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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Sie sind erheblich bei der Constatirung der Todesursache interessirt?“

„In hohem Grade,“ erwiderte dieser. „Ich maße mir nicht an, Ihrem Urtheil vorgreifen zu wollen, aber ich kann nicht umhin, darauf aufmerksam zu machen, daß der Todesfall doch manches Verdächtige hat, Was meine Gesellschaftsverwaltung in jedem Falle bestimmen muß, die Sache bis zur vollkommensten Evidenz zu verfolgen. Ich spreche nicht von den sonderbaren Flecken am Ofen und dem Fenster, auf welche die Aufwärterin aufmerksam machte, obgleich sie doch immer beachtenswerthe Anzeichen bleiben, eben so wie das Geräusch, welches die Bewohnerin des ersten Stockwerks gehört hat. Aber daß ein bis zum letzten Tage kerngesunder, mäßig und eingezogen lebender Mann, vier Monate nachdem er sein Leben zu einem Betrage von mehr als 20,000 Thaler versichert hat, plötzlich am Schlagfluß stirbt, ohne auch nur den geringsten apoplektischen Habitus verrathen zu haben, das ist jedenfalls so befremdlich, daß ich mich, nach den mancherlei seltsamen Erfahrungen, die wir gemacht haben, der Ueberzeugung nicht erwehren kann, es liege hier ein Fall der Selbstentleibung vor.“

Der Staatsanwalt conferirte leise mit dem Untersuchungsrichter. Beide traten in das Wohnzimmer zur Wittwe. Das Gespräch betraf die Vermögens- und Erbschaftsverhältnisse. Frau von P. erklärte, daß sie sich mit ihrem verstorbenen Gatten in Betreff aller vermögensrechtlichen Beziehungen auseinander gesetzt habe, daß sie keinen Erbanspruch geltend machen werde, eben so wenig wie einen Anspruch auf den Betrag der Lebensversicherung, von der ihr die Herren Mittheilung gemacht hätten. Ob der Verstorbene ein Testament errichtet habe, wisse sie nicht. Keinesfalls sei dies zu ihren Gunsten geschehen, und in jedem Falle würde sie eine solche Zuwendung von Todeswegen ausschlagen.

Sie sprach das Alles im Tone einer eben so bestimmten als schmerzlichen Resignation.

Die beiden Herren waren wieder eingetreten.

„Wir werden uns jedenfalls für heute auf die bloße äußere Besichtigung beschränken müssen,“ sprach der Untersuchungsrichter zum Physicus, „da die gesetzliche Frist von 24 Stunden, nach welchen erst zur Section geschritten werden darf, jedenfalls noch nicht abgelaufen ist. Inzwischen wird Zeit genug zur Erwägung bleiben, ob die Section morgen vorzunehmen ist oder nicht. Wir werden, glaube ich, Frau von P. entlassen können, da es auf ihre fernere Vernehmung wohl nicht mehr ankommen wird,“ bemerkte der Untersuchungsrichter zum Staatsanwalt gewendet.

Der Staatsanwalt hatte nichts dagegen einzuwenden. Der Actuar hatte über den bisherigen Gang der Verhandlung inzwischen das Protokoll aufgenommen; er las die betreffende Stelle, welche sich auf die Vernehmung der Wittwe bezog, derselben vor, und sie unterzeichnete, ohne daß sie die Kraft zu haben schien, dem ihr Vorgelesenen aufmerksam zu folgen. Wieder ging das leise Zittern durch ihren Körper, als die eintönige und klanglose Stimme des Actuars ihr die schmerzliche Geschichte ihrer Entfremdung zum Ehegatten vorlas, es lag eine ganze Welt voll Schmerzen hinter diesem unausgesprochenen Weh.

Der Untersuchungsrichter und der Staatsanwalt geleiteten sie mit achtungsvoller Rücksicht – sie lehnte es ab, bei der Inventur und Siegelung des Nachlasses zugegen zu sein, sie bemerkte nur, daß ein vertrauter Freund des Verstorbenen, den sie benachrichtigen wolle, für das Leichenbegängniß Sorge tragen werde. Man hatte einen Miethswagen für sie holen lassen, sie dankte mit kaum merkbarem Neigen des Hauptes und verließ mit schwankenden Schritten die Behausung des Todes.

Ich war lange mit mir uneins gewesen, ob ich mein gestriges Begegniß mit dem Verstorbenen dem Richter mittheilen sollte oder nicht. Von Erheblichkeit konnte meine Aussage in keinem Falle sein, und rücksichtlich des Zusammentreffens während des Gewitters vermochte ich übrigens nur eine Vermuthung, keine Gewißheit zu bekunden. Dennoch hielt ich es für das Richtigere, dem Untersuchungsrichter alles, was ich wußte, mitzutheilen. Er hörte mir aufmerksam zu, noch aufmerksamer der Agent. Aber ich konnte weder mit Bestimmtheit behaupten, den Kriegsrath wirklich erkannt zu haben, noch wußte ich irgend etwas Näheres über die Person zu bekunden, mit welcher der Kriegsrath, wenn er es wirklich gewesen, das Gespräch geführt hatte.

Damit schloß die Verhandlung. Das Resultat der stattgehabten Erörterungen hatte Niemanden befriedigt. Die zur Sprache gekommenen Einzelheiten waren alle nicht gewichtig genug, einen bestimmten Verdacht zu begründen, andererseits ließen sie Zweifel über die Unverfänglichkeit des ganzen Vorfalls zurück, welche beim Mangel jedes positiven Anhalts vielleicht niemals aufgeklärt werden konnten. Für den Criminalrichter hatte die Frage, ob der Fall einer Selbstentleibung vorliege, ein nur untergeordnetes Interesse, für den Agenten concentrirte sich grade in dieser Frage sein ganzer Antheil an der Untersuchung. Wie aber die Sache lag, kam es zunächst auf die Feststellung der Todesursache des Verstorbenen an, sodann, falls eine unnatürliche Todesart vorlag, mußten die weiteren Nachforschungen von dem Gesichtspunkte aus geleitet werden, wem aus der Tödtung oder Selbstentleibung ein Vortheil erwuchs.

Zu diesem Behufe wurde die legale Section für den folgenden Tag angeordnet und die Thätigkeit des Gerichtspersonals beschränkte sich für heute nur noch darauf, eine allgemeine Uebersicht über die Gegenstände des Nachlasses zu gewinnen, und den Bestand desselben vorläufig festzustellen. Die auf dem Nachttischchen befindliche Börse enthielt nur einige Goldstücke, darunter einen Napoleond’or; außerdem wurde kein Geld gefunden, eben so wenig geldwerthe Papiere. Ein kleiner Kasten von Rosenholz enthielt die Aufschrift: „Documente“. Es fanden sich darunter die auf die persönlichen und Amtsverhältnisse des Verstorbenen bezüglichen Papiere, jedoch keine Notiz über ein etwa errichtetes Testament noch weniger ein Recognitionsschein über die Niederlegung desselben. Alle Papiere waren in der größten Ordnung, sorgfältig gesichtet und in besondern Fächern mit Etiquetten aufbewahrt. Meist waren es Manuscripte mathematischen Inhalts; ein größerer Band enthielt Materialien zu einer „allgemeinen Kriegsgeschichte“, ein anderes Manuscript bezog sich auf die Kunst des Schachspiels. Von Correspondenzen wurde nichts vorgefunden. Die Bibliothek bestand größtentheils aus kriegswissenschaftlichen, mathemathischen und einer kleinen Sammlung schönwissenschaftlicher Werke. Eine große Mappe enthielt Schlachtenpläne. Das Wirthschaftsgeräth war sehr einfach, von Silbergeschirr nur sehr wenig vorhanden. Eben so bescheiden war die Garderobe des Verstorbenen.

Die Aufwärterin war bei dem Gange durch die Wohnungsräume mit zugegen gewesen. Als wir wieder in das Schlafzimmer kamen, trat sie nochmals zum Bette des Verstorbenen und stutzte plötzlich.

„Haben Sie etwas Auffallendes bemerkt?“ fragte sie der Staatsanwalt.

„Ich weiß nicht,“ erwiderte sie, „was die Herren davon denken werden, allein wenn Sie, wie ich, den seligen Herrn Kriegsrath gekannt hätten, so würden Sie sich am Ende auch wundern wie ich. Er war in allen Dingen so pünktlich und regelmäßig…“

„Sprechen Sie,“ drängte der Staatsanwalt, „es ist mitunter auch das Kleinste von Wichtigkeit.“

„Ja, sehen Sie, meine Herren,“ sagte die gute Frau zögernd, „ich habe seit fünf Jahren immer die Wäsche des seligen Herrn besorgt und ihm immer Alles herausgelegt, was er brauchte. Alle Sonnabend Abend legte ich ihm frische Nachtwäsche auf sein Bett; das war so regelmäßig, wie Amen in der Kirche, und nie hat er mitten in der Woche welche verlangt, oder selbst genommen, Und jetzt sehe ich, daß er gestern, als wie Dienstag, ein frisches Nachthemd angezogen hat, obgleich ich ihm, wie immer, am vergangener Sonntag ein reines Herausgelegt hatte.“

Es war richtig, wie die Aufwärterin sagte, denn ein wenig benutztes Nachthemde fand sich am Kopfende des Bettes vor. Aber auch dieser Umstand warf kein weiteres Licht auf die Sache und schien nur geeignet, die Spannung der Betheiligten in Athem zu erhalten.

Wir verließen die Wohnung, nachdem auf Anordnung des Physicus Vorsorge getroffen war, durch geeignete Mittel der weiteren Zerstörung der Leiche vorzubeugen. Die Wohnungsräume wurden wieder versiegelt und unter Bewachung gestellt.

Am folgenden Tage fand die Section des Leichnams statt. Keines der inneren Organe zeigte die mindeste Verletzung. Das rechte Herz war ziemlich stark mit dunkelfarbigem Blute gefüllt das linke dagegen fast leer; die Luftröhre hatte bereits die braun-rothe Farbe des Verwesungsstadiums angenommen, welches den angewendeten Maßregeln ungeachtet nicht aufzuhalten gewesen war. Der übrige Befund war vollkommen normal, der Magen fast ganz leer, die Magenfläche selbst zeigte ebenfalls nichts Abnormes. Es

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_327.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)