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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Er schwieg und Gebhard, tief bewegt, erfaßte des Freundes Hand: „Von einer Befürchtung kann ich Dich befreien, dieser Walrode ist nicht der Bräutigam Deiner Nachbarin gewesen, ich habe ihn gekannt und auch seine Braut, die sich schon getröstet und anderweitig verheirathet hat. Die zweite Last Deiner Seele begreife ich nicht, noch weniger, wie sie Dich zu dem Entschlusse treiben konnte, ganz mit der Welt zu brechen und Dich in diese Einöde zurückzuziehen. Allerdings ist der Zweikampf ohne Secundanten nicht in der Ordnung, aber in diesem besondern Falle ehre ich Deinen Beweggrund dazu vollkommen – wie kann Dich nun der Ausgang, auf welchen man bei dem ernsten Gange immer gefaßt sein muß, so niederbeugen?“

„Ohne Secundanten, Gebhard, ganz recht, das war zu entschuldigen – aber ohne Arzt? Siehst Du, das macht Dich auch bestürzt. Walrode wäre zu retten gewesen, wenn wir einen Arzt mitgenommen hätten!“

„Das glaubst Du hinterher und quälst Dich damit!“

„O nein, ich bin davon überzeugt. Der Arzt – der zu spät herbeigeschafft wurde – sagte es auch.“

„Wie sie es immer behaupten!“ rief Hallstein. „Entschlage Dich des entnervenden Gedankens, der zu nichts mehr führen kann. Was hatte es sonst für Folgen?“

„Verkenne mich nicht, Gebhard. Ich wollte mich dem beleidigten Gesetz stellen – nachdem ich, wie es rathsam, der ersten Verhaftung ausgewichen war. Aber ich schlug einen falschen Weg ein, den zu meiner Mutter nach Venedig – von ihr wollte ich Abschied nehmen, ihr mein Unglück verkünden, doch ohne ihr je den Anlaß dazu zu entdecken – das aber war der Weg, der mich noch tiefer verstrickte. Denn sie errang mein Versprechen, mich dem Gerichte des Auslandes nicht zu stellen, da Niemand aufgetreten war, mich anzuklagen; Niemand wußte, daß ich mit Walrode mich geschossen – wir waren ganz allein, auch ohne Diener, zu dem bestimmten Orte geritten, und hatten die Pferde angebunden, damit der Ueberlebende sich gleich retten könne. Ich war dann, Walrode’s Thier an der Hand, nach Hallstadt gejagt, um einen Arzt zu holen. Dem Verwundeten hatte ich mit meinem Tuche, so fest ich konnte, den Blutverlust zu hemmen gesucht. Es war, als habe uns vorher ein böser Geist die Sinne verblendet, daß wir uns die Möglichkeit, der Ehre genug zu thun, ohne daß Einer von uns todt auf dem Platze bliebe, durch Ausschließung des Arztes ganz abgeschnitten hatten. Ich fand einen solchen in Hallstadt, der mich auch gleich begleitete – zu spät!“

„Walrode’s Ende habe ich wohl gehört,“ sagte der Graf, nachdem Günther länger verstummt war und auch er Vieles bedacht hatte, was ihn bewegte. „Aber wie hätte ich ahnen können, daß Du –? Es wurde ein ganz anderer Name genannt –“

„Kein wirklicher – ich meine, kein echter, wahrer Name, den irgend ein Mann getragen!“ rief Günther hastig. „Wäre das der Fall gewesen, keine Macht, nicht die Bitten und Beschwörungen meiner Mutter würden mich abgehalten haben, mich als den Thäter anzugeben! Glaubst Du wirklich, ich sei fähig gewesen, meine Schuld zu verheimlichen und sie einem Andern, Unschuldigen aufbürden zu sehen?“

„Beruhige Dich, Günther,“ bat ihn der Graf, von dieser Aufregung eines empörten Gefühls mehr und mehr seiner gewöhnlichen Stimmung zurückzugeben. „Ich bin vielleicht besser über diesen Golem, Mannequin oder Strohmann, der für Dich als strafbarer Duellant angesehen wurde, unterrichtet, als Du selbst.“

„O, scherze nicht, Gebhard, wo mein Seelenfrieden verloren ist!“

„Dadurch?!“ rief Hallstein. „Doch erzähle mir erst, was Du weiter gethan hast, als Alles vorbei und nicht mehr zu ändern war. Dein plötzliches Verschwinden aus Ischl muß doch den Verdacht auf Dich gelenkt haben – ich begreife nicht, wie er auf diesen sogenannten Dorpat gefallen ist.“

„Walrode, wie ich, waren übereingekommen, am Tage vorher förmliche Abschiedsbesuche bei unsern Bekannten zu machen – ich hatte ganz bestimmt auch mein Reiseziel, Venedig, angegeben, mir dorthin von einem der leicht gewonnenen Freunde Nachrichten über den weiteren Verlauf der Saison und was mich interessiren könne, bestellt; durch ihn erfuhr ich denn auch, wie der Verdacht auf den Andern, der sich Dorpat genannt hatte, gefallen sei – und was sonst über diesen Menschen sich ermittelt hatte, gab eben meiner Mutter die Waffe, womit sie meinen anfänglichen Entschluß, meine That nicht zu leugnen, bekämpfte.“

„Im Grunde, was wäre daran gelegen gewesen!“ sagte Hallstein leicht. „Ein Jahr oder zwei nach Hohen-Salzburg – wunderschöne Aussicht, Untersberg, Staufen – oder gibt es dort keine Detinirten? Ich weiß nicht einmal. – verzeihe mir, Günther, ich kann diese allerdings unglückliche, aber doch oft vorfallende Begebenheit nicht so schwer nehmen. Dieser erbärmliche Walrode, der alle Ursache hatte, sich einen anständigen Ausgang aus der Welt zu wünschen, beleidigt Dich durch eine Nichtswürdigkeit, Ihr schießt Euch auf Barriere, Du überlebst ihn, und einem elenden Schwindler, der zufällig mit Walrode auf öffentlicher Promenade Streit gehabt und Ischl vielleicht aus Furcht vor den Folgen desselben bei Nacht und Nebel verlassen hat, widerfährt die Ehre, als ein Cavalier angesehen zu werden, von dessen Kugel Walrode im Duell ohne Zeugen gefallen sei. Es stellt sich dann bei einiger officieller Nachforschung heraus, daß dieser Dorpat weder so, noch Hinz, Kunz, Peter oder Steffen, wie er sich nach einander aus Nützlichkeitsrücksichten genannt hat, sondern eigentlich N. N. geheißen, ich weiß nicht mehr; ferner, daß er nicht aus Esth- oder Kurland, sondern aus der Kurmark, weder ein Freiherr, noch überhaupt ein Herr, sondern ein Diener war, der mit der Cassette seiner alten Dame durchgegangen – kurz, die Personification einer Anekdote – und daß er glücklich über Hamburg nach Amerika entwischt ist. Kannst Du Dir nur im Entferntesten ein Gewissen daraus machen, daß Du besagtem Baron von Dorpat, der als solcher nie existirt hat, die Ehre des bestandenen Zweikampfes – denn eine Schande ist es doch wahrhaftig nicht! – überlassen hast, aus der für ihn gar keine irdische Gefahr entstehen konnte? Wem hättest Du durch eine Selbstdenunciation einen Dienst erwiesen, als der Wahrheit, einer kalten, abstracten Idee?“

„Mir würde viel leichter sein! Ich bereue es, daß ich dem Andringen des Arztes, der mich nur entfernen und Alles, was nöthig, besorgen wollte, nachgegeben habe, ohne ihm meinen Namen zu nennen!“

„Um ein fait accompli muß man nachträglich nicht rechten. Aber ich kann Dir, nachdem ich Deine Geschichte erfahren habe, meine Verwunderung nicht verhehlen, wie sie Dich zu dem Entschlusse bringen konnte, Dich ganz aus der Welt zurückzuziehen, um hier, verzeih’ mir den Ausdruck, der Hypochondrie zu leben. Ist das wirklich ganz und gar Dein eigener Gedanke gewesen?“

„Du glaubst, meine Mutter habe mich dazu bewogen? Sie hat sich mir geopfert, Gebhard. Sie führte ein klares und lichtes Leben an einem schönen Orte, den sie sich gewählt, ein Leben, das sie sich nach Wunsch gestaltet hatte, wo sie in anmuthigem Wechsel von Geselligkeit und Stille, in höherm geistigen Verkehr, Kunstgenüssen und Freuden der Natur, so glücklich war – und das hat sie aufgegeben, als ich ihr meinen Entschluß verkündigte, um mir zu folgen, den sie nicht allein lassen wollte. Verstehe mich recht: sie kam hierher zu mir, als ich diesen Entschluß bereits ausgeführt hatte, und – es gab noch einen Kampf zwischen uns, da ich ihr Opfer nicht annehmen wollte. Sie aber blieb Siegerin, denn sie hatte sich überzeugt, daß ich hier wohl aufgehoben bin.“

„Du hast noch einen andern Grund, den Du mir verschweigst. Dies Duell allein konnte Dir die Welt nicht verleiden. Eine verfehlte Neigung vielleicht –?“

Günther machte eine ungeduldige Bewegung. „Ich habe keine Antwort darauf. Wenn Du ein paar flüchtige Tändeleien so nennst, so haben Sie mir wenigstens keinen Schmerz und keine Reue zurückgelassen.“

„Du hast noch etwas auf dem Herzen! Doch – dort sehe ich schon den Kirchthurm von Berga, wir wollen abbrechen. Ich sage Dir nochmals: wenn Du keinen andern Grund hast, fern der Welt in finstrer Ascetik zu leben, als den Du mir erzählt hast, so bist Du nicht bei gesunden Sinnen. Der Elende hat die Ehre Deiner Mutter verleumdet – was kann eine wehrlose Frau thun, sich gegen beliebig erlogene Nachrede zu schützen? Ein Gottesgericht hat ihn durch Deine Hand dafür bestraft, Du solltest eher darauf stolz sein! – Genug davon. Ich hoffe, Du wirst Dich bald zu meiner Ansicht bekehren. Sage mir nur noch Eins, worauf ich wahrhaft brenne – dafern Du es darfst, natürlich! Ich weiß wohl, Deine Mutter hat es Dir untersagt, aber Dich hoffentlich nicht durch ein Versprechen gebunden. Mir aber gibst Du eine wahre Herzenserleichterung, denn ich habe offenbar in gänzlicher Zerstreutheit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_287.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)