete Europäer erliegen würde. Da sie keine Regierung, keine Soldaten und Polizei halten und zu bezahlen brauchen, kommen sie mit Gütern und Lebensmitteln aus, von denen man nach unsern Begriffen keine Katze erhalten könnte. Wenn es darauf ankommt, sind sie alle Soldaten, Weib und Kind nicht ausgenommen. Aber dabei erliegen sie freilich oft genug den kriegerisch und räuberisch über sie dahin brausenden Nachbarn, den Tuariks.

Vor einem Tibbuh-Dorfe strecken Palmen ihr herrliches Gefieder hoch in die Luft, ohne den tödtlichen Strahl der Sonne zu fürchten. Kameele, Schafe und Ziegen weiden in Gruppen und vereinzelt weit in die Ferne umher und kommen gelegentlich heran zu spielenden Kindern, Mädchen und Frauen, die kindisch frohlocken, wenn eine glückliche Schöne eine einzige Blume fand, ihr lockiges, fließendes Haar damit zu schmücken. Dort läuft sie hin die Glückliche mit dem seltenen Schmuck, in übermüthiger Jugendlust vor dem jungen Kameele fliehend, das großen Appetit auf den seltenen Haarschmuck verräth und deshalb in lustigen, luftigen Sätzen und Bockssprüngen um sie her jagt und trotz aller Behendigkeit der schlanken, elastischen braunen Gestalt nicht nahe genug kommen kann. Sie bückt sich und schießt an ihm vorbei, sie fliegt in gekreuzten Sprüngen lachend in’s Weite, bewundert von den lachenden Zurückbleibenden und der neugierig aufblickenden, bunten Heerde. Sie merkt es nicht, daß am äußersten, kahlen Horizonte der Wüste ein schwarzes Pünktchen sichtbar wird und mit reißender Schnelligkeit zu einer dunkeln, bewegten Masse anschwillt. Aus der dunkeln Masse blitzt es hell in Waffenglanz. Sie wird zu einem daher brausenden Mohari-Reiter. Im Nu hat sich die vermummte riesige Gestalt des Tuarik vermittelst der Lanze vom Kameele gestürzt, das reizende Tibbuhmädchen gepackt und auf seinem Mohari wieder die Weite gesucht. Er verschwindet mit ihr wieder als schwarzer Punkt am Horizonte, zufrieden mit der Beute, während die Andern in’s Dorf hineinreiten und entweder eine bestimmte Steuer eintreiben oder im grausamen Kampfe gegen die friedlichen, aber tapfern Bewohner siegen und Heerden als Beute und die schönsten Frauen und Kinder als Sclavinnen zum Verkauf mit fortschleppen.

Und wie in der Menschen-, so auch in der Thierwelt der Wüste

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_246.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)