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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

schlimmer, als es die leichtfertigen Nonnen gethan. Graf Bruno sah mit Schmerz, wie seine ihm so theure Anstalt immer mehr verfiel, und noch auf seinem Sterbebette empfahl er auf das Dringendste seinem Vetter, dem Bischof Udo I. von Naumburg, für das Kloster zu sorgen. Dieser übergab denn auch im Jahre 1132 die Schmöllner Stiftung den damals in besonderem Geruch der Heiligkeit stehenden Cisterziensermönchen, welche er aus Walkenried am Harz berufen. Aber auch diese brachten dem Kloster keine bessere Zeit, trotzdem sie ein sehr „geistliches“ Leben führten. Sie selbst wurden von den umwohnenden Slaven je länger, je mehr geplagt, bis sie endlich in ihrer Noth nach Naumburg zu Udo I. flohen, der ihnen denn auch erlaubte, sich eine Freistatt aufzusuchen. Sie siedelten sich demnach bei Kösen an. Doch da sie hier wegen der zu nahen Heerstraße sich nicht recht sicher fühlten, so suchten sie nach einer „lieben guten, aber abgelegenen Stelle“ und wählten den Punkt, wo das heutige Pforta steht. Diese Wahl macht ihrem Geschmack alle Ehre!

Der Convent erhielt nun gegen Abtretung seiner Schmöllner Güter an den Bischof von Naumburg ungefähr 50 Hufen urbaren Landes, die angrenzenden Waldungen und andere Benefizien.

Dies Alles erhielt seine Bestätigung durch Papst Innocenz II. im Jahre 1137 und durch Kaiser Konrad III. im Jahre 1140.

Das neue Kloster erhielt im Laufe der Zeit so ansehnliche Schenkungen, namentlich an liegenden Gründen, daß es – wie ein alter Chronikenschreiber sich ausdrückt – „fast eine Grafschaft worden.“ Selbst die mehr denn sechs Meilen entfernten Orte Gebesee, Behra und Heutschleben in Thüringen gehörten zu seinen Besitzungen.

Was seinen Namen betrifft, so haben ihn Einige von der Lage am Kösener Engpasse abgeleitet: „Porta Thuringiae“ wie „Porta Westfalica“ u. dgl. Andere hingegen geben ihm die stolze Deutung Himmelspforte und nehmen hierbei Bezug auf einen Indulgenzbrief des Bischofs Rupert von Magdeburg vom Jahre 1266, in welchem es unter anderm heißt: „Ad structuram monasterii Porta, in honorem ipsius portae coeli laudabiliter inchoatam.“ (Zum Bau des Klosters Pforta, der zur Ehre der Himmelspforte selbst glorreich begonnen ist). –

Dem sei, wie ihm wolle: soviel ist gewiß, daß wenigstens die frommen Väter ein Leben wie im Himmel geführt. Ja, sie hatten es in ihrer „lieben, guten und abgelegenen“ Pforte überaus gut, bis endlich die Reformation auch ihrem süßen Farniente ein Ende machte und sie nöthigte, ihre behaglichen Zellen zu verlassen.

Herzog Moritz von Sachsen – später Kurfürst – verwandelte dann – 1543 – die Abtei, indem er gleichzeitig ihre Besitzungen vermehrte, in eine höhere Schul- und Erziehungsanstalt.[1]

Am 1. November des eben gedachten Jahres erfolgte die feierliche Einweihung und Eröffnung des neuen Instituts, an welchem Tage der erste Alumnus, Namens Nikolas Lutze aus Kindelbrück, aufgenommen wurde – noch jetzt ein Festtag für die Anstalt, der jährlich gefeiert wird.

Gegenwärtig ist die höchste Zahl der eigentlichen Alumnen auf 180 festgesetzt. Unter diesen haben 140 völlige Freistellen. – 20 alte Koststellen zahlen jährlich „25 Meißner Gülden“ und 20 neue fundirte Koststellen jährlich 80 Thaler. – Endlich sind noch 20 Stellen für „Extraneer“ vorhanden, das heißt für Kostgänger, welche jeder der sechs ersten ordentlichen Lehrer – aber der Einzelne nicht über sechs – in sein Haus anzunehmen berechtigt ist. Die Zahl der Extraneer[2] darf gesetzlich nicht über 20 sein, so daß 200 die höchste Zahl sämmtlicher Schüler ist. Diese sind in 5 Classen eingetheilt: Prima, Ober- und Unter-Secunda, Ober- und Unter-Tertia.

Die Alumnen wohnen im Schulhause. Ihre Zimmer – 12 an der Zahl – sind geräumig und freundlich und faßt ein jedes 12 bis 20 Schüler. Diese sind an einzelne Tische vertheilt und zwar so, daß an jedem Tische ein Primaner als „Obergesell“ präsidirt. Derselbe hat aus den untern Classen einen oder zwei „Untergesellen“, die er überwacht und in der „Lesestunde“ unterrichtet. Ein Secundaner ist sein „Mittelgesell.“ Die Aufsicht über die ganze Stubengenossenschaft aber liegt dem ältesten Primaner als „Inspector“ ob.

Je zwei Stuben haben einen Schlafsaal. Im Sommersemester wird halb fünf, im Winter-Semester aber eine halbe Stunde später aufgestanden.

Bei Tische führt der als Inspector hebdomadarius fungirende Lehrer die Aufsicht. Jede Mahlzeit beginnt mit einem von einem Primaner – der Wocheninspector ist – gesprochenen Gebet, worauf vom ganzen Cötus das Gloria angestimmt wird, und schließt auf ein vom Hebdomadarius mit der Klingel gegebenes Zeichen, worauf wieder ein Gebet und zum Schluß der Gesang eines Liederverses folgt. Der Speisesaal, derselbe wie in der Klosterzeit, ist 85 Fuß lang und 26 Fuß breit. In diesem ansehnlichen und hübsch decorirten Cönakel sitzen die Alumnen in zwei langen Reihen an 14 Tafeln. An jeder Tafel besorgen die beiden obersten Primaner das Vorlegen und Austheilen der Speisen, des Weins u. s. w.

Ja, die Portenser speisen vortrefflich! Daß dies schon früher anerkannt worden, geht u. A. auch aus den „Briefen eines wandernden Helvetiers“ hervor, der im Jahre 1800 die Pforte besucht. Es heißt darin in Bezug hierauf: „Die Alumnen hatten in einem Monat 1520 Pfd. Rindfleisch, 3,250 Pfund Kalbfleisch, 4560 Pfd. Brot, 9000 Kannen Bier und 4 Eimer Wein erhalten.“

Aber die Portenser studiren auch viel! Bald sind es die Sprachen – lateinisch, griechisch, deutsch, französisch, hebräisch –; bald der wissenschaftliche Unterricht in der Religion, der Mathematik, Geographie und Geschichte, der Physik, der deutschen Literatur und pliilosophischen Propädeutik; bald die Künste des Schreibens, Zeichnens, Tanzens, der Musik und Gymnastik – was ihre Thätigkeit in Anspruch nimmt. In ihrem Lehrplane tritt das classische Element entschieden hervor, indem dem lateinischen Sprachunterricht in beiden Tertien 14 Stunden, in den beiden Secunden 12, in Prima 10 Stunden, dem Griechischen in den drei untern Klassen 5, in beiden obern 6 Stunden gewidmet sind. Hierzu kommen die täglichen „Lesestunden“ der Obergesellen mit den Untergesellen, worin letztere in der lateinischen und griechischen Grammatik, im Uebersetzen, in Exercitien und der lateinischen Verskunst[3] hauptsächlich geübt werden. Um bei so vielen Lectionen Zeit zu gewinnen, die jugendliche Kraft zu jeder Art von freier Geistesthätigkeit geschickt zu machen, hat man die im vorigen Jahrhundert erfundenen „Ausschlafetage“ beibehalten, d. h.: noch immer fällt in jeder Woche an einem der vollen Lectionstage der gesammte Unterricht aus, und Lehrer und Schüler behalten den ganzen Tag zu ihrem Privatstudium.

„In keiner Schule wird vielleicht weniger docirt und mehr gearbeitet und corrigirt, als in dieser,“ – sagt der Rector Kirchner in einem seiner Programme. –

Nach §. 22. der Schulgesetze darf kein Schüler – abgesehen von gesetzlichen Spaziergängen der Primaner und Extraneer, sich aus den Schulmauern ohne gesetzliche Erlaubniß entfernen, welche dem Hebdomadar zu übergeben ist, bei dem sich auch jeder Zurückkehrende sofort persönlich zu melden hat. Auch darf kein Alumnus, außer in den Stunden, wo schulgartenfrei ist, ohne Wissen und Willen des Hebdomadars das Schulhaus verlassen. Schon dieser Paragraph läßt ahnen, was für ein Regiment hier herrscht: das Regiment der Strenge.

„Die gebietende Stimme eines Obergesellen war hinlänglich, um augenblicklich die lautbewegte Menge zum Schweigen zu bringen, und – wie auf ein militairisches Commandowort – stand in wenig Minuten das ganze Heer, den Lehrer erwartend, in Reih’ und Glied.“

So schildert der gelehrte Professor Dr. Schmidt die Zucht, wie er sie im vorigen Jahrhundert als Alumnus hier kennen gelernt. – Und noch heute ist die Zucht in Pforte eine klösterliche. Bei alledem haben die Alumnen fast durchweg ein frisches, heiteres Aussehen und zeichnen sich durch eine gewisse Feinheit ihres Benehmens vortheilhaft aus. Die artige Willfährigkeit, mit der sie den Besuchern ihrer „alma mater“ als Cicerone dienen, thut den Fremden besonders wohl.

Alfred war über unsern jugendlichen Cicerone förmlich entzückt. Und in der That war dieser blühende Jüngling für das Amt eines Führers ganz besonders geeignet. Er war ein renommirter Obergesell.

  1. Zu gleicher Zeit verwandelte er ein Kloster zu Meißen und eins zu Merseburg in solche „Fürstenschulen.“ Die zu Merseburg wurde späterhin nach Grimma verlegt. –
    Anmerk. des Verf.
  2. Als ein solcher Pensionär lebt gegenwärtig der griechische Fürst Suzzo in Pforta. Da jedoch nur Jünglinge, die der evangelischen Consession angehören, als Schüler ausgenommen werden, so besucht er die Lectionen nur als „Hospes.“
    Anmerk. des Verf.
  3. Nach einer „genauen“ Zahlung sind im Michaelis-Examen 1810 an griechischen, lateinischen und deutschen Versen 23,980 und vom Jahre 1543 bis 1813 – nach Prof. Dr. Schmidt’s Berechnung – 10,800,000 Verse geliefert worden!! –
    Anmerk. des Verf.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_254.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)