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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

auf Gebhard’s Lippen schwebte eine Frage nach dem begonnenen Gebäude, aber er sprach sie nicht aus. Ihm war so seltsam feierlich zu Muthe, wie er sich dessen kaum mehr aus langvergangenen Knabentagen erinnerte und bald genug – wieder schämte. Eine nüchterne Frage, was dort gebaut werde, ein Fischerhaus, ein Jagdschlößchen oder gar nur ein Eiskeller, erschien in diesem Momente gehobener Stimmung allzu elend: er schwieg und Beide fuhren wohl eine halbe Stunde stumm neben einander sitzend durch den Wald, in welchem die Dämmerung allmählich den unscheinbaren Weg fast unerkennbar machte.

„Wir haben uns wohl verirrt?“ fragte der Graf endlich, als er bemerkte, daß Aßberg mit gespannter Aufmerksamkett nach Wahrzeichen suchte, die er verloren zu haben schien.

„Auf meinem eigenen Grund und Boden – es wäre eine Schande,“ erwiderte Günther, mit einer gewaltsamen Rückkehr aus dem fremden Reich der Träume in die Wirklichkeit. „Aber ich stehe nicht dafür, denn ich kann den Grenzstein nicht finden, der nach meiner Meinung hier unter den beiden verwachsenen Eichen stehen müßte.“

„Ein habgieriger Nachbar hat ihn vielleicht in aller Stille verrückt,“ scherzte Gebhard.

Günther erwiderte nichts, sondern ließ das Pferd, das ohnehin unruhig geworden war und sich im Zwielicht vor jedem fremdartig blickenden Strauche scheute, im starken Trabe den immer breiter werdenden Weg verfolgen. Der Eichenwald hatte aufgehört, und die knorrigen Stämme der Kiefern gaben dem edeln Blute des Renners, wie sich Hallstein ausdrückte, noch mehr „Ombrage“ – da glaubte er auf einmal ferne Glockenklänge zu hören und ehe er noch Günther darauf aufmerksam machen konnte, sagte dieser lebhaft: „Das sind die Glocken von Allweide! Wie sind wir dahin gekommen?“

Nach kurzer Fahrt gelangten sie in das Freie. Aßberg hatte dem Freunde erklärt, daß Allweide eine Meile von Berga entfernt sei und einem Herrn von Nidau gehöre, der mit keinem Menschen Umgang hege und auch ihn, als er mit seiner Mutter einen nachbarlichen Besuch beabsichtigt, nicht angenommen habe; ein Gegenbesuch sei eben so wenig erfolgt, nur der Schäfer von Allweide habe einmal von seinem Herrn eine Art von Entschuldigung gebracht. Während dieser Erzählung fuhren sie am Rande des Waldes dahin, wo sich Günther nun leicht zurecht fand. Im Freien war es noch hell genug, wenn auch im Westen das Abendroth bereits im Erlöschen war. Drüben, wo die hohen spitzen Pappeln sich erkennen ließen, ging der Weg von Nidau nach Berga, es kam nur darauf an, dorthin zu gelangen. Quer durch das Korn zu fahren, wäre doch selbst dem rücksichtslosesten jungen Menschen bedenklich gewesen, es blieb daher nichts übrig, als sich dem Dorfe mehr und mehr zu nähern, wo die Glocke unter ihrem hölzernen freistehenden Thürmlein fort und fort gezogen wurde.

„Das kann doch kein Abendläuten mehr sein,“ bemerkte Günther. „Die Sonne ist ja längst untergegangen.“

„Mir klingt es eher wie ein Armsünderglöcklein,“ sagte der Graf. „Wahrhaft nervenangreifendes Bimmeln!“

„Dort steht ein Mensch am Baume,“ rief Günther. „Der wird uns Bescheid geben über den Weg und das Läuten.“

Im Zwielichte zeigte sich wirklich ein hagerer Mann, der auf einen langen Stab gelehnt unter einem Baume stand und beim Nahen des Wagens den Hut zog. Günther hielt vor ihm an.

„Guten Abend! Kann ich nicht von hier auf den Weg nach Berga kommen oder muß ich in das Dorf fahren?“

„Ich werde Sie einen Rain weisen, gnädiger Herr,“ antwortete der Mann, und auf Günther’s Frage, ob er ihn kenne, bejahte er dies und gab sich als den Schäfer zu erkennen. Kurz vorher war von ihm die Rede gewesen.

„Was bedeutet denn das Läuten?“ fragte Günther – eben verhallten die letzten Klänge.

„Ach, Du lieber Gott!“ erwiderte der Schäfer, und man hörte seiner Stimme an, daß er mit dem Weinen rang. „Unser armer gnädiger Herr ist zu Abende gestorben.“

„Wie?“ rief Aßberg betroffen. „So plötzlich? Oder war er länger krank?“

„Ich habe ihn nicht krank gesehen und kein Mensch nicht. Gefehlt muß ihm schon was haben und wenn er auf mich gehört hätte – aber er hörte auf keine Seele! Nun, gnädiger Herr, hier geht der Rain, Sie können nicht mehr fehlen; ich muß nach der Stadt zum Herrn Amtmann, der Herr Pastor meint, es muß sein.“

Günther hatte nur noch eine Frage.

„Wer ist bei der armen Tochter?“

„Der Herr Pastor – gute Nacht, gnädiger Herr.“

Damit blieb er stehen; Günther lenkte sein etwas widerstrebendes Pferd in den Feldrain, welcher sie nun gerade nach dem Bergaer Wege führte.

„So haben wir noch ein trauriges Erlebniß gehabt,“ sagte der Graf. „Wenn ich nicht irre, sprach Deine Mutter davon, daß die beiden adeligen Familien der Nachbarschaft keineswegs in glänzenden Umständen lebten – hinterläßt dieser Herr von Nidau nur die Tochter, von welcher Du sprachst?“

„Nur sie, und so viel ich weiß, ist sie noch sehr jung. Wer wird ihr mit Rath und That beistehen?“

„Gewiß hat sie Verwandte,“ erwiderte der Graf. „Vor der Hand steht ihr der Geistliche tröstend zur Seite und die Geschäfte wird unser Freund von heute Mittag ordnen, den Du ja einen rechtschaffenen und intelligenten Mann genannt hast. Er ist doch der Amtmann, zu welchem der Schäfer geschickt wird?“

„Sie nennen den Gerichtsverweser Hassel in der Gegend noch immer mit dem Titel, der unter der frühern Landeshoheit üblich war. Was er thun kann, wird er gewiß für das arme Mädchen thun, aber ich fürchte, daß nun der längst vermorschte Bau zusammenstürzen und die Unglückliche bitterer Noth Preis geben wird.“

Auf dem Heimwege, der nun in einer kleinen Stunde zurückgelegt wurde, sprachen sie noch viel über diese Angelegenheit, nur war Günther von den Verhältnissen zu wenig unterrichtet, um ein bestimmtes Urtheil zu haben. Frau von Aßberg erwartete sie unterdessen mit wachsender Sorge; sie war von ihrem Sohne kein unbestimmt verlängertes Ausbleiben gewohnt, er kehrte stets eher zurück, als er ihr vorher gesagt hatte, sie mußte daher, wenn heute nichts Besonderes vorgefallen war, die Schuld auf Hallstein schieben und seine Zusage, Günther’s Frieden nicht stören zu wollen, tröstete sie wenig, besonders, weil sie mit Bestimmtheit glaubte und auch hoffte, daß Günther endlich sein Herz gegen ihn erleichtern werde. Denn, wenn Günther sich aussprach, was war natürlicher, als daß der Freund von seinem Standpunkte aus ihn von Neuem verwirrte und zweifelhaft machte, ob er auch das bessere Theil erwählt habe? Aber, abgesehen von Allem, konnte Beiden auch ein Unfall begegnet sein! Sie war eine klare, ruhige Frau, die sich nicht so leicht unbestimmten Befürchtungen hingab, doch schien, seit Gebhard’s Eintritt in dies Haus, ein fremdartiger Tropfen in ihr Blut gefallen zu sein, der es erregter pulsiren ließ, als sonst. Durfte das Wunder nehmen, da er Waldemar’s Bruder war und ihm in Manchem so ähnlich? Sie fühlte sich erleichtert, als sie endlich, nachdem es schon ganz finster geworden, den Wagen auf den Hof rollen hörte, und eilte selbst vor die Thüre, wo sie des Sohnes Namen fragend den Ankommenden entgegen rief. Wie klang ihre Stimme so liebevoll und auch so jugendlich! Graf Hallstein hätte sie eher für die einer besorgten Braut, als der Mutter gehalten!

„Wir sind es, Mama!“ gab Günther zur Antwort und erklärte zugleich ihr längeres Ausbleiben.

Im Zimmer, wo bereits die Lampe brannte, war Gebhard überrascht, wie verändert Frau von Aßberg erschien, so daß er ihr im ersten Moment schuld gab, sie habe während ihrer Abwesenheit alle Geheimmittel aufgeboten, um die letzten Spuren der Jahre von ihrem Gesicht zu vertilgen. Er hatte in den Regionen der Höfe, welchen er angehört hatte, schon manches glänzende Beispiel von der Macht künstlicher Beleuchtung, verbunden mit großer Toilette, kennen gelernt, aber ohne die Hülfe der letzteren in dem Maße wie hier noch niemals. Er glaubte jetzt wirklich an die Möglichkeit ewiger Jugend, und die Gedanken, die schon heute früh in ihm lebendig geworden waren, erwachten von Neuem und hielten ihn fest, während Günther seiner Mutter die Nachricht von dem plötzlichen Tode des Herrn von Nidau erzählte, welche er durch den Zufall erfahren hatte. Frau von Aßberg hörte sie mit großem Antheil.

„Das arme Kind!“ rief sie. „Wenn ich etwas helfen kann, thue ich es mit Freuden. Fremder Zuspruch ist nur in so trüben Stunden zu lästig – leider bin ich auch ganz unbekannt mit den Verhältnissen der Familie, weiß nicht, ob und welche Verwandten sie hat, und wie sie es aufnehmen würde, wenn ich ihr nahen wollte. Herr Hassel ist zum Glück auch dort Sachwalter und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_276.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)