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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

etwas gegen Deine Mutter gesagt, was mich nur beunruhigt, weil ich es nicht weiß. Wie ich jetzt wieder darauf komme? Mir ist bei unserm heutigen Gespräch plötzlich eine dunkle Erinnerung erwacht, als sei meine Antwort auf die Frage Deiner Mutter – aber Du darfst wohl nichts sagen?“

„Sie äußerte sich darüber, daß sie den Freund ihres Sohnes nicht früher kennen gelernt habe – und Du gabst zur Antwort: Wohl mir!“

„Günther!“ rief der Graf betroffen. „Und was ich dieser Ungezogenheit, so viel ich mich erinnere, folgen ließ! Wahrlich, hier weht eine verzauberte Luft, die auch mir alle Besinnung raubt! Das kann ich nicht unaufgeklärt lassen, ich muß mich in den Augen Deiner Mutter rechtfertigen.“

„Thue es lieber nicht,“ bat Günther. „Sie hat sich ja, wie sie mir gesagt, mit Dir ausgesprochen und verkennt Dich nicht. Laß uns nun die Vergangenheit, was auch geschehen sein möge, unberührt lassen – ich habe hier gefunden, was ich suchte, und Du kannst Dich überzeugen, daß ich ganz zufrieden bin. Ich mag daher auch von Dir nicht wissen, was Dir etwa sonst“ – hier holte er schwer Athem – „von Walrode’s Verhältnissen bekannt ist.“

„Nein!“ rief Hallstein lebhaft. „Das mußt Du gerade wissen, es ist Dir unumgänglich nöthig, denn es betrifft den Punkt, der es allein erklärlich macht, wie der Elende es wagen konnte, das Gift seiner Verleumdung gegen Dich zu verspritzen. Seine Familie hatte der unsern die Ehre einer Verschwägerung zugedacht; eine ältere Schwester Walrode’s war im Rathe derselben für meinen Bruder Waldemar bestimmt – begreifst Du nun die Feindschaft gegen Deinen Namen? Dieser erbärmliche Mensch war der Intrigant in der aufzuführenden Komödie; welche niedrigen Ränke er ersonnen und ausgeführt hat, um den Zweck zu erreichen, damit will ich Dich verschonen. An dem felsenfesten Glauben meines Bruders, der seiner Liebe Fundament war, wurden aber alle Verdächtigungen, die er schon damals, noch als blutjunger Mensch versuchte, zu Schanden; nun hat den Elenden endlich die gerechte Strafe ereilt, und Du kannst Deinen Blick heiter in das Leben wenden.“

Günthers Blick strahlte wieder, aber auf seinen Wangen glühete es, wie eine brennende Scham. Er hatte in den letzten Worten des Freundes einen tiefen Vorwurf gefunden. Der Glaube war das Fundament der Liebe genannt worden – felsenfest der Glaube des Unglücklichen, dem seine Liebe das Leben verzehrt hatte! Und er, der Sohn – wie war er darin befunden worden?




V.

Frau von Aßberg hatte während der Abwesenheit der beiden Männer ebenfalls über Helene Nidau Erkundigungen eingezogen. Der Pfarrer in Berga, ein alter, schlichter Mann, konnte am besten Auskunft über sie geben, wenigstens über ihre Kindheit. Mit dem jetzigen Amtsbruder in Allweide stand er nur in geringer Verbindung, weil dieser einer neuen Zeitrichtung angehörte, welche dem Greise verwerflich erschien, aber mit dem vorigen Pastor des Nachbardorfes, der sein Universitätsfreund gewesen, hatte er viel Umgang gepflogen, und durch ihn von den Verhältnissen im Nidau’schen Hause mancherlei erfahren. Er lobte Helenen als ein gutgeartetes und in strengster Zucht des Herzens aufgewachsenes Kind. So hätte sie die Verlassene mit Freuden in ihr Haus aufgenommen, wenn nicht auch ihr, obgleich aus andern Quellen entsprungen, mancherlei Bedenken dagegen erwacht wären. Was ihr Günther mit heimbrachte, gab ihr noch mehr Stoff zum Nachdenken. Es war ihrem Gefühl auch verletzend, sich das verwaiste Mädchen hier in der Gegend, wo ihre Familie doch immer angesehen und einst sehr begütert gewesen war, von der Barmherzigkeit fremder Menchen lebend zu denken. Gewiß war die Idee des Gerichtsverwesers, sie einstweilen in sein Haus zu nehmen, sehr vernünftig, da sie doch wahrscheinlich mit seiner Familie bekannt war. Aber nach der Ansicht der Frau von Aßberg kam es doch hauptsächlich darauf an, ob Hassels Gattin und Töchter so geartet seien, daß sich die Arme in ihrem Hause wohl fühlen könne. Sie wußte, daß Frau Hassel eine Bürgerstochter aus der Stadt war, kennen hatte sie dieselbe noch nicht gelernt; ihre Herkunft und wahrscheinlich geringe Bildung waren an sich zwar kein Hinderniß, da Helene, wie Frau von Aßberg durch den Pfarrer erfahren hatte, leider in ziemlicher Unwissenheit geblieben war, und in ihrer traurigen Lage wohl keinen Stolz kannte, aber sie sollte ein weiches und liebevolles Gemüth besitzen, und wenn sie im Hassel’schen Hause keine gütig gesinnten Herzen fand? Darüber mußte erst Aufschluß gewonnen werden und der Wunsch, Helenen kennen zu lernen, trat Frau von Aßberg immer näher.

Günther wurde mitten im Gespräch von seinem Verwalter abgerufen, und seine Mutter, lebhaft mit dem Grafen in eine Erwägung verwickelt, ob es nicht möglich sei, dem Fräulein von Nidau wirklich, wie Hassel angedeutet, eine Stiftsstelle auszuwirken, bemerkte erst nach einer geraumen Weile, daß sie mit Hallstein allein war. Wiederum stieg jenes mädchenhafte Erröthen in ihrem Antlitze auf, das sie so lieblich kleidete, und sie um die Hälfte ihrer Jahre jünger erscheinen ließ. Beider Augen begegneten sich einen Moment und der Graf – wir dürfen es nicht verschweigen – deutete die Purpurgluth falsch. Eine fremde Gewalt schien sich seines Innern zu bemächtigen und machte seine Pulse rascher schlagen, doch hielt er die äußere glatte Ruhe leidlich fest. Frau von Aßberg aber war befangen; sie fühlte wohl, daß sie erröthete, wie jede innere Bewegung sich jedesmal bei ihr kund gab, sie war unwillig über diese Schwäche bei ihren Jahren, aber dadurch machte sie es noch viel schlimmer. Ihre vielgeprüfte Vergangenheit war es, welche heut, als sie sich mit dem Grafen allein sah, jene dunklere Farbe auf ihre Wangen rief, denn sie wußte, daß Günther sich gegen den Freund ausgesprochen hatte, und wollte nun auch vertrauensvoll über ihren Sohn mit ihm reden, aber zugleich dachte sie doch daran, in welchem Verhältniß sie eigentlich zu Gebhard stehe.

In halber Verlegenheit, die sie jedoch mehr und mehr bezwäng, führte sie die Besprechung wegen der Stiftsstelle für Helene Nidau, die einen Moment gestockt hatte, zu Ende und fragte dann mit einem herzlichen Blicke, ob Günther ihm sein Unglück erzählt habe. Hallstein bejahte es und faßte nun seine Berechtigung, wie weit er darüber mit Frau von Aßberg sprechen könne, mit diplomatischer Schärfe auf: ihm war ja mehr bekannt, als ihr, er wußte den eigentlichen Kern der Sache, den Grund der Beleidigung Walrode’s, welchen Günther natürlich der Mutter verschwiegen hatte. Was hätte sie fühlen müssen, wenn sie gewußt hätte, daß ihretwegen ein Menschenleben vernichtet worden sei! Ob sie von den frühern heimtückischen Angriffen Walrode’s auf ihren guten Namen eine Ahnung habe, war Hallstein unbekannt, um so mehr mußte er auch auf seiner Hut sein, das, was ihm der Freund allein vertraut hatte, nicht unvorsichtig zu verrathen.

„Und haben Sie ihn getröstet?“ fragte Frau von Aßberg.

„Ich habe ihm vorgestellt, wie grundlos er sich über eine Ehrensache, die nun einmal nicht zu ändern war, trübe Gedanken macht. Hoffentlich werden meine Worte nicht fruchtlos gewesen sein.“

„Geben Sie mir Unrecht, daß ich seinen Vorsatz, sich dem Gerichte des fremden Landes zu stellen, bekämpfte?“ fragte sie zögernd. „Ich bin manchmal wieder zweifelhaft, ob mein Gefühl als Mutter nicht das bessere Bewußtsein übertäubt hat. Mir war es nur, als schade er dadurch Niemand, indem kein Anderer für ihn die Schuld tragen muß, und selbst der Name der Person, auf welche die Vermuthung gefallen ist – doch Sie wissen wohl Alles?“

„Ich weiß es, gnädige Frau, und bin ganz ihrer Ansicht. Es wäre Chimäre, wenn Günther dem Reiz, der ihn zuweilen noch zu befallen scheint, nachgeben wollte. Ich nenne es einen Reiz – Sie müssen ihn nicht aufkommen lassen.“

„Aber er sagt, ihm werde wohler sein, wenn er offen Alles bekannt und Alles nach dem Gesetze verbüßt habe. – Wäre ich fest davon überzeugt,“ setzte sie gedankenvoll hinzu, „so würde ich ihm sein Versprechen zurückgeben. Ich komme aber zuweilen zu der Idee, daß meinem armen Günther noch etwas Anderes auf dem Herzen liegt –“ hier richtete sie ihr schönes Auge forschend und bittend zugleich auf Gebhard, welcher vor diesem Blicke fast seine kältere Fassung wieder verloren hätte. Er wußte zwar mehr, als die Mutter, aber auch noch nicht Alles, davon war er fest überzeugt! Daß er ihr Beides nicht eingestehen durfte, war klar.

„Wenn er noch etwas auf dem Herzen hat,“ erwiderte er, „so sein Sie überzeugt, daß er es Ihnen in diesem trauten Stillleben, das Sie Beide hier verbindet, bald vertrauen wird.“

(Schluß folgt.)



 

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