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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Ende war. Unwillig schob er das Blatt zurück und nahm einen neuen Bogen. Was er geschrieben hatte, erschien ihm zu elend. Und so verdarb er noch den zweiten Bogen, ehe er einen leidlichen Brief, in der Temperatur, die er sich vorgesetzt hatte, zu Stande brachte.

„Werde ich denn ganz zu Schanden?“ rief er. Er mußte wieder an sein verhängnisvolles „Wohl mir!“ denken, das ihn immer vor Beschämung heiß machte; er fragte sich bei jedesmaliger Erinnerung, was er denn eigentlich verstanden habe, um Frau von Aßberg so zu antworten. Das hatte er rein vergessen. Sollte es ja ein unbewußtes Heraufklingen der Ahnung gewesen sein, die ihn glücklich pries, diese noch jetzt so gefährliche Frau nicht in der vollen Zaubermacht ihres Liebreizes kennen gelernt zu haben? „Warum aber?“ fragte er sich heut plötzlich. „Wäre es denn so ganz undenkbar oder etwa ein Unglück für mich gewesen, in ihren Augen –“ Hier sprang er auf, seine Gedanken gewaltsam unterbrechend, couvertirte, siegelte rasch den Brief und klingelte dem Diener, der ihn zur Beförderung abgeben sollte.

„Es ist ganz unglaublich!“ sprach er für sich mit schneidender Selbstironie. „Willst Du Dich denn mit Gewalt der allgemeinen Lächerlichkeit preis geben – Günther’s Stiefpapa!“ Er lachte laut auf und ließ wieder vorfahren, um eine unterbrochene Reihe von Besuchen in den höchsten Regionen der Aristokratie fortzusetzen.

Nach einigen Tagen erhielt er von Frau von Aßberg Antwort; er kannte die Schriftzüge der Adresse nicht, aber der Poststempel belehrte ihn und weckte zugleich das ganze Bild des kleinen Städtchens mit seinem Steindamme, der „Börse“ unter den geköpften Pappeln, ihrer achtbaren Honoratiorengesellschaft in vorsündfluthlichen Röcken mit den langen Pfeifen – dann aber auch das Bild der blühenden Rosen an den kleinen Häusern und der wunderschönen Mädchengesichter unter den bunten, einfach geschlungenen Kopftüchern. Diese Welt im Wassertropfen, wie er sie einst genannt hatte, war gewiß ganz glücklich. –

Er hatte das feine Blatt auseinander geschlagen – die Zeilen des Briefes lagen so klar und zierlich gereiht, die Buchstaben wie Perlen: es war sie selbst, die Schreiberin! Sie dankte ihm in herzlichen Worten und sprach die Hoffnung aus, daß er sich persönlich überzeugen werde, wie Günther glücklich sei. Es war nicht ausgedrückt, dessen Heimkehr abzuwarten – ob sie das absichtlich vermieden? Aus feinem Gefühl oder –? Jedenfalls hatte sie nicht zu fürchten, daß Gebhard früher kommen werde, er hatte ja überhaupt beschlossen, Berga niemals wieder zu sehen. Ueber Helene Nidau sprach sie sich innig und liebevoll aus, jedes Wort bekundete ihres Herzens Zufriedenheit mit dieser Verbindung. Hallstein las die betreffenden Stellen sehr aufmerksam.

„Ich habe es ja gleich gesagt, noch ehe ich sie mit Augen gesehen hatte,“ sprach er, indem er den Brief wieder zusammenfaltete und sorglich verschloß. „Die passendste Lebensgefährtin für einen Erbherrn auf Berga! Ein Fichtenbaum steht einsam auf Hohensalzburgs Höh’ – kann auch Kuffstein sein! Er träumt von einer Palme –“ doch unwillig über sich selbst unterbrach er seine Parodie, zu der er sich gezwungen hatte, um die Bewegung in seinem Innern mit kaltem Wassersturze zu dämpfen. „Ich bin freilich eines solchen Glückes nicht würdig!“ sagte er, und seine Lippen zuckten.

Nicht so bald, als es ihm verheißen war, erhielt er über den Erfolg seiner Bemühungen für Günther einige Kunde. Der Gang der eingeleiteten Untersuchung, die Feststellung des Thatbestandes schien abgewartet zu werden, wie ihn der Gesandte vertröstete. Dagegen schrieb Günther, seinem Versprechen gemäß, sehr ausführlich. Er schilderte ihm, wie Helene in Berga aufgenommen worden sei, welchen Eindruck sie anfangs auf ihn gemacht, wie sie allmählich Vertrauen gefaßt und seiner Mutter eine zärtliche Liebe geweiht habe, und faßte dann kürzer, wie zwischen Helenen und ihm ein inniges Verhältniß entstanden und zu einem Bunde der Herzen gediehen sei. Da habe er gefühlt, daß er nicht mit dem Bewußtsein einer heimlichen Schuld seines Glückes sich freuen könne, und wie er ihm schon geschrieben, habe die Mutter ihm volle Freiheit des Handelns in dieser Beziehung gegeben, worauf er den braven Hassel in das Vertrauen gezogen und von ihm den besten Rath erhalten habe. Er erwarte nun in Geduld den weitern Gang und Abschluß der Verhandlungen und könne die Humanität, mit welcher die Behörden ihm bei so ungewöhnlichem Falle entgegen gekommen seien, nicht genug rühmen. Thatsachen darüber und einzelne Mittheilungen über sein dortiges Leben füllten den Rest des Briefes.

Der Graf antwortete ihm bald, hütete sich aber, ihm zu entdecken, was er für ihn in Bewegung gesetzt habe, da er von dem allzu gewissenhaften Freunde Vorwürfe über diese Beugung des Rechts, wie er es genannt haben würde, fürchtete. Es verging nun längere Zeit, ehe ihm die erste Freude wurde, daß seine Bemühungen mit Erfolg gekrönt waren. Der Gesandte war allen Fragen, welche sich Hallstein bei Gelegenheit erlaubte, gewandt ausgewichen, bis er eine gewisse Antwort geben konnte. Der Spruch des Gerichts war endlich gefällt und lautete, dem Gesetz entsprechend, auf eine mehrjährige Festungshaft, doch stand, in Betracht des eingegebenen Berichts, eine nahe Begnadigung in Aussicht.

Als Hallstein diese Gewißheit hatte, konnte er sich nicht enthalten, sie gleich der Mutter mitzutheilen, ja er hatte einen Moment im Sinne, die Nachricht selbst nach Berga zu bringen, da er sich nun von der Thorheit, die ihn wie ein hitziges Fieber befallen hatte, vollständig geheilt glaubte. Aber er besann sich eines Bessern und schrieb lieber, wodurch er sich eine neue Versuchung ersparte. Wie glücklich er die Mutter und Braut durch seine Freudenbotschaft machte, bewies die Antwort der Frau von Aßberg, sie sprach ihm den innigsten Dank aus, und wußte doch nicht einmal, daß er dies unverhoffte Glück ihr bereitet hatte. Er wollte es nur durch seine Verbindungen, die seine Stellung ihm verschafft, erfahren haben.

Auch Günther schrieb ihm bald und hatte nun, da das Urtheil Rechtskraft erhalten, seine Haft angetreten, welche aber schon jetzt bedeutend abgekürzt worden war. Eine vollständige Begnadigung erfolgte erst später, und da der Gesandte zu dieser Zeit gerade einen mehrmonatlichen Urlaub angetreten hatte, so erfuhr Hallstein nichts davon, bis er, eines Abends von einem Spazierritte heimgekehrt, durch Günther’s Anblick überrascht wurde, der die Nachricht von der ihm widerfahrenen Gnade selbst brachte. Er schien ein Anderer geworden, seit Gebhard ihn nicht gesehen hatte; die Strenge, welche sich in seinem Antlitz, wenn es unbewacht war, kund gab, hatte dem alten lebensfrohen Ausdrucke, wie der Freund ihn vor seinem Unglücke gekannt, wieder Platz gemacht und Hallstein freute sich dessen von ganzem Herzen.

„Gestehe mir, Gebhard – Du hast die Hand dabei im Spiele gehabt bei diesem Act kaiserlicher Gnade!“

„Willst Du demselben seinen selbstständigen Werth nehmen?“ entgegnete Hallstein. „Wann reisest Du? Ich sehe Dir die Eile an.“

„Um neun Uhr – aber nicht ohne Dich! Du mußt mich begleiten, wenn Du mich nicht wahrhaft betrüben willst!“

Gebhard war von dieser Aufforderung so überrascht, daß er anfangs nur einen schwachen Grund der Ablehnung fand, und wiewohl er dann entschiedener der Bitte des Freundes auszuweichen suchte, wurde er endlich gezwungen, nachzugeben. Sein eigener Stolz, der sich vor dem innern Vorwurf, er fürchte sich wohl, eine Probe der gewonnenen Seelenruhe zu bestehen, empörte, kam Günther bei seinen Bitten mächtig zu Hülfe. So traf er denn in Eile seine Anordnungen, und Beide reisten mit einander ab.

Es war am frühen Morgen, erst des nächsten Tages, als sie nach längerer Fahrt, mit Postpferden von der Eisenbahnstation an, wo sie sich im vergangenen Sommer getrennt hatten, Berga erreichten. Günther hatte der Mutter wohl seine Befreiung mitgetheilt, aber den Tag seiner Ankunft nicht geschrieben, der Graf liebte Ueberraschungen nicht, und bestand darauf, vor dem Dorfe abzusteigen und dem vorauseilenden Freunde langsam zu folgen. Dieser konnte ihn davon nicht zurückhalten, und zeigte ihm nur noch einen Fußpfad, welcher ihn nach dem Garten des Herrenhofes führen sollte, dann überließ er ihn sich selbst.

Gebhard wanderte mit gemäßigten Schritten zwischen den mit Dornhecken eingefaßten Gärten des Dorfes dahin, und hielt noch eine kalte, strenge Selbstschau. Er hatte alle Ursache, mit sich zufrieden zu sein. In unerbittlicher Consequenz verfolgte er alle unklaren Momente seiner letzten Anwesenheit, und fand es nun selbst unbegreiflich, wie er, auf den die frischeste Knospe, welche zum ersten Male „ausging“, d. h. die Hofgesellschaften besuchte, und dort allgemeine Ekstase erregte, keinen Eindruck, als den eines flüchtigen Wohlgefallens am Schönen machte, wie er von einer Frau, gewiß tief in den Vierzigen, habe geblendet werden können – gefesselt, Gott sei Dank nicht. Das Zeugniß wenigstens konnte er sich geben, daß der Gedanke, sich einer wenigstens zwölf Jahre ältern Frau, der Mutter seines besten, vielmehr einzigen Freundes, die überdem eine wahre Neigung zu seinem Bruder gefühlt, und ihn dennoch aufgegeben hatte, in so lächerlicher Schwäche zu nahen oder gar zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_301.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)