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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

offenbaren, nie in ihm aufgetaucht war. Er hatte dies Fieber nun überstanden und konnte ihr dreist begegnen.

In dieser Zuversicht hatte er den herrschaftlichen Garten erreicht, den er durch eine unverschlossene Pforte betrat. Als er diese öffnete, hörte er einen leichten Schrei der Ueberraschung und konnte nun gleich die Feuerprobe, der er sich gewachsen fühlte, bestehen. Frau von Aßberg stand vor ihm – sie war erblaßt, als sie ihn erblickt hatte, und ihr schönes Gesicht nahm den Ausdruck bangen Zagens an.

„Mein theurer Freund,“ sagte sie mit zitternder Stimme – „Sie bringen eine schlimme Nachricht –“

War es die Gewalt des Moments, die in seinen Zügen einen Widerspruch mit der eben gerühmten Fassung malte, oder der Blick seines Auges, wodurch sie zu dieser Befürchtung gekommen war? Er eilte, sie zu zerstreuen und bemerkte jetzt erst, daß noch ein anderes Augenpaar in ängstlicher Besorgniß auf ihm ruhte: es war Helene Nidau, er erkannte sie auf den ersten Blick.

Seine Freudenbotschaft verscheuchte schnell die Wolken, und er wurde nun auch von dem jungen Mädchen, das so oft und liebreich von ihm gehört und keine Formen kannte, welche der natürlichen Regung ihres reinen Gefühls widersprochen hätten, mit einer Herzlichkeit begrüßt, die ihm wohl that. Sie war zwar lebhaft erröthet, als sie ihm die Hand reichte, aber sie mußte dem Freunde ihres Günther doch zutrauensvoll in das Gesicht blicken. Und dieser war, noch ehe Günther ihnen vom Hause her entgegen kam, der vollen Gewißheit, daß dessen Glück gesichert war.

Jeder Tag, den er hier zubrachte – und es wurden deren acht mehr, als er sich anfangs vorgenommen hatte – bestärkte ihn noch mehr in dieser Ueberzeugung. Mit sich selbst wollte es ihm weniger gelingen, vollständig auf das Reine zu kommen. Nur Eins gereichte ihm zur großen Genugthuung: daß er sich, was auch in schwachen Momenten in ihm vorgegangen sein mochte, daß er sich nie verrathen hatte. Frau von Aßberg benahm sich auch gegen ihn wahrhaft mütterlich, und die Rührung, mit welcher sie ihm, als er endlich Abschied nahm, die Hand reichte, hatte nur diesen Ausdruck. Diesmal versprach er aber, wieder zu kommen und zwar zur Hochzeit des jungen Paares. Es war ein Beweis, daß er sich nun ganz sicher wußte, von ihr niemals auch nur in leiser Ahnung errathen zu sein.

„Wohl mir!“ sagte er im Eichenwalde, das Wort, das den ersten Moment seiner Selbstvergessenheit, ihr gegenüber, bekundet hatte, diesmal im vollen Bewußtsein wiederholend.




Aus den Sprechstunden eines Arztes.
Nr. Ⅱ.

Sprechstunden“ nennt man ganz mit Recht die Zeit, in welcher die Aerzte ihren Rath ertheilen, denn was da, eben so von Seiten des Arztes wie der Patienten, zusammen gesprochen wird, das ist kaum auszusprechen. Mit „ich muß etwas weit ausholen“ beginnt ein Kranker sein Klagelied und zählt nun zuvörderst alle Gebrechen seiner Ahnen auf, ehe er zur Mittheilung seiner eigenen Lebens- und Leidensgeschichte, natürlich nicht ohne Beimischung aller wichtigen Familienereignisse, gebracht werden kann, während er eigentlich doch nur zu sagen brauchte, „ich leide an Verstopfung.“ Die Worte „turnen Sie“ würden von Seiten des Arztes für unsern Obstructionsmann völlig hinreichen, aber dieser verlangt von uns einen ausführlichen Vortrag über Hämorrhoiden und ihre Erblichkeit, über die Schädlichkeit der Morison’schen und Strahl’schen Pillen, über die Vorzüge der Klystirspritze vor den Abführmitteln u. s. f.

Bei manchen Aerzten könnten die Sprechstunden auch „Schreibstunden“ heißen; nicht etwa blos der vielen und langen Recepte wegen, welche jene mit ruhiger Würde und Wohlbehagen verfassen, sondern auch der mannigfachen von Kranken und Gesunden gewünschten Zeugnisse und Krankheitsberichte halber. So wünscht eine kinderlose hysterische Dame, die in’s Bad reisen will und an welcher der Arzt bei der Untersuchung gar keine Abnormität entdecken kann, für ihren dortigen Doctor einen ganz genauen Bericht über alle ihre absonderlichen Empfindungen und Beschwerden. Wir setzen uns an den Schreibtisch und fertigen ein erschöpfendes medicinisches Opus über unsere Nervöse; natürlich liest dies der Herr Bade-College gar nicht oder nur im Fluge – und daran thut er ganz Recht, denn selber untersuchen muß der richtige Arzt; – er verordnet jedoch darauf hin vom Brunnen x einen Becher mehr und vom Brunnen y einen halben Becher weniger zu trinken. – Noch hält ein Geschäftsmann das Gesundheits-Zeugniß, das man ihm zum Bürgerwerden ausstellle, in der einen Hand, da wünscht er auch gleich für die andere noch ein Krankheits-Zeugniß, um von der Communalgarde loszukommen. Will Einer in die Krankencasse treten, da möchte er im Atteste von Gesundheit strotzen, ist er darin aufgenommen, so verlangt er als Halbtodter bescheinigt zu werden. – Sogar Abgezehrte, die selbst recht wohl wissen, daß sie schon mit einem Beine im Grabe stehen, wünschen trotzdem für die Lebensversicherung eine Hausknechtsgesundheit attestirt zu haben. – Kurz, ich glaube, keinem Menschen wird so oft die entehrende Zumuthung gemacht, gewöhnlich für 1 Thlr. 10 Ngr., ein falsches Zeugniß auszustellen, als dem Arzte.

Auch zu „Lesestunden“ werden nicht selten die Sprechstunden des Arztes, und zwar ebenso für den Arzt selbst, wenn sich keine Patienten zum Sprechen in seinen Sprechstunden einfinden, wie für die Kranken, wenn sie sich beim langen Warten im Wartezimmer die Zeit vertreiben müssen. Wir empfehlen zu diesem Zwecke unsere Gartenlaube. – Bisweilen, doch nicht etwa zu oft, bekommt der Arzt von einem Geheilten etwas zu lesen, was nach Danke schmeckt, dagegen, liest er in Schreibebriefen ziemlich häufig, daß dieser oder jener seiner Patienten sich für seine ferneren Besuche bedankt und daß, weil die Genesung zu lange auf sich warten läßt, sich der ergebenst Unterzeichnete an Hinzen oder Kunzen gewendet hat.

Mit „Musikstunden“ sind die Sprechstunden des Arztes nicht etwa deshalb zu vergleichen, weil ihm die schönen Klänge edlen Metalles so oft wie Musik in die Ohren tönen, sondern darum, weil er ebensowohl bei der physikalischen Untersuchung (beim Beklopfen und Behorchen) seiner Patienten Töne und Geräusche im Innern derselben in Harmonie mit den verschiedensten Krankheitserscheinungen bringen, wie auch seine Instrumente gehörig zu handhaben verstehen muß. – Doch lassen wir dieses Selbstgespräch und besorgen lieber unsere wartenden Patienten.


Die bleichen Leidensgefährtinnen.

Vom Treppensteigen noch außer Athem und leise seufzend nahen sich schüchtern zwei nette, etwa 20jährige Mädchen, durch Freundschaft und gleiches Leiden seit Jahren, trotz ihrer ungleichen äußern Verhältnisse, innig verbunden; die eine Tochter wohlhabender Eltern, einziges und Lieblingskind, die andere arm, durch ihrer Hände Arbeit Ernährerin der Mutter und Geschwister. Beide sind schmächtig, wohlgestaltet, aus dem Gesichte wie Milch und Blut strahlen bei ihrem Eintreten interessant-glänzende Augen von bläulicher Perlmutterweiße, der Lippen blasse Röthe erhöht das lebhafte Roth der Wangen, und durch die aristokratisch zarte, weiße Haut schimmern (besonders an den Schläfen, Händen und Armen) violett-röthliche Adern. Es vergeht einige Zeit, ehe sich das ungestüme Klopfen ihrer Herzchen gelegt und das jagende Athmen beruhigt hat. Mit der Ruhe erbleichen jedoch die Wangen, die Augen werden immer matter und die frühere Lebhaftigkeit des Gesichts weicht einer, der des übrigen Körpers gleichen Mattigkeit und Abspannung; die Mädchen gefallen mir jetzt nicht mehr so, wie früher.

Auf den ersten Blick weiß nun der Arzt, nicht wo es fehlt, aber was fehlt, nämlich Blut. Diese Blutarmuth (Bleichsucht[WS 1], Anämie) drückt sich übrigens auch noch deutlicher durch die Blässe an der innern Fläche der Lippen und Augenlider, an dem Zahnfleische und der Zunge aus; die kühle Haut läßt beim sanften Kneipen keinen rothen Fleck entstehen, der Puls ist weich und die violetten Adern unter der etwas wachsig glänzenden, schwach gelblich oder grünlich angehauchten Haut sind durch Streichen leicht zu entleeren. Am Halse ist in den Blutadern mit Hülfe des Hörrohres (Stethoskops) ein summendes oder sausendes Geräusch (das Nonnen- oder Kreiselgeräusch) zu vernehmen.

Warum mögen nun wohl unsere jungen Mädchen zu wenig

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Beichsucht
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_302.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)