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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Das Schillerhaus in Lauchstädt.


ihr nicht mehr von der Seite und pflegte sie mit rührender Hingebung. Ich hatte Gelegenheit, sie in ihrem leidenden Zustande zu sehen, und war betroffen von dem Ausdruck friedlicher Ergebung, der, fast wie ein Schimmer der Verklärung, die Züge des bleichen Antlitzes durchhaucht hatte.

So waren drei Wochen vergangen, seitdem der Angeklagte entsprungen war, als mir der Postbote eines Abends einen seltsam geformten Brief einhändigte, der mit den verschiedenartigsten Poststempeln bedeckt war. Mit Mühe waren einzelne Namen zu erkennen, darunter: Calais, Ostende, Aachen u. s. w. Eine Ahnung sagte mir, daß dieser seltsame Brief die Lösung des ganzen Räthsels bringen mußte, – und ich hatte mich nicht getäuscht.

Der Brief, ohne Datum und Unterschrift, lautete folgendermaßen:

„Wenn es Gottes Wille ist, daß dieser Brief in Ihre Hände kommt, so bitte ich sie kniefällig, meiner Bitte zu willfahren und sich meiner zu erbarmen, da sich Gott meiner erbarmt hat. Ich bin es, der Ihnen schreibt, der Ihnen und den Herren vom Gericht so viele Mühe und Noth gemacht hat. Aber Sie brauchen sich darum vor mir nicht, wie vor einem Mörder zu entsetzen, ich schwöre es Ihnen, daß ich unschuldig am Tode des Mannes bin. Ich wäre nicht entflohen, sondern hätte ruhig meine Strafe angenommen als eine gerechte Buße, aber ich wollte nicht, daß sie die Schande haben sollte, mich in der Zuchthausjacke zu sehen. Darum bin ich entsprungen und habe zu meinen anderen Schlechtigkeiten auch noch zuletzt den Diebstahl an den Kleidern des Krankenwärters begehen müssen, für alles Gute, was er mir erwiesen. Aber ich mußte es thun, es wäre sonst mein Tod und ihr Tod gewesen. Ich habe ein Unterkommen auf einem Schiffe gefunden, das nach einem fernen Lande geht. Wir sind jetzt im Canal und hoffen, daß ein Kohlenschiff nahe genug an uns herankommen wird, um diesen Brief mitnehmen zu können. Ich will nicht, daß unschuldige Menschen in Verdacht kommen sollen, und will, wie ich es vor Gott in meiner letzten Stunde verantworten kann, Alles gestehen, wie es sich wirklich und wahrhaftig zugetragen hat. Darum habe ich früher schon Alles aufgesetzt, wie es sich verhalten hat, und habe es an einen Ort niedergelegt, wo Sie es finden können, wenn Sie meinen Wunsch erfüllen. Denn wenn ich an sie denke, und wie sie für todt zusammenstürzte, so ist es mir nur immer so, als fahren mir tausend zweischneidige Messer in mein Herz, und ich möchte am liebsten meinem Leben ein Ende machen, wenn ich nicht eingesehen hätte, daß der Tod eine Wohlthat für mich ist, und ich erst suchen muß, meine Sünden abzubüßen. Das hat mir auch der Capitain unseres Schiffes gesagt, der sonst für einen harten Mann gilt, der aber als ein wahrer Freund und Bruder an mir handelt und mir Trost einspricht, wenn es mir manchmal vor Verzweiflung ganz schwarz vor den Augen wird. Dann sagt er: Muth, mein Junge, wirf Deinen Jammer über Bord für die Haifische, wir sind allesammt Sünder; thu’ von jetzt ab einen rechtschaffenen Menschen aus Dir machen, und es wird Alles gut werden. Dann ist auch noch ein junger Geistlicher an Bord, ein Schottländer, der aber in Deutschland studirt hat, der redet mir auch zu, auf Gottes Barmherzigkeit zu vertrauen, und Christum, den Mittler und Fürsprecher aller Reuigen. Ihm habe ich Alles erzählt und er hat keinen Abscheu vor mir gehabt, sondern er hat mit mir geweint und mich getröstet. Darum bitte ich Sie, daß Sie in der ersten Queerallee des Gartens hinter dem Krankenhause, unter dem dritten Birkenbaume von der Mauer an, da wo ein Herz in die Rinde eingeschnitten ist, zwischen den Wurzeln ungefähr eine Spanne tief in der Erde einen kleinen blechernen Napf herausnehmen, in welchem eine kleine Rolle enthalten ist, welche Alles aufrichtig und getreu anzeigt, wie es sich verhalten hat. Der Capitain ruft, es kommt ein Kohlenschiff nahe heran. Leben Sie wohl, vergelt es Ihnen Gott.“

Noch am nämlichen Abend begab ich mich gemeinschaftlich mit dem Staatsanwalt an den bezeichneten Ort, und fand an der angegebenen Stelle einen alten schadhaften Blechnapf, der eine ganz kleine Rolle von grauem Cattun, in der Stärke eines Daumens enthielt. Nachdem wir die mit einem Zwirnsfaden umwundene Rolle geöffnet hatten, gewahrten wir, daß dieselbe in der Ausdehnung von etlichen Spannen Breite und einem Finger Höhe mit einzelnen gedruckten Buchstaben und Sylben zu zusammenhängenden Worten beklebt war, deren Inhalt also lautete:

„Endlich ist es mir gelungen, auch eine Beschäftigung zu erhalten, und ich darf helfen, für die Knopffabrik mit Zeitungspapier Knöpfe blank zu putzen, wie die übrigen Kranken, die in der Besserung

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_353.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)