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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

sie hat die unselige Leidenschaft Deines Bruders, die sich zu ihr, der verheiratheten Frau, verirrte, nie aufgemuntert, im Gegentheil Alles gethan, um sie abzuschrecken, bis zur Unfreundlichkeit und absichtlicher Annahme von äußern Dingen, die einem Manne von seinem Gefühle nicht gefallen können.“

„O ja, das hat sie gethan und ich will sie nicht verdächtigen, wie es nahe liegt, daß sie ein herzloses Spiel getrieben habe, um sich an dem ohnmächtigen Ankämpfen der Leidenschaft gegen alle Hindernisse, selbst gegen äußere Fehler der Geliebten, zu ergötzen. Ich will das nicht thun, aber die Thatsache liegt nackt und klar da, daß Alles nur dazu gedient hat, diese Leidenschaft zu steigern, bis zu dem Ende, das sie genommen hat. Mein Bruder ist nun todt und meine Mutter ist auch todt, Deine Mutter aber blüht in unvergänglicher Schönheit und kann mit Waldemar’s Bruder scherzen!“

„Daß sie das kann, Gebhard,“ erwiderte Günther, „muß Dir beweisen, wie rein und lauter sie sich fühlt. Seit jener traurigen Zeit sind zwanzig Jahre vergangen, und wenn Dir von den Deinigen so rückhaltlos die Wahrheit, – die ganze, volle Wahrheit, Gebhard! – gesagt worden ist, wie mir, so mußt Du meine Mutter achten, mußt es anerkennen, daß sie Dir hell und freundlich in das Auge sehen kann.“

„Was meinst Du?“ fuhr Hallstein auf. „Die ganze, volle Wahrheit? Weiß ich sie etwa nicht?“

„Auch in Bezug auf die Versuchung, die meiner Mutter, jung und harmlos, wie sie war, genaht ist, die Versuchung, ihr Eheband zu lösen, das ihr ein Leben in Dürftigkeit und Entsagung, an der Seite eines Greises, dem sie die Hand nur aus Pflichtgefühl für den Willen ihres Vaters gereicht, bereitete, während ihr dafür – verkenne mich nicht, Gebhard, wenn ich Dir jetzt Alles sage, was meine Mutter nur mir, nach langen Jahren, erst in dieser Abgeschiedenheit vertraut hat! Ich sage es Dir nur, um meine Mutter, welche Du verkennst, in Deinen Augen leuchtend zu rechtfertigen!“

„Sprich!“ bat Gebhard mit bebender Stimme.

„Du hast Deinen Bruder Waldemar wohl nicht gekannt, wie er einst war, in Fülle seiner männlichen Schönheit und Geistesgaben! Dir schwebt sein Bild nur vor, wie Du, der so viel jünger ist, ihn in seinen letzten verdüsterten Jahren gesehen hast –“

„Was will Du damit sagen?“ rief Gebhard. „Hab ich ihn auch in seiner blühenden Jugend nicht gekannt, so weiß ich wohl davon und das Miniaturbild aus jener Zeit, das über dem Bett meiner Mutter hing und ihren letzten Blick empfangen hat, ist jetzt mein Eigenthum –“

„Nun wohl, Gebhard, so nimm von Deinem Freunde, als ein theures Vertrauen und verwahre in Deiner Brust, was ich Dir jetzt sage: Meine Mutter hat Waldemar geliebt!“

Aufzuckend ergriff Gebhard Günther’s Hand und seine Wange zeigte ein flüchtiges Erblassen, das aber schnell einer jäh aufflammenden Gluth wich.

„Die ritterliche Erscheinung Deines Bruders, die zarte und tiefe Neigung, die er zu verhüllen und zu bekämpfen strebte, und die ihn dennoch mit verhängnißvoller Gewalt immer wieder in ihre Nähe zog – konnte meine Mutter gleichgültig dagegen bleiben? Sie war, noch ein halbes Kind, dem strengen alten Krieger verlobt worden, der ein Waffengefährte ihres Vaters gewesen war, sie hatte ihm, der bald kränklich wurde, zwar ihre volle und treue Sorge geweiht, aber – ihr Herz? Ich kann Dir nicht sagen, wie Alles gekommen ist, da ich natürlich nur flüchtige Andeutungen über dies zarte Geheimniß erhalten habe – ein Geheimniß, verstehe mich recht, auch für Deinen Bruder! Nie hat er errathen, was in dem Herzen meiner Mutter für ihn lebte –“

„Das weiß ich!“ versetzte Gebhard düster. „Der geringste Strahl von Hoffnung würde ihn uns erhalten haben. War es nicht grausam, der erlöschenden Fackel seines Lebens diese Wohlthat vorzuenthalten?“

„Gebhard! Eine Vertröstung auf den Tod des Gatten – ein Geständniß des Gefühls, das ein Unrecht war –“

Der Graf schwieg und blickte vor sich nieder; in seinen ausdrucksvollen Zügen malte sich eine Bewegung. Zwischen Beiden waltete eine minutenlange Stille und Günther hoffte das Gespräch, das ihm so peinlich war, ganz beendigt zu sehen. Aber Gebhard begann mit der ihm eigenen Consequenz, wo es galt, eine Sache bis zu ihren äußersten Spitzen zu verfolgen, von Neuem: „Die ganze volle Wahrheit hast Du mir versprochen. Wie konnte mir meine Mutter von dieser Versuchung sagen, wenn sie nur im eigenen Herzen vorgegangen und Jedermann, selbst Waldemar, ein nie geahntes Geheimniß geblieben ist?“

„Von dieser Versuchung rede ich nicht, ich meine die, welche ihr von außen genaht ist. Man sah wohl, daß sie nicht glücklich sein konnte – das muß der Sohn von seinem Vater sagen, Gebhard, aber ich bin es meiner Mutter schuldig. Der Vater war krank und hinfällig, und darum wohl herber, als er selbst wußte; das Vermögen, das er besessen hatte, war durch Unglücksfälle und Sorglosigkeit verloren gegangen – meine arme Mutter hatte ja damals von Geschäften keinen Begriff, sonst würde sie auch hier rathend und warnend eingegriffen haben, sie that nur treu ihre Pflicht als Hausfrau und Pflegerin des kranken Gatten und trug das Loos der Verarmung, die Verlassenheit, als die falschen Freunde sich zurückzogen, mit Ergebung. Da nahete sich ihr die Versuchung, von der ich sprach. Es wurde ihr die Möglichkeit eröffnet, ihr Eheband gelöst zu sehen, für den Gatten wurden ihr ein sorgenfreies Asyl, im Ueberflusse, bei aller Sorge für seine Gesundheit durch die Kunst berühmter Aerzte, in Aussicht gestellt – den Grund der Scheidung wähnte man auf die schonendste Weise gefunden, den Spruch selbst schon gewiß zu haben, zu der Zeit, wo es noch leicht war, das heilige Band nach Gefallen zu lösen.“

„Und wer hat diesen Antrag gemacht? Wen klagst Du hier gegen mich an?“ fragte Gebhard, indem er sein großes blaues Auge fest, beinahe drohend auf den Freund richtete.

„Ich habe kein Recht zur Anklage, wo ein Leben auf dem Spiele stand. Auch diese Andeutung wurde meiner Mutter nicht erspart. Welche Kämpfe sie nun bestanden, das weiß nur Gott, der in ihr Herz gesehen hat. Mein Vater wurde endlich, als Alles fruchtlos blieb, in das Spiel gezogen.“

„Das ist zu viel!“ rief Gebhard. „Du brandmarkst uns, um alle Schuld von dem einen Haupte zu nehmen.“

„Welches Wort, Gebhard! Wo ein theures Leben bedroht war, die Seelenangst, die nach einem Lichtschein in der Finsterniß blickt, mag es auch ein Irrlicht sein – o, ich verstehe und entschuldige Alles! Auch ist, das weiß ich, kein unedles Motiv bei meinem Vater benutzt worden, keine Verdächtigung etwa, man suchte im Gegentheil sein treues Weib so hoch in seinen Augen zu stellen, daß er selbst, von Achtung und Mitleid ergriffen, sich entschließen sollte, ihr ein besseres Loos durch einen raschen Entschluß zu bereiten. Aber ein Wort meiner Mutter genügte, um den Moment vorüberzuführen. Und so blieb sie bei ihrer Pflicht – was geschehen ist, fällt nicht auf ihr Haupt.“




II.

Das war nun freilich zwanzig Jahre her und Gebhard fühlte keine Unzufriedenheit, als das Gespräch durch die Dazwischenkunft eines Dritten unterbrochen wurde. Es hatte eine Wendung genommen, welche ihm, der sonst so fest zu stehen wähnte, den Boden unter den Füßen unsicher machte; wozu sollte es also führen, die Vergangenheit von zwanzig Jahren wieder zurückzurufen? Die Aufschlüsse, die er soeben erhalten hatte, neu und unerwartet, wie sie waren, gaben ihm zu denken genug, und er hieß Günther’s Entschuldigung, als dieser durch einen kleinen dicken Mann abberufen wurde, sehr willkommen, denn er blieb sich nun eine Weile selbst überlassen, wo er Alles in seinem Geiste verarbeiten konnte.

Frau von Aßberg hatte also seinen Bruder Waldemar geliebt! Die junge bildschöne Frau, wie sie ihm, der sie bis heut nicht gesehen hatte, geschildert worden war, die Gattin eines alten kranken Mannes, der ihr Großvater hätte sein können, hatte ein freudloses Leben in Armuth und Sorgen dem Loose vorgezogen, das ihr an der Seite des Geliebten winkte, welcher ihr mit einer glühenden und starken Leidenschaft zugethan war und sie auf Händen getragen, auf Rosen gebettet haben würde, während sie von ihrem Gatten eine harte und unfreundliche Behandlung zu dulden hatte und nur Dornen auf ihrem verödeten Lebenspfade fand. Wie hoch stand ihm diese Frau jetzt und welches Unrecht hatte er ihr im Geiste abzubitten! Was aber mußte er von einer Andern denken, die ihm bis auf diesen Moment als das Bild jeder Frauentugend erschienen war! Konnte seine Mutter im Ernst der Frau, welche ihr Herz der Pflicht opferte, jene Versuchung bereitet haben, von welcher Günther gesprochen? Sie war damit gescheitert und Waldemar hatte sich, unheilbarer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_259.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)