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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

ihn als die eigentliche moralische Ursache der That an, für welche die Unglückliche mit lebenslänglicher Zuchthausstrafe büßen sollte, während der verächtliche Urheber ungestraft davon kam. Bei dieser Gelegenheit erhoben sich die geachtetsten, juristischen Stimmen gegen ein Gesetz, welches wie ein Spott auf die garantirte, bürgerliche Gleichheit aller Stände klingt.

Die übrigen Gefangenen boten kein besonderes Interesse mehr dar, und da die Untersuchung bald beendet war, begab ich mich zuerst in den allgemeinen Krankensaal der Anstalt, um die daselbst liegenden Patienten in Augenschein zu nehmen. Hier herrscht, wie sich das von selbst versteht, mehr Freiheit als sonst im Gefängnisse, und trotz aller Aufsicht lassen sich nicht verschiedene Mißbräuche verhindern. Die Reconvalescenten vertreiben sich die Zeit mit Erzählungen, Karten- und Würfelspiel. In jedem Gefängnisse gibt es einen oder mehrere Erzähler, die einen gewissen Ruf besitzen. Den Stoff seiner Geschichten nimmt er meist aus alten Ritter- oder Räuberromanen, welche in jeder Leihbibliothek zu finden sind. Letztere spielen eine große Rolle in der Verbrecherwelt, und die kühnen Thaten eines Rinaldini, Schinderhannes und des bairischen Hiesel haben schon manche jugendliche Phantasie zur Nacheiferung angespornt und entflammt. Selbst Sue’s „Mysterien aus Paris“ sind bereits in unsere Gefängnisse gedrungen und erfreuen sich dort eines wo möglich noch größeren Beifalls, als bei dem Publicum der gewöhnlichen Lesewelt. Man glaubt nicht, wie nachtheilig derartige Bücher gerade auf diese Menschenclasse wirken, die sich gleichsam an solchen Romanhelden ein Beispiel nehmen und in ihnen ihr Ideal sehen. Ich selbst habe einen würdigen Mann gekannt, der mir gestand, daß er, durch derartige Schriften in seiner Jugend verlockt, sich ernstlich mit der Idee herumtrug, ein Räuber à la Rinaldini zu werden, zum Glück aber bald davon wieder zurückkam. Deshalb sollte vorzugsweise darauf hingearbeitet werden, derartige schlechte Bücher, welche noch immer von der ungebildeten Menge mit Heißhunger verschlungen werden, durch eine gesunde Volksliteratur zu ersetzen.

Nr. 2 folgt später.




Das Ende der Thaten des General Walker’s.[1]

Hospital in Granada.

Man rühmt es unserer Zeit häufig nach, sie sei im Allgemeinen der Vergangenheit an Bildung und Moral weit überlegen; leider aber kommen gar nicht selten Beispiele vor, die das Gegentheil von dieser Lobeserhebung beweisen. Ein recht schlagendes ist, ich will nicht sagen die blutbefleckte Laufbahn des Generals Walker in Central-Amerika, denn Verbrecher in größerem und kleinerem Maßstabe wird es zu allen Zeiten geben, wohl aber die Gleichgültigkeit, ja beifällige Zustimmung, mit welcher die civilisirte Welt anderthalb Jahre lang den Thaten jenes Freibeuters zugesehen hat, vor allem die Rettung desselben durch die Regierung der großen amerikanischen Union, die zu seinen Gunsten einschritt und um seinetwillen ein Kriegsschiff absandte, damit er nicht dem Galgen verfalle, den er hundert Mal verdient hatte, und die Begeisterung, mit der ihn mehr als 10,000 Menschen bei seiner glücklichen Ankunft in Neu-Orleans empfingen.

Blicken wir in die Geschichte zurück, so finden wir auf demselben Schauplatze, auf dem Walker seine Jammertragödie spielte, Vorgänge, die ein treues Vorbild derselben waren. Am 7. April 1685 überfiel Ravenneau de Lussan mit 345 Mann, Engländern und Franzosen, welche die Spanier und Indianer mit „den Fortschritten der Civilisation“ beglücken wollten, die Stadt Granada am Ufer des Nigaragua-See’s. Sie griffen die fliehenden Einwohner an, wie der alte Lussan selbst naiv erzählt, verloren nur etwa vier Mann im Kampfe, zogen dann in die Kirche, um ein Te Deum zu singen, und ließen den Spaniern sagen, wenn sie nicht Lösegeld für ihre Stadt zahlten, würde dieselbe niedergebrannt werden. Da die Spanier gar nicht darauf antworteten, sahen sich die Helden genöthigt, die Häuser der Stadt anzuzünden, „um Wort zu halten“, und dabei mordeten und schändeten sie nach Herzenslust.

Die, welche damals so handelten, waren und nannten sich selbst Freibeuter; das Gesetz hatte sie geächtet und sie übten ihre Thaten in einem Lande ohne Gesetz, das Spanien unterworfen war, mit welchem sich England und Frankreich im Kriege befand. Trotzdem wurden ihre Raub- und Mordzüge nicht etwa gepriesen, sondern laut gemißbilligt und mit dem wahren Namen genannt und die daran Betheiligten ohne Proceß als Räuber und Mörder gehangen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 360. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_360.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)