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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

No. 19. 1857.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.   Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Fern der Welt.
Von Bernd von Guseck.

I.

„Du wirst Dich sehr einsam fühlen! Dreißig Jahre zu früh, Günther!“

„Sage lieber, wenn auch nicht dreißig, doch ein halbes Dutzend Jahre zu spät, Gebhard.“

Der Freund lachte. „Dann wärst Du gleich vom Studenten Einsiedler geworden, ganz recht! Indessen, wenn Du es so nimmst, wäre auch das schon zu spät gewesen. Du hättest, noch ehe Du die wilde und freie Universität bezogst, in den Jahren süßer Kindlichkeit schon, wo möglich ohne erst in Berührung mit den verderbten Sprößlingen moderner Civilisation, welche die Schulbänke füllen, zu kommen, diese wald- und sumpfumgürtete Eremitage aufsuchen sollen. Freilich hättest Du dann das Glück meiner Bekanntschaft entbehrt, indessen ein Freund der Neuzeit ist ein sehr zweifelhaftes und zweideutiges Wesen; jene hohen, edlen Menschen aus Jean Paul’s Zeit sind ausgestorben und ihre Reste nur noch als Fossilien anzutreffen – Du hättest an mir auch nichts verloren. Daß ich Dich hier aufgespürt habe, geschah weniger aus idealer Freundschaft, als aus brennender Neugier und vielleicht auch aus Malice gegen eine gewisse Abneigung –“

„Halt, Gebhard!“ unterbrach ihn Günther. „Was Du sagen willst, erspare uns. Ueber mich kannst Du Deinen vollen Humor ausgießen, aber – Du weißt, was ich nicht dulden kann.“

„Es fällt mir auch gar nicht ein, Deine loyale Treue erschüttern zu wollen. – Wahrhaftig, Günther,“ fuhr er, plötzlich den Ton wechselnd, fort, „Du verkennst mich, wenn Du glaubst, ich könnte Dein kindliches Gefühl verletzen wollen. Ich denke. Du mußt mir das Zeugniß geben, daß ich über dies auch mir heilige Verhältniß nie gespottet habe.“

„Aber Du sagtest doch eben selbst, aus Malice gegen eine gewisse Abneigung – auf wen konnte ich das anders beziehen –?“

„Als auf die Dame, welche dort kommt?“ ergänzte Gebhard. Günther sah sich schnell um und hörte kaum noch des Freundes flüchtige Worte: „Wähnst Du, das sei die einzige Abneigung in der Welt, mit welcher ich unseliger Erdenpilger zu kämpfen hätte?“

Ohne diese Aeußerung, die ihn doch einigermaßen befriedigte, zu beantworten, eilte er der schönen Frau entgegen, welche in der geraden Kirschallee des Gartens daher geschritten kam. Gebhard konnte nicht anders, sein Blick aber flog dem Freunde voraus.

Es war in der That eine schöne Frau, die er heute, wie bekannt sie ihm auch war, zum ersten Male sah. Das einfache Morgenkleid ohne allen übrigen Ballast der Mode, das sie trug, hob die Vorzüge ihrer edlen Gestalt vortheilhaft in’s Licht, ein leichtes Häubchen, schneeweiß, mit wenig Band, umschloß ihr Gesicht von zarten Farben, über dessen Stirn ein schmaler, gescheitelter Streif ihres dunkeln Haares erschien. Ihr Auge – Gebhard fühlte seinen Blitz – traf schon aus der Ferne den Fremden, den sie zu ihrer Ueberraschung erblickte.

„Ist das möglich?“ sagte sich Gebhard. „So habe ich sie mir nicht gedacht! Das ist ja wahrhaft ein Märchen, ein Zauber von ewiger Jugend! Man hat sie mir wohl geschildert, aber wie matt und falsch!“

„Wer ist das, Günther?“ fragte die Dame rasch und leise, als sie von dem Nahenden, doch nicht von dem Gaste, gehört werden konnte.

„Gebhard Hallstein – er hat mich aufgesucht – er wünscht Dir vorgestellt zu werden.“

Bei der Nennung des Namens zuckte es ein wenig um den Mund der Dame – Günthers scharfem Blicke, der gewohnt war, in ihren Mienen zu lesen, konnte es nicht entgehen. Aber sie sagte nichts, sondern faßte Gebhard nur fester in das Auge, als er, seinen Schritt um etwas beschleunigend, näher kam. Er grüßte sie ehrerbietig, als Günther ihn vorstellte; er bat um Entschuldigung, daß er dem Drange, seinen Freund wiederzusehen, nachdem er einmal Nachricht von ihm erhalten, nicht habe widerstehen können. Sie antwortete leicht und höflich, wie es der gute Ton nur verlangen kann; ihre Miene war freundlich und lächelnd, ihre Stimme klang durchaus angenehm, aber Gebhard konnte sich doch dabei eines Gefühls nicht erwehren, das er im zeitigen Frühling in den lombardischen Seethälern gehabt, wo er durch die lauen wohlthuenden Lüfte doch zuweilen hindurchwehend einen kältenden Hauch von dem ewigen Schnee und Eis der Alpen gefühlt hatte.

„Sie hat ein Vorurtheil gegen mich!“ dachte er. „Sie muß es haben. Aber sie soll sich dessen noch schämen – das gelobe ich mir.“

Als sie auf den einfachen Bänken, welche vor der Thüre des Hauses unter drei jungen, unlängst gepflanzten Bäumen standen, Platz genommen hatten und ein leichtes Gespräch von wenig Inhalt durch die Dame in Gang gebracht war, fand Gebhard Gelegenheit, seine Beobachtungen fortzusetzen. Er verglich seinen Freund mit der schönen Frau, welche neben ihm saß – wenn er die Verhältnisse nicht gekannt hätte und sie ihm als Günther’s Gemahlin genannt worden wäre: wahrlich, er würde nicht viel dagegen einzuwenden gehabt haben. Zwar hatte sie die erste Jugendblüthe – das sah er nun

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_257.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)