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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Wir haben Sie um eines traurigen Anlasses willen hierher bemühen müssen, gnädige Frau,“ redete der Richter sie an, „ich bitte, fassen Sie sich und suchen Sie das Unabänderliche mit Geduld zu tragen.“

Sie hatte die Hände in einander gefaltet und stand im starren Ausdruck schmerzlicher Betäubung vor ihm, ohne zu sprechen. Er schob ihr einen Armsessel hin und nöthigte sie, sich niederzulassen.

„Sie leben schon seit längerer Zeit von Ihrem verstorbenen Gemahl getrennt?“ fragte er.

Sie antwortete mit einem leisen Stöhnen.

„Wie lange ist es her, daß Sie einander zuletzt sahen?“

Ein Thränenstrom brach unaufhaltsam hervor, ihre Antwort wurde durch heftiges Schluchzen erstickt.

Der Richter trat, selbst ergriffen von dem Ausdruck des unbezwingbaren Schmerzes, zurück, um ihr Zeit zur Sammlung zu gönnen. Sie suchte sich zu bezwingen, das Schluchzen hörte auf, aber ihre Thränen flossen leise die blassen Wangen hinunter, auf die schmalen feinen Hände, welche gefaltet in ihrem Schoße lagen.

Aber die Zeit drängte und der Richter trat wieder zu ihr.

„Vermögen Sie uns, gnädige Frau, irgend welche Auskunft über die letzten Lebenstage des Verstorbenen zu geben?“

„Ich habe ihn seit sechs Jahren nicht gesprochen,“ antwortete sie mit gebrochener Stimme.

Der Richter stand von weiteren Fragen ab.

„Wünschen Sie Ihren Gatten zu sehen, so bitte ich Sie, einzutreten.“

Sie erhob sich, blieb aber unschlüssig stehen.

„Wir werden genöthigt sein, zur Section zu schreiten, und der Anblick möchte später allzu schmerzlich für Ihr Gefühl werden.“

Ihren Körper durchzuckte ein leises Frösteln, sie zitterte – trat mit einer raschen Bewegung in das Schlafzimmer und direct auf die Leiche zu. Zu Häupten des Bettes sank sie auf die Kniee, ohne die Leiche zu berühren, und weinte still, während der innere Schmerz sichtlich ihren Körper durchzuckte. Wir waren an das Fenster getreten, um den letzten Abschied der Ehegatten nicht zu stören. Der Physicus näherte sich dem Richter.

„Ich muß ihr einige Fragen vorlegen,“ sagte er leise.

Der Richter nickte zustimmend. Der Arzt trat zur Wittwe.

„Hat Ihr verstorbener Gemahl früher jemals einen Schlaganfall gehabt?“

„Niemals.“

„Hat er an Schwindel, heftigem Blutandrang nach dem Kopf gelitten?“

„Ich habe es niemals wahrgenommen; er war nie krank.“

„So hat er wohl auch keinen Arzt gehabt?“

„Nein.“

„Hatte der Verstorbene Neigung zu geistigen Getränken, zu starkem Kaffee?“

„Er trank fast ausschließlich Wasser; nur einmal des Tages, am Nachmittag, trank er eine Tasse schwarzen Kaffee.“

Der Arzt trat wieder zum Richter; beide sprachen leise mit einander.

„Ich werde Sie bitten müssen, gnädige Frau,“ wandte der Richter sich wieder zur Wittwe, „im Nebenzimmer zu verweilen und, so schmerzlich es auch für Sie sein mag, uns vorläufig nicht zu verlassen, damit ich, im Falle es erforderlich werden sollte, mir noch einige anderweite Auskunft von Ihnen erbitten kann.“

Sie hatte sich schon während des Gesprächs mit dem Arzte erhoben. Sie warf einen Blick trostlosen Schmerzes auf die Leiche, machte eine Bewegung, als wollte sie die an der Seite herabhängende Hand fassen – trat aber sogleich wieder zurück, und verließ mit verhülltem Antlitz das Zimmer.

Der Untersuchungsrichter vernahm die Aufwärterin; sie wußte nichts Mehreres zu bekunden, als was sie bereits vor dem Commissarius ausgesagt hatte. Seit fünf Jahren besorgte sie die Aufwartung des Verstorbenen, niemals war er krank gewesen. Er hatte bald nach seinem Einzuge in die Wohnung einen Klingelzug von seinem Schlafzimmer nach der Wohnstube der Aufwärterin anbringen lassen. Dieser Drahtzug ging längs der Hinterwand des Hauses über den Hof zu dem Nachbargrundstücke, in welchem die Frau wohnte. Der Verstorbene hatte diesen Klingelzug niemals anders als am Tage benutzt, um seine Bedienung zu irgend einer Dienstleistung herbeizurufen, welche gewöhnlich nur in dem Besorgen frischen Wassers bestand. Die Zuverlässigkeit der Frau unterlag nicht dem mindesten Bedenken; sie machte den Eindruck einer durchaus rechtschaffenen Person, welcher der plötzliche Tod ihres Herrn, wie sie ihn nannte, zu aufrichtiger Betrübniß gereichte.

Ihr Mann war der Nachtwächter des Reviers; auch dieser wurde vernommen, und vermochte nichts Verdächtiges zu bekunden. Er hatte das Haus wie gewöhnlich um zehn Uhr geschlossen, und den Verschluß während der ganzen Nacht in Ordnung gefunden. Um zehn Uhr, erinnerte er sich, in dem Schlafzimmer des Kriegsraths noch Licht gesehen zu haben; später jedoch nicht mehr. Die Hausbewohner vermochten nichts zu bekunden, was einen Anhalt zu Verdachtsgründen gab. Das Dienstmädchen der kranken Dame im ersten Stock hatte den Kriegsrath Abends nach neun Uhr die Treppe heraufkommen sehen; es war ihr keine Veränderung an ihm aufgefallen, nur habe es ihr geschienen, als ginge er langsamer wie sost. Die Dame, eine Person von großer nervöser Reizbarkeit, welche in dem unter dem Hinterzimmer des Kriegsraths liegenden Zimmer schlief, wollte in der Frühe des Morgens, etwa zwischen drei und vier Uhr, ein Geräusch in der Wohnung über ihr gehört haben, etwa wie das geräuschvolle Oeffnen oder Zuschlagen einer Thür oder eines Fensters.

Das war Alles.

Der Untersuchungsrichter befragte die Aufwärterin, ob sie irgend etwas von den Sachen des Verstorbenen vermisse. Sie verneinte die Frage. Ob sie aus irgend einer Spur zu erkennen vermöge, daß während der Nacht eine fremde Person im Zimmer gewesen sei? – Sie ließ ihre Augen mit dem Blicke einer auf ihre Sauberkeit stolzen Dienerin überall im Zimmer umhergleiten, – es war Alles blank und rein; die Scheiben blitzten spiegelhell, die Messinggriffe an Fenster und Thür funkelten in tadelloser Reinheit – aber, wie kommt dieser unsaubere Fleck auf die eine der sonst so weißen Ofenkacheln? Sie betrachtete ihn stutzend, – das sei sie vom Herrn sonst nicht gewöhnt, bemerkte sie, der Fleck sehe aus, als rühre er von einer rußigen Hand her, und niemals habe sie auch nur den kleinsten Schmutzfleck an den Händen ihres Herrn bemerkt.

Auch wir betrachteten den Fleck aufmerksamer. Es war aber für uns nichts besonders Auffallendes darin zu finden. Die Messingthür des Ofens stand auf, eben so war die Klappe geöffnet, im Ofen selbst waren weder Kohlen noch Asche. Die Frau wurde befragt, ob die Ofenthür gewöhnlich offen stehe. Sie antwortete, daß sie dies mitunter bemerkt habe, wenn der Kriegsrath zur Abkühlung der heißen Temperatur Luftzug habe machen wollen. Aber, fügte sie hinzu, niemals ist es mir vorgekommen, daß er die Ofenkacheln schmutzig gemacht hätte, das lag gar nicht in ihm. Ebenso bejahte sie die Frage, ob der Verstorbene mitunter bei offenen Fenstern geschlafen habe, doch bemerkte sie auch jetzt Spuren von Unsauberkeit an dem Messingknopf des einen Fensterwirbels und auf der einen Scheibe daneben.

„Werden wir die Obduction auf die bloße äußere Besichtigung beschränken, oder wird die Section erforderlich sein?“ fragte der Physicus den Untersuchungsrichter.

Dieser schien unschlüssig.

„Ich muß bekennen,“ erwiderte er, „daß ich von meinem Standpunkte die Section nicht für nothwendig erachten kann, da kein noch so entfernter Grad von Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß dieser Fall ein weiteres strafrechtliches Verfahren zur Folge haben wird. Sind Sie anderer Meinung?“

„Es ist schwierig für mich, darauf zu antworten. Um mich des banalen technischen Ausdrucks zu bedienen, „fehlen Spuren äußerer Gewalt“, indessen ist damit noch kein Beweis dafür gewonnen, daß der Tod nicht dennoch ein unnatürlicher, beispielsweise durch Vergiftung herbeigeführter gewesen ist.“

Der Staatsanwalt, der sich bisher schweigend verhalten hatte, wandte sich seinerseits zum Physicus.

„Was würden Sie unter gewöhnlichen Verhältnissen, d. h. ohne daß der Fall gerade zu Ihrer gerichtsärztlichen Cognition gekommen wäre, für die wahrscheinliche Todesursache halten?“

„Wenn ich davon ausgehe,“ antwortete der Arzt, „daß kein Anlaß vorliegt, eine gewaltsame Todesart zu vermuthen, so würde ich annehmen, daß der Tod in dem vorliegenden Falle ein neuroparalytischer oder hyperämischer war; oder um mich verständlicher auszudrücken, daß die Todesursache entweder ein Nervenschlag oder ein Schlagfluß gewesen ist.“

Der Staatsanwalt wandte sich jetzt an den Agenten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_326.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2020)