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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

hüten, damit nicht ein Mitproducent ihn unterfordere und er mit seiner Waare sitzen bleibt. Und während andererseits das Interesse des Käufers denselben bestimmt, den möglichst niedrigen Preis zu bieten, hindert ihn wiederum die Concurrenz, zu weit zu gehen, weil sonst ein anderer Liebhaber ihm die Waare vorwegkauft.

So vermag sich nur mittelst der freien Concurrenz in Angebot und Nachfrage der wahre Werth der Güter im wahren Interesse aller Theile herauszustellen, indem die Bestimmung darüber auf diese Weise der Willkür der Einzelnen, der Producenten sowohl wie der Consumenten, entrückt und gewissermaßen auf eine Gesammtschätzung des ganzen Publicums, des producirenden, wie des consumirenden, zurückgeführt wird.




Ein Kind, das seine Eltern sucht.


Am 27. Februar 1841, kurz vor 7 Uhr Abends, zu einer Zeit also, wo die Sonne bereits untergegangen, trat aus einem Gäßchen neben dem Gasthof zum Roß eine ältliche, in dunkeln Mantel gehüllte Frau auf den „Kornmarkt“ der altenburgischen Stadt Ronneburg, und ging auf einen 14jährigen Knaben zu, welcher eben für seinen Pflegevater Bier in der dortigen Rathskellerei geholt. Die Frau fragte nach dem ersten Geistlichen (dem Obergeistlichen) des Orts. Der Knabe, unbekannt mit den geistlichen Verhältnissen seiner Vaterstadt, nannte der Fragenden mehre Geistliche und unter Andern, seiner Meinung nach, als Oberprediger den Adjunct R., zu welchem die Frauensperson nun von dem Knaben geführt sein wollte. Dieser geleitete die Fremde in die große Kirchgasse, zeigte ihr hier das Haus des Adjuncten, und wollte nach geleistetem Dienst seinen Weg gehen, um des Meisters Durst zu löschen. Das aber lag nicht in dem Plane der Frau, sie blieb plötzlich stehen, zog ein weißes Packet unter dem Mantel hervor, gab es dem Knaben mit der Bitte, dasselbe zum Oberprediger zu tragen, sie selbst wolle um Mittag des andern Tags sich dort einstellen, und ging, nachdem sie noch dem Knaben zwei Zweigroschenstück für den Weg und einen unadressirten Brief zur Uebergabe mit dem Packete eingehändiget, nach dem Markte zu, wo sie im Dunkel der Nacht verschwand. Außer dem dunkeln Mantel war die Geheimnißvolle nur noch an einem etwas fremdartigen Dialekte (oder, wie der Knabe bemerkte „vornehm“ sprechend) und an einem Hinken des rechten Fußes kennbar.

Peter, der Knabe, trat, um seinen Auftrag auszurichten, eine mit den Enden zusammengeknüpfte Serviette am Arme hängend, in das geistliche Haus, wo er die Frau und Tochter des Predigers anwesend fand, denen er Bündel und Brief übergab. Die Frauen, vermuthend, das Päckchen komme als Vorläuferin einer Freundin, öffneten, um sich von der Wahrheit ihrer Vermuthung zu überzeugen, die Serviette, hoben das oben aufliegende Flanellstückchen weg und – da streckten sich ihnen zwei kleine liebliche Kinderärmchen entgegen. Man denke sich die Ueberraschung der beiden Frauen.

„Ach Gott, ein Kind, ein Kind!“ tönte es aus einem Munde, die Mutter aber bemerkte dabei:

„Das ist eine Geschichte wie an den Scheunen, nur besser[1].“

Man rief den Vater und die Schwestern herbei, wies ihnen den Fund und berathschlagte, was zu thun sei.

Das Ergebniß war: man band die Serviette behutsam wieder zu, ließ vom Dienstmädchen das Kind tragen und schickte dieses nebst Petern, der vorher noch seinen Pflegevater, den Zeugmacher S., dazu abgeholt hatte, in das Justizamt, wo nun alsbald Abends gegen 8 Uhr, die Untersuchung begann.

Doch geben wir erst den das Päckchen begleitenden Brief der – unglücklichen oder leichtsinnigen Mutter mit diplomatischer Genauigkeit:

 „Ihro Hochwürden!

„Die unglücklichste Person liegt vor Ihnen auf den Knieen, und fleht Sie für ein armes, unschuldiges Kind um Erbarmen an, Gottes Barmherzigkeit und Milde ist ohne Ende, Sie sind auf Erden sein Stellvertreter, eine Mutter, deren Herz durch die Trennung von ihrem Kinde beinahe bricht, fleht Sie bei Ihrer ewigen Seligkeit an, das Kind bei guten Leuten unterzubringen, die ihm eine gute rechtliche Erziehung geben. Die Verhältnisse fügen sich vielleicht bald so, daß die wahren Eltern ihr liebes Kind wieder zu sich nehmen können, nur jetzt würde eine ganze Familie unglücklich, wenn die Geburt des Kindes ruchbar würde; es ist den dreizehnten Februar geboren, geben Sie ihm in der heiligen Taufe die Namen: Clara Adelheid Charlotte S…r[2], o Gott im Himmel, wo soll ich Worte finden, um meinen Schmerz, meine Verzweiflung zu schildern und ihr Herz für das unglückliche Geschöpf zum Mitleid zu stimmen, doch Ihr milder Sinn ist mir bekannt, Sie üben die Lehren der Religion nicht blos in Worten, Sie thun auch Ihre Worte. Um das Maß Ihrer Güte und Mildherzigkeit zu vollenden, suchen Sie jede Untersuchung zu verhindern, es ist unmöglich, die wahren Eltern zu entdecken, gönnen Sie einer Mutter den Trost, ihr Kind unerkannt und unbeobachtet öfters zu sehen und betrachten Sie alles wie ein Geheimniß was Ihnen unter dem Siegel der heiligsten Beichte anvertraut ist.“

Man sieht, der Brief ist, bis auf einige, namentlich Interpunctionsfehler, von einer nicht unbewanderten Briefstellerin geschrieben. Die Schriftzüge verrathen keine Schönschreiberin, aber eine geübte Hand und lassen kaum eine Verstellung der Handschrift annehmen. Beschäftigen wir uns nun, bevor wir das weitere Schicksal des Findlings geben, mit dem Gange und dem Resultate der Untersuchung.

Noch an demselben Abende zeigte, auf die die Stadt bald durchlaufende Kunde, ein heimkehrender berittener Gensd’arm an, daß er zwischen sieben und acht Uhr auf der Straße von Ronneburg nach Gera, etwa zehn Minuten vom erstern Orte entfernt, eine Frauensperson in einem dunkeln Mantel, auf dem rechten Fuße hinkend, gesehen habe. Auf diesen Fingerzeig hin sattelte ein Amtsdiener sein Pferd und ritt sofort den Weg nach Gera zu. Hier begegnete er erst der von da herkommenden Ronneburger Botenfrau, welche ihm, wie dieselbe auch bei ihrer spätern Anhörung deponirt, erzählte, daß sie an der (Altenburg-Reußischen) Landesgrenze gegen 8½ Uhr einer sehr langsam dahin gehenden, in einen dunkeln Mantel gehüllten Frauensperson begegnet sei, die über Weg und Wetter (Schneegestöber) geklagt habe. Ziemlich dasselbe sagte auch eine die Botenfrau begleitende andere Frauensperson aus. Ob diese Fremde mit dem Fuße gehinkt, hatten Beide nicht bemerkt. Der Gensd’arm setzte hierauf, die genannte Spur verfolgend, seinen Weg nach Gera fort, wo er den Vorfall dem dortigen Criminalgerichte anzeigte. Die augenblicklich in den Geraer Gasthäusern vorgenommenen Recherchen blieben eben so fruchtlos, wie die in Ronneburg stattgefundenen.

Es erfolgten nun Bekanntmachungen in dem Altenburger Amts- und Nachrichtsblatte, in der Leipziger Zeitung, in den damaligen Möbeschen Mittheilungen zur Beförderung der Sicherheitspflege und in dem Eberhard’schen Polizei-Anzeiger, allein überall erfolglos.

Die Ronneburger Criminalbehörde glaubte in der oben erwähnten frühern Kindaussetzung und einigen andern Umständen eine Vermuthung zu finden, daß beide (das todte und das lebende) Kinder von Gera herübergebracht worden, und daß Mitglieder einer in Gera gewesenen Schauspielertruppe betheiligt sein könnten. Die Truppe war bereits nach Halle weiter gepilgert. Es begann nun das dortige Inquisitoriat seine Thätigkeit, und richtete dieselbe namentlich gegen eine Schauspielerin K., welche, in zufriedener Ehe, jedoch eben getrennt von ihrem Gatten lebend, einer heimlichen Liebe beschuldigt wurde. Allein es bestätigte sich weder diese letztere, noch gelang es der gedachten Behörde, sonst einiges Licht in die Sache zu bringen. Nicht glücklicher war das Inquisitoriat zu Magdeburg, welches, da die Truppe von Halle dahin sich gewendet hatte, die begonnene Untersuchung fortsetzte, schließlich aber erklärte, daß man, bei mangelnden genugsamen Anzeichen, Anstand genommen habe, wider die Angeschuldigten durch förmliche Eröffnung der Specialinquisition zu verfahren.

Damit schloß die Untersuchung gegen die K. und ihre Mutter, und wir möchten unserer Seits auch kaum einen Stein gegen Beide aufheben. Erwägt man, daß es der K. kaum möglich gewesen, ein

  1. Vierzehn Tage vorher war an den Scheunen von Ronneburg ein ausgesetztes, aber – todtes Kind aufgefunden worden.
  2. Wie haben absichtlich die Namen der Hauptpersonen nicht ausgeschrieben.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_316.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)