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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Zilly. „Der heutige Zug darf uns nicht mehr getrennt sehen. Ihr bester Traiteur ist ja wohl Jagor unter den Linden. Er hat auch den besten Lafitte und den feinsten Champagner. Erzeigen Sie mir das Vergnügen?“

„Zu Jagor! zu Jagor!“ riefen Alle.

Man fuhr zu Jagor unter den Linden. Erst lange nach Mitternacht trennten sie sich.

„Ein capitaler Kerl, dieser Graf Zilly!“

„Delicate Weine!“

„Alles deliciös, Herr Bruder! Weine, Essen, Alles. Und großartig, verschwenderisch!“

„Der Kerl muß Geld wie Heu haben.“

„Und er hat sich brav geschossen,“ setzte der Rittmeister noch hinzu.

„Ja, ja, die Zilly’s müssen von einem guten, alten Hause sein,“ bemerkte ein Lieutenant, der selbst aus einem guten, alten westphälischen Hause war, und manchmal mit souveräner Verachtung auf seine Cameraden von dem jungen und zweifelhaften preußischen Officiersadel herabsah.

Der Graf Zilly kam von nun an alle Tage zu Cranzler, bezahlte seine Droschke mit einem Thaler und seinen Kaffee an die hübsche Kellnerin mit einem Ducaten, und verkehrte mit den Gardeofficieren, also mit der Crême der guten jüngeren Gesellschaft Berlins, die sich immer mehr überzeugten, daß er nicht nur sehr reich, sondern auch von gutem, altem Adel sei, denn er that es ihnen fast Allen zuvor im Fechten, Reiten, Fahren, Trinken und ähnlichen Dingen, und er konnte auch, indem es unterdeß besseres Wetter geworden war, auf dem Trottoir unter der Marquise vor dem Cranzler’schen Hause seine Beine über der Stuhllehne eben so graziös hin- und herbaumeln, wie nur je ein Officier von der Garde.




II.

Auf der Polizei in Berlin schien man jedoch über den Grafen Zilly aus dem welschen Tyrol nicht ganz dieselben Ansichten zu haben, wie die jungen Gardeofficiere bei Cranzler sie hatten. Zu dem Polizeidirector von Berlin, dem Chef der dortigen Criminal- und dahin einschlagenden Sicherheitspolizei, kam eines Tages ein Kammergerichtsreferendarius, ein junger Mann, welcher hoffte, im Polizeifache eine bessere Carriere zu machen, als in der Justizpartie, und der sich daher zu seiner Ausbildung an das Polizeipräsidium in Berlin hatte versetzen lassen. Der junge Mann hatte, wie jeder Referendarius, der eine Carrière machen will, einen großen Diensteifer.

„Herr Polizeidirector, haben Sie schon von einem Individuum Notiz genommen, das sich Graf Zilly aus Tyrol nennt?“

„Ja, mein lieber Referendarius.“

„Kein Mensch weiß, wovon er lebt.“

„Ich denke, von seinem Gelde.“

„Gewiß! aber woher hat er es? das ist die Frage.“

„Ich denke, von seinen Gütern.“

„Wissen Sie das gewiß?“

„Ich habe mich nicht darum bekümmert. So lange die Leute hier nicht morden, stehlen oder betrügen, gehen sie mich nichts an.“

„Aber er gibt viel Geld aus.“

„Ein Zeichen, daß er viel hat.“

„Und dabei logirt er nicht einmal in einem Hotel, sondern wohnt obscur chambre garnie da hinten in der Jüdenstraße.“

„Er hat die Freiheit, zu wohnen, wo er will.“

„Und dann thut er hier nichts.“

„Sie sagen ja selbst, daß er viel Geld ausgibt?“

„Dagegen drängt er sich an die jungen Officiere von der Garde, und verleitet sie zu Ausgaben –“

„Die er meist selbst bestreitet.“

„Und das Auffallendste ist, daß er jeden Tag bei Cranzler in einer Droschke vorfährt und dem Kutscher einen Thaler gibt, und dann seinen Kaffee mit einem Ducaten bezahlt. Sie müssen zugeben, daß das sehr verdächtig erscheint.“

„Finden Sie das?“

„Gewiß, und wenn Sie nichts dagegen hätten, so möchte ich ihm wohl strenge aufpassen.“

„Ich habe nichts dagegen.“

„Ich habe vollkommene Vollmacht?“

„Vollkommen, jedoch nur, vergessen Sie das nicht, lieber Referendarius, nur sich selber, nicht aber die Polizei zu compromittiren. Ich erhalte wohl Nachricht von Ihnen.“

Der junge Referendarius ging zufrieden. Er erkundigte sich bei der österreichischen Gesandtschaft, ob man einen Grafen Zilly aus dem welschen Tyrol kenne. Die Familie war bekannt, angesehen und weitverzweigt; aber persönlich kannte man die einzelnen Mitglieder nicht. Auch den in Berlin weilenden angeblichen Grafen Zilly nicht; er hatte sich nicht präsentirt, nicht einmal seinen Paß vorzeigen lassen. Das war allerdings bedenklich. Der Referendarius erkundigte sich auf der Post. Er ließ alle Register der angekommenen Briefe und Pakete nachschlagen. Kein Brief, kein Paket, also auch kein Geld war für einen Grafen Zilly angekommen; das war nicht minder bedenklich. Er erkundigte sich nun auch in dem Hause, in welchem der Graf wohnte. Er bewohnte dort, hinten in der dunklen, schmutzigen Jüdenstraße eine Stube mit Alkoven, nichts mehr und Beide klein und bescheiden möblirt, und daher für einen bescheidenen Miethzins, den er vorausbezahlt hatte. Dabei hatte er keinen Bedienten, die Magd im Hause besorgte ihm die Aufwartung. Auch das war Alles sehr auffallend, gegenüber seinen großen Ausgaben außer dem Hause. Freilich war er andererseits nie bei Tage und auch nicht einmal immer des Nachts zu Hause, und niemals hatte man einen Fremden oder sonst Besuch bei ihm gesehen; aber auch diese Umstände schien der nachforschende Referendarius bei der ganzen zwecklosen herumtreiberischen Lebensweise des angeblichen jungen Grafen als eben so viele Verdachtsgründe ansehen zu müssen. Indeß reichte Alles, war er erfahren hatte, zu einem weiteren, unmittelbaren Verfahren gegen den Fremden nicht aus. Gleichwohl hatte der Referendarius eine nicht zu beseitigende Ahnung – er meinte manchmal: Ueberzeugung –, daß er es mit einem Industrieritter zu thun habe. Er setzte deshalb seine Nachforschungen unverdrossen und nur mit vermehrtem Eifer fort. Dieser sollte nicht ohne Erfolg bleiben.

Bei Tage konnte er dem Fremden nicht folgen. Dieser war dann nur in der Gesellschaft von Gardeofficieren und von anderen mit diesen verkehrenden jungen Leuten aus der ersten Gesellschaft. Die aber waren überall, wo es, und auf Wegen, die viel Geld kosteten, mehr als der arme Referendarius besaß; er riskirte also, wenn er ihnen folgen und aufpassen wollte, einen leeren Beutel und gar Ohrfeigen. Er hielt sich daher des Nachts in der Nähe der Wohnung des fremden Grafen auf. Nicht lange vergeblich. Schon in der vierten oder fünften Nacht sah er aus seinem Versteck einen Menschen, der von dem Jüdenhofe her leise bis in die Gegend des Hauses schlich, sorgfältig den Schein der Gaslaternen vermied, vor dem Hause stehen blieb, nach den Fenstern des Grafen hinaufblickte und sich dann hinter dem Kellerhalse des gegenüberliegenden Hauses versteckte. Der Mann wartete lange; der Referendarius wartete ebenfalls lange. Endlich, gegen ein Uhr, ließen sich Schritte von der Königsstraße her vernehmen. Es waren gleichfalls leise Schritte; der Referendarius dachte schon an einen Dieb, der in der Geisterstunde seine neuen Nachschlüssel probiren wollte; aber er erkannte den Grafen Zilly.

Was schleicht der Mensch heute? er tritt doch sonst laut und brüsk genug auf, wenn er des Nachts durch die Straße geht; das hat etwas zu bedeuten.

Vor seiner Wohnung blieb der Graf auf der Straße stehen. Er sah sich, wie der Referendarius im Scheine der Gaslaternen gewahren konnte, sorgsam nach allen Seiten um. Gleich darauf kam der Mann, der sich drüben hinter dem Kellerhalse verborgen hatte, aus seinem Versteck hervor. Der Referendarius erkannte jetzt in dem Lichte der Laternen eine kleine gedrungene Gestalt.

„Hast Du mitgebracht?“ fragte hastig der junge Graf.

„Wieder so spät! Jede Nacht solche Wirthschaft!“ erwiderte der Mensch.

„Zum Teufel, antworte, oder besser, gib her.“

„Hier, aber es ist das letzte.“

„Du bist ein Narr.“

Der Referendarius sah, wie der Kleine dem Grafen etwas übergab. Er konnte es für eine große schwere Börse halten. Er glaubte auch einen feinen, leisen Klang, wie von Gold oder Silber zu hören.

„Gute Nacht!“ sagte darauf der Graf.

„Ich habe noch etwas beizufügen.“

„Viel? Ich bin schläfrig.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_367.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)