Seite:Die Gartenlaube (1857) 368.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Ich sprach eben in vollem Ernst. Bei Gott, dies war das Letzte. Der Alte macht Schwierigkeiten.“

„Das thut er immer. Hast Du sonst etwas?“

„Er ist wüthend, und sprach von der Polizei. Er wollte der Geschichte endlich ein Ende machen.“

„Er ist ein Narr, wie Du. In drei Tagen erwarte ich Dich wieder. Gute Nacht!“

Er ging zu seiner Wohnung. Den Hausschlüssel mußte er bei sich führen. Er hatte schon die HausthÜr aufgeschlossen, und war in dem Innern des Hauses verschwunden.

Der Referendarius hatte seinen Plan gemacht. Dem Grafen hatte er nicht zu folgen. In dessen Wohnung durfte er auf nichts Verdächtigendes oder Ueberführendes rechnen; an dessen Körper konnte er nur das an sich unverdächtige Geld finden. Aber der kleine, fremde Mensch, warum schlich er um Mitternacht, warum verbarg er sich, warum verkehrte er heimlich auf der Straße mit dem jungen Manne? Wer war er nur? In welcher Verbindung stand er mit dem Grafen? Bei ihm mußte er verdächtige und auffallende Sachen finden, und wenn er nichts fand, schon die Person des Menschen war eine Aufklärung für den Referendarius.

Der Mensch war langsam und dem Anscheine nach unbefangen in der Richtung zum Jüdenhofe fortgegangen. Wie ein Blitz, eben so schnell und eben so unhörbar, fuhr der Referendarius aus seinem Verstecke hervor, hinter ihm her. Er hatte ihn schon beinahe erreicht; aber auch die Polizei kann fallen. Der Referendarius fiel, und als er wieder aufstand, war der Mensch mit unglaublicher Schnelligkeit verschwunden. Constabler gab es zu jener Zeit in Berlin noch nicht, und die Nachtwächter schliefen gern. Indessen hatten die Polizeibeamten in Berlin damals desto bessere Augen und desto mehr Glück. Von dem Polizeidirector waren Thatsachen bekannt, die an das Unglaubliche grenzten, wie er Personen, die er kaum mit einem halben Blicke gesehen, nach Jahren wieder erkannt hatte, und wie andererseits Verbrecher, deren Ergreifung man in das Reich der Unmöglichkeit versetzt, ihm plötzlich, manchmal schon in der nächsten Stunde, wie durch ein Wunder in die Arme gelaufen waren. Auch der Referendarius wußte das, und indem er Carriere machen wollte, durfte er seinem Vorgesetzten nicht nachstehen. Während er fiel, hatte sich der Verfolgte nach ihm umgesehen, kaum mit einem halben Blicke. Eben so flüchtig nur hatte der Referendarius das sich umwendende, gerade von einem Laternenstrahl getroffene Gesicht gesehen. Allein das war ihm genug. Am folgenden Morgen stellte der Referendarius sich am Ende der Mulaksgasse auf, welche Gasse täglich von einigen Tausend bestrafter und unbestrafter Diebe, entlassener oder entwichener Sträflinge, Polizeiobservaten, liederlicher Dirnen und ähnlicher Individuen betreten wird. Er musterte Alles, was die Straße passirte. Er hatte noch nicht lange gestanden, als aus einem verdächtig genug aussehenden Hause ein kleiner, gedrungener Kerl mit einem vollständig listigen Spitzbubengesichte heraustrat, vorsichtig in der Straße umherspähete, sichtlich erschrak, als er den Referendarius erblickte, und schnell in das Haus zurücktreten wollte. Aber er war dem scharfen Auge des Polizeibeamten nicht entgangen.

„Halt da!“ donnerte ihm der Referendarius zu.

Der Mensch stand zitternd. Der Referendarius trat an ihn heran und musterte ihn.

„Bei Gott, dasselbe Gesicht! – Wie heißt Du?“

„Lude Stähler, Herr Referendarius,“ antwortete eine heisere Zuchthausstimme.

„Auch die Stimme! – Mensch, woher kennst Du mich?“

„Der Herr Referendarius sind ja bei der Criminalpolizei.“

„Wo bist Du heute Nacht gewesen?“

„Heute Nacht, mein Herr Referendarius? Sprechen Sie von heute Nacht?“

„Ja, Bursch, und ich verlange schnelle Antwort; Du willst Zeit gewinnen, um mich zu belügen.“

Der Mensch war ängstlich geworden; er schien in der That sich auf Lügen vorzubereiten.

„Gott bewahre mich, Herr Referendarius, ich belüge meine hohe Obrigkeit nie. Ich weiß wohl, daß das dem beschränkten Unterthanenverstande verboten ist; ich kenne die Gesetze.“

„Schurke, wirst Du antworten!“

„Mein Herr Referendarius, ich bin ein ehrlicher Mensch, und mit Ihrer Erlaubniß war ich heute Nacht ruhig in meiner Schlafstelle hier in dem Hause, vor welchem wir stehen, auf dem Hofe rechts, drei Treppen nach hinten; Sie können dort fragen.“

„Und um welche Stunde bist Du nach Hause gekommen?“

„Das kann so nach Mitternacht gewesen sein.“

„Ha, und wo warst Du so lange gewesen?“

„Wo ich gewesen war, mein hochgeehrter Herr Referendarius, das kann ich Ihnen ganz genau sagen. Ich war spazieren gegangen vor dem Landsberger und Prenzlauer Thor, in dem Friedrichshain, Sie wissen, der noch erst ein Hain werden soll. Der Abend war schön, und man hört dort Nachtigallen –.“

„Erzähle ordentlich, Mensch. Auf welchem Wege kehrtest Du in die Stadt und zu Deiner Wohnung zurück?“

„Wohnung, Herr Referendarius? Diesen Artikel führe ich nicht. Ich erfreue mich nur einer Schlafstelle. In diese kehrte ich zurück, indem ich durch das Prenzlauer Thor wieder in die Stadt ging, die Prenzlauer Straße durchschritt, in die Alexanderstraße kam, dann auf den Alexanderplatz, dann in die Königsstraße –“

„Mensch, Du belügst mich. Um in Deine Schlafstelle zu gelangen, müßtest Du gerade die entgegengesetzte Richtung von dem Alexanderplatz einschlagen, und in die Königsstraße konntest Du gar nicht kommen.“

„Sehr wahr bemerkt, Herr Referendarius, aber die Nacht war warm, und am Alexanderplatz und in der Königsstraße halten die reichen Herrschaften in Prachtkäfigen Nachtigallen, und ich wollte vergleichen, welche besser schlügen, diese in den goldenen Käfigen oder jene in dem nackten Friedrichshain.“

„Schon gut. Wohin gingst Du aus der Königsstraße.?“

„In die Jüdenstraße, geehrter Herr Referendarius.“

„Ha, in die Jüdenstraße!“

Die Augen des Referendarius leuchteten. Die listigen Augen des Menschen sahen es; seine Aengstlichkeit verlor sich.

„Wie ich die Ehre habe, Ihnen zu sagen.“

„Was wolltest Du da?“

„Nach Hause, nach meiner Schlafstelle gehen.“

„Durch die Jüdenstraße?“

„Allerdings, von da durch die Spandauerstraßr, über den Haakschen Markt –“

„Hast Du Dich in der Jüdenstraße aufgehalten?“

„Ich habe bloß nach Nachtigallen gehorcht.“

„Hast Du dort Jemanden gesprochen?“

„Keinen Menschen.“

„Bursch, Du lügst. Ich sah Dich dort.“

„Ich erinnere mich der Ehre nicht.“

„Du hieltest Dich eine Zeit lang versteckt, dann sprachest Du mit einem jungen Menschen.“

„Es muß ein erhabener Irrthum von Ihnen sein.“

„Kein Irrthum; ich habe Dich gesehen, erkannt. Du gabst ihm Geld –“

„Herr Refendarius, ich, Geld? Ich bitte, beleidigen Sie mich nicht.“

„Es wird sich finden. Du mußt mit mir zum Aufbewahrungsarrest; dort werde ich die Wahrheit schon von Dir herausbekommen.“

„Herr Referendarius, wenn ich denn nun wirklich einem jungen Menschen Geld gegeben hätte?“

„Du willst also eingestehen?“

„Wäre es denn ein Verbrechen?“

„Gestehst Du?“

„Wenn ich wüßte, daß Sie mich gleich in den Criminalarrest bringen wollten! In dem Aufbewahrungsarrest wird man von den Herren Polizeicommissarien manchmal vergessen; selbst von dem Hausvater, der Einem kein Essen hineinschickt, und was die Reinlichkeit betrifft, Herr Referendarius – ich bin ein sehr reinlicher Mensch. Kurz, man ist dort nicht Fisch und nicht Fleisch –“

„Genug des Redens. Du kommst mit mir.“

Der Referendarius glaubte in der That, es sei des Redens und auch des Beweises genug. Der Mensch, ein oft bestrafter Dieb, war von ihm wieder erkannt worden; er hatte geradehin zugestanden, daß er in der Jüdenstraße gewesen; er hatte halb und halb zugestanden, daß er dort Jemandem Geld gegeben; er hatte dabei so viele Verwirrung gezeigt; das reichte aus. Nach Näherem, direct nach dem angeblichen Grafen Zilly zu fragen, wäre gegen alle Vorsicht des Criminalpolizeibeamten gewesen.

(Fortsetzung folgt.)



 

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_368.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)