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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Aßberg harmlos. „O ja, wenn es die Anlage des Gartens betrifft, welcher noch darauf wartet, wie Sie sehen, oder die Einrichtung des Hauses für Blattpflanzen und Blumen dort“ – sie zeigte nach den blitzenden Fenstern desselben – „da sucht mein Sohn meine Entscheidung, wie Sie sagen. Denn ich liebe die Blumen und bilde mir ein, von ihrer Pflege etwas zu verstehen. Aber für Bauwerke, ich meine deren praktische Seite, habe ich kein Verständniß; ich kann wohl sagen, ob es mir gefällt, kann auch, wenn ich mich recht anstrenge, den Baustyl unterscheiden, den mir einige schöne Gebäude aus alter und neuer Zeit, die ich gesehen habe, anschaulich gemacht, und –“ setzte sie lächelnd hinzu – „ich kann auch ein wenig tadeln, aber rathen, wo Günther gewiß zehn verschiedene und wenigstens nach meinem Geschmack ganz hübsche Entwürfe gezeichnet hat, das geht über meine Kräfte. Ich wünsche nur, daß es behaglich zum Wohnen sein möge, und das kann ich dem Plane nicht ansehen.“

„Wir wollen eine gemeinschaftliche Sitzung als Baucommission darüber halten,“ sagte der Graf. „Sie haben also fest beschlossen, hier immer zu wohnen? Ich hoffte, Günther werde sich in unserer Nähe ankaufen und nicht ganz mit der Gesellschaft brechen, die er sonst, ich weiß es, nicht ungern suchte. Aber er hat mir gesagt, daß er vollkommen zufrieden sei, und so kann ich nichts einwenden.“

Sein Auge hatte bei der gleichmülhig gesprochenen Rede auf Frau von Aßberg ganz in der unabweisbaren Manier geruht, die er sich zu eigen gemacht hatte. Auf einmal erröthete Frau von Aßberg, eine leichte Purpurfarbe wallte in ihrem Gesichte auf und dunkelte schnell zur tiefen Gluth: die Vierzigjährige erröthete, wie ein junges Mädchen vor dem Blicke des Weltmannes; wenigstens legte er sich die überraschende Erscheinung so aus. Sie aber begegnete jetzt mit ihrem dunkeln, frei aufgeschlagenen Auge dem seinigen, und ein seltsames Gefühl der Befangenheit überkam ihn bei diesem leuchtenden Strahl.

„Wollen Sie wahr gegen mich sein, Graf Hallstein?“ fragte Frau von Aßberg.

„Gnädige Frau!“

„Kommen Sie hierher in Frieden? –“

„Welche Absichten legen Sie meinem Hiersein unter, wenn Sie mir doch ein Recht auf Günther’s Freundschaft zuerkennen?“

„Es ist besser, wir sprechen uns aus,“ sagte Frau von Aßberg, mit dem leisen Beben ihrer Stimme kämpfend. „Sie sind hierher gekommen aus Freundschaft für meinen Günther, ich erkenne das an und weiß, daß Sie ihm theuer sind – aber Sie haben auch mich sehen wollen, der Sie nicht freundlich sein können. Ich meide gern jede Heimlichkeit, alles versteckte und verblümte Wesen – ja, Graf Gebhard, Sie haben Ursache, mir, obgleich ich die Mutter Ihres Freundes bin, mit Abneigung zu nahen, doch, wie ich keine Schuld trage –“ hier legte sie ihre schöne weiße Hand betheuernd auf die hochemporwallende Brust – „so nehme ich auch keinen Anstand, den Namen Ihres Bruders Waldemar vor Ihnen auszusprechen. Gott hat ihm Frieden geschenkt – lassen Sie uns denn auch Frieden schließen!“

Sie reichte ihm die Hand, der Strahl ihres Auges erlosch in den aufquellenden Thränen, welche ihre Wimper netzten. Gebhard nahm die Hand, die ihm nun heut zum zweiten Male geboten wurde, und sagte mit einer Bewegung, die seiner Stimme einen ihm selbst fremden Klang gab:

„Frieden mit uns Allen!“

Nach kurzem Schweigen hatte sich Frau von Aßberg gefaßt.

„Und lassen Sie mir auch meinen Günther!“ begann sie mit einem halb ernsten, halb scherzhaften Tone. „Ich täusche mich selten, leugnen Sie es mir also nicht, daß Sie Günther gern wieder entführen möchten.“

Sie sah ihn dabei so prüfend an, daß er nicht umhin konnte, zu gestehen, wie er bei der Reise durch die von aller Verbindung abgeschnittene Gegend und besonders durch den Gürtel von Wald und Bruchland, in welchem Berga gelegen sei, die Möglichkeit für Günther, hier zufrieden zu sein, bezweifelt habe, und daß es ihm, nun er die Ehre gehabt, Frau von Aßberg kennen zu lernen, auch für diese unbegreiflich scheine.

„Was mich betrifft,“ erwiderte sie lächelnd, „so sind Ihre Zweifel ganz unbegründet. Ich habe hier Alles, was ich mir wünsche, mir fehlt nichts –“

„Als Menschen!“ warf Hallstein rasch ein.

„Im Sinne der großen Welt, meinen Sie natürlich – diese fehlen hier allerdings: die sogenannte Nachbarschaft ist dürftig. Im Umkreise von sechs bis acht Meilen, und das ist bei hiesiger Landesart schon das Unerreichbare, finden sich überhaupt nicht viele Dörfer, weil Alles Wald und, wie Sie ganz richtig bemerkt haben, Bruchland ist; von diesen Dörfern sind nur wenige einst Herrensitze gewesen und jetzt, bis auf zwei, nicht mehr in adeligen Händen. Ich gebe Ihnen noch mehr zu. Die andern Besitzer der Rittergüter in unserer Gegend und ihre Familien, die wir alle kennen gelernt haben, sind ihrer Bildung und ihren Interessen nach für uns nicht zum Umgange geeignet, auch wir nicht für sie, wir würden ihnen nur herzlich störend sein. Die beiden adeligen Häuser, von denen ich sprach – ich sage es mit Bedauern – kämpfen nur noch mit letzter Kraft gegen die Ungunst der Zeit, und scheuen darum allen Umgang mit Andern, der ihnen ihre Lage nur noch drückender machen könnte. So haben Sie Recht: uns fehlen in Ihrem Sinne Menschen. Ich will Sie auch nicht mit philanthropischen Ideen über unsern Verkehr mit einer andern Classe von Gottesgeschöpfen, die Sie doch am Ende auch als Menschen ansehen müssen, langweilen. Ich sage Ihnen einfach: ich bedarf des sogenannten geselligen Umganges nicht, wenn ich meinen Sohn, meine Blumen und Bücher habe. Und damit Sie mich nicht egoistisch nennen und mir, wie ich Ihnen ansehe, den Vorwurf machen, daß ich Günther, um ihn ganz mein eigen zu haben, aus allen Verbindungen mit der Welt gerissen und hier in einer Art Gefangenschaft, gefesselt durch seine kindliche Liebe, halte, so muß ich Ihnen sagen, daß der Vorschlag, uns fern von den großen Städten niederzulassen, von ihm ausgegangen ist, daß er diese Gegend, die ich gar nicht gekannt habe, gewählt, Berga gekauft hat, ohne daß ich es zuvor je gesehen.“

„Dann muß er einen Grund haben, das Leben in Einsamkeit zu suchen!“ rief Hallstein.

Frau von Aßberg sah ihn einen Moment erwägend an und sagte dann ruhig: „Ja.“

„Wahrhaftig!“ rief Gebhard und des Freundes ernstes Gesicht, mit den scharf eingeschnittenen Zügen, deren Linien, seit er ihn nicht gesehen hatte, viel tiefer geworden waren, trat ihm lebendig vor die Seele, während er erwartungsvoll auf die Mutter blickte, welche Erklärung sie ihrem kurzen Worte geben werde.

Aber diese blieb aus. Frau von Aßberg fuhr fort:

„Ich bitte Sie darum herzlich, wenn Sie Günther lieb haben, so stören Sie den Frieden, den er gefunden hat, nicht, verleiden Sie ihm die Freistatt, die er schon lieb gewonnen hat, nicht durch eine Kritik derselben. Ich halte Sie bei dem Wahlspruch fest, den Sie selbst gegeben haben: Frieden mit uns Allen!“




III.

Nach einer Stunde kam Günther mit dem kleinen, dicken Herrn zurück: es war der Verweser des Gerichtsamts aus der benachbarten kleinen Stadt, welcher zugleich Patrimonialrichter von Berga war und in Sachen der Justiz mit dem Gutsherrn eine Rücksprache genommen hatte. Er blieb zur Tafel und gab dem Grafen, dessen Lebenskreis ihn nie mit den Mittelclassen, am wenigsten kleiner Städte, in nähere Berührung gebracht hatte, Gelegenheit zu merkwürdigen Betrachtungen. Der Mann, mit dem er hier an einem Tische saß, erschien ihm zwar im Ganzen sehr lächerlich, weil er gegen die sociale Rangordnung, die ihm doch nicht im Entferntesten fühlbar gemacht wurde, durch ein seltsam gespreiztes, anmaßendes Wesen Protest einlegte, auch kam die ängstlich überwachte Form bei Tisch, die Handhabung von Messer und Gabel, Glas und Serviette, die mit jenem Indiebrustwerfen einen wunderlichen Contrast machte, dem Grafen wie eine komische Studie aus „Knigge“ oder „Alberti“ vor, aber er mußte doch bei mancher Aeußerung des Mannes scharfen und hellen Verstand und sein gesundes Urtheil anerkennen, und fand gegen Ende der Tafel sogar Geschmack an seiner Unterhaltung, als sie auf einen Boden kam, wo er auf festen Füßen stand, nämlich auf die zunehmende Demoralisation und die Mittel, ihr Einhalt zu thun. Hier zeigte der kleine Herr auch so viel Takt, gewisse Rücksichten gegen die vornehmem Schichten der Gesellschaft, die er vorher wenig geachtet hatte, nicht zu verletzen, und sprach sich nicht als bloßer Jünger der Themis, der nur mit dem Richtschwert bessern will, aus, sondern vielmehr mit solcher Humanität, daß ihm der Graf seine Achtung nicht versagen konnte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_274.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)