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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Gegenstand ihres Gesprächs fallen und blieben eine Weile mit ihren Gedanken beschäftigt, bis Hallstein unbefangen von andern Dingen zu reden begann, selbst von der Wirthschaft. Er schätzte den Freund glücklich, daß er noch einen Verwalter alten tüchtigen Schlages besitze, dem er unbedingt die ganze Oekonomie, selbst wenn er einmal jahrelange Reisen unternehme, anvertrauen könne, und äußerte sich dann weniger günstig über andere Persönlichkeiten der nächsten Umgebung, die er kennen gelernt hatte. Auch der Pfarrer des Dorfes, so still und zurückhaltend er war, hatte seinen Beifall nicht erlangen können: er nannte sein Benehmen geistlichen Hochmuth und lächelte ungläubig, als Günther warm seinen Seelsorger in Schutz nahm und ihn einen wahrhaft bescheidenen und frommen Mann nannte. Hier war überhaupt zwischen Beiden streitiger Boden, wo sie sich nicht verständigen konnten. Gebhard glaubte in der Zerknirschung über Vorfälle, welche dem Weltmanne nur als Fatalitäten erschienen, in dem Baue der Waldcapelle, welche gar zum Mausoleum bestimmt worden war, schon die Wirkung „geistlicher Uebungen“ zu erblicken. Er schwieg jedoch, weil ihm überhaupt Gespräche über diese Dinge unbequem waren.

Bis zur Stadt hatte Günther den Freund geleiten und dieser von dort sogleich bis zu dem, allerdings für die heutige Zeit etwas entfernten, Anschluß an die Eisenbahn Postpferde nehmen wollen. Günther bedachte jedoch, daß es gewiß wohlgethan sei, das Zusammensein der Mutter mit Fräulein Nidau nicht durch eine schnelle Heimkehr zu stören; er schlug daher Gebhard vor, noch eine Station weiter zu fahren, was dieser dankbar annahm. Dort trennten sich endlich die Freunde mit warmen Scheidegrüßen und Günther mußte versprechen, bald einmal Nachricht zu geben, wie sich Alles in seinem Leben weiter gestaltet habe; besser sei es freilich, setzte der Graf hinzu, wenn er diese Nachricht selbst brächte, da er, wie gesagt, die Wirthschaft in treuen Händen zurücklasse.

„Könnte ich abkommen,“ erwiderte Günther mit eigenthümlichem Nachdrucke, „so wüßte ich wohl mein Ziel der Reise.“

Er sprach sich nicht weiter aus, Gebhard glaubte ihn aber zu errathen, da er kürzlich wiederum geäußert hatte, wie sehr er das seiner Mutter gegebene Versprechen als ein unmännliches bereue.




Ⅵ.

Auf der Heimfahrt, da es schon ziemlich spät geworden war, nahm Günther den geraden Weg und kam, als der Wächter bereits abgerufen hatte, nach Hause. Im Wohnzimmer brannte noch Licht, er wußte, daß ihn die Mutter erwartete, und eilte, sein längeres Ausbleiben zu erklären.

Frau von Aßberg empfing ihn liebevoll, wie immer, und ohne Frage, oder gar Vorwurf. Gebhard that ihr ein tiefes Unrecht, wenn er glaubte, daß sie ihren Sohn am Gängelbande führe: man konnte sich kein schöneres Verhältniß denken, als zwischen Günther und seiner Mutter. Sie hörte freundlich an, was er ihr sagte, und überraschte ihn dann durch die Mittheilung, daß Helene Nidau bei ihr bleiben werde.

„Sie ist hier?“ rief Günther, und es klang fast, als erschrecke ihn die Nachricht.

„Ich habe sie dazu vermocht, gleich hier zu bleiben, und glaube, daß sie es nicht ungern gethan hat. –“

„Wie gefällt sie Dir?“ fragte Günther zögernd.

„Du wirst sie morgen kennen lernen,“ erwiderte die Mutter. „Ich will Dein Urtheil über sie hören.“ Hassel hatte von der Begegnung am See erzählt, Günther wiederholte es und hörte dann noch, welche Verabredungen die Mutter weiter mit dem redlichen Manne getroffen hatte. Es war ihm leid gewesen, das Fräulein, das seine Frau und Kinder schon lieb gewonnen hatten, aus seinem Hause wieder scheiden zu sehen; auch Helene hatte, von dem Erbieten der Frau von Aßberg bestürzt, Anfangs mit einem schüchternen und bittenden Blicke auf ihn gesehen, als er ihr aber erklärte, daß es sich hier mehr für sie passe und zu ihrem Besten sei, war sie der Mutter mit einer wahrhaft rührenden Dankbarkeit genaht. – „Doch, ich will Dein Urtheil nicht bestimmen,“ sagte Frau von Aßderg. „Der gute Hassel,“ setzte sie lächelnd hinzu, „wollte durchaus, daß Du die Vormundschaft übernehmen solltest. Erschrick nicht – ich habe Dir’s erspart und ihn selbst dazu bewogen.“

Günther war an diesem Tage durch zu viel Erlebnisse aufgeregt, als daß er in der Nacht einen ruhigen Schlummer hätte finden können. Dieser fehlte ihm überhaupt nur zu oft. Wirre Träume, in denen sich Bilder aus der wahren Vergangenheit und phantastische Gestalten einer möglichen Zukunft auf der rollenden Welle zwischen beiden, die wir Gegenwart nennen, bekämpften, ließen ihn oft schreckhaft mit pochenden Adern aufwachen und erst gegen Morgen schlief er so fest ein, daß die Mutter, besorgt über sein unerklärbar spätes Aufstehen, ihn wecken mußte. „Du setzest Dich bei unserer neuen Hausgenossin, die ein ächtes Landmädchen ist, gleich in übeln Ruf als Gutsherr,“ scherzte sie, und Günther beeilte sich, ihr bald zu folgen.

„Das ist mein Sohn, liebe Helene; Sie haben ihn gestern schon gesehen.“

Günther hatte mit einem Blick die Erscheinung des jungen Mädchens, das in tiefer Verlegenheit vor ihm stand und sich kaum verneigte, in sich aufgenommen. Sie war in ihrem Trauerkleide, das in plumpen Falten ihre ganze Gestalt verunzierte, keineswegs mit jenem Reiz ausgestattet, welcher die ernste Farbe des Grames in der großen Welt sogar der Coquetterie dienstbar macht; ihr Wuchs, etwas über Mittelgröße, mochte eher kräftig als elegant sein, aber die stillen, reinen Züge ihres Antlitzes, in welchem ein Seelenkundiger ewige innere Frauenschönheit gelesen hätte, machten auf Günther einen mächtigen Eindruck. Er fand heut nicht einmal die herkömmliche Formel – er reichte ihr aber die Hand und Helene legte die ihrige zögernd hinein; er fühlte, wie sie zitterte, diese kleine Hand, von der Arbeit so hart!

Welcher Gedanke bewegte die Mutter, daß sie mit einem aufleuchtenden Blicke auf das Paar sah? Wenn es aber auch Frauenart ist, Gedanken, wie der, welcher Frau von Aßberg in diesem Moment bewegen mochte, allzu schnell aufkommen zu lassen: Günther’s Mutter war doch nicht geneigt, auf einen ersten Eindruck, einen bloßen Einfall hin, den Gedanken fest zu halten, zu hegen und sorglich groß zu ziehen. Sie überließ, was sich gestalten sollte, der Fügung des Himmels und wachte nur mit treuer Sorge, daß ihres Sohnes Frieden, den sie sicherer gewonnen glaubte, als er war, nicht in anderer Hinsicht gefährdet werde.

Das Leben in Berga gewann durch die Fremde, welche aber von Frau von Aßberg wie ein Kind vom Hause behandelt wurde, keine Veränderung. Helene störte Niemand. Sie hatte bald Zutrauen gewonnen und wandte der gütigen Frau, die sich ihrer angenommen hatte, ihr Herz mit einer Innigkeit zu, welche diese wahrhaft beglückte. Zu ihr konnte sie dann auch so vertrauend sprechen, ihr Leben in Allweide, all ihre kleinen Erlebnisse schildern, bis zu dem Ereigniß, an das sie nur mit einer gewissen Scheu und Furcht dachte: ihre Verlobung. Der Vater hatte sie ihr angekündigt, und sie nicht um ihren Willen gefragt, wie er das überhaupt nie that. Doch sprach sie von dem Vater immer mit Ehrfurcht und weinte noch viel um ihn: „er war so gut!“ sagte sie oft und alle Härte, die er ihr bewiesen hatte, war über den wenigen Momenten vergessen, in denen doch die Liebe zu seinem Kinde, die er im Herzen trug, durchgebrochen war und sich ihr in Liebkosungen, deren er sich später geschämt, offenbart hatte. Den Tod ihres Bräutigams beklagte sie nur um seiner Schreckniß willen, nicht, weil sie dadurch einen traurigen Verlust erlitten hatte. So lag die unschuldige Seele des Kindes vor den Blicken ihrer Wohlthäterin unverschleiert da und diese konnte nur wünschen, daß sich ihr Herz dem Sohne zuwenden möge, wie sie längst bemerkt batte, daß in Günther eine Neigung für Helene Wurzel geschlagen hatte und immer mächtiger emporwuchs. Aber darüber erlangte sie keine Gewißheit. Alle Zeichen, welche sonst ein still gehegtes Gefühl verkünden, fehlten hier; Helenen’s Umgang mit Günther war fern von jeder Befangenheit, kein Licht- und Schattenwechsel im Auge, in der Farbe, im Ton – sie suchte ihn eher auf, als sie ihn mied, sie half ihm thätig, wo sie irgend konnte, wie sie auch allgemein thätig war in der Wirthschaft, und eine seltene Geschicklichkeit in allen häuslichen Arbeiten zeigte. In seiner Abwesenheit verrieth sie niemals eine sinnende, träumerische Stimmung, sie konnte schon wieder fröhlich auflachen und ihr ganzes Wesen hob sich in freier, kräftiger Gesundheit der Seele. Dennoch mußte Frau von Aßberg sich sagen, daß jene Zeichen auf ein Naturell, wie Helenen’s, das bei einer seltenen Innigkeit des Gemüths doch frei von aller Sentimentalität war, nicht paßten und vielleicht grade die frische und fröhliche Ungezwungenheit des Umgangs sich mit einer Herzensneigung für Günther deshalb vertrage, weil sie sich von dieser, die so

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_299.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)