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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

getragen. – Es galt, die unterirdisch Abgesperrten zu retten, und alle nur erdenklichen Versuche wurden zu diesem Behufe mit todesverachtender Kraft-Anstrengung gemacht. Man hoffte und glaubte was man wünschte. Rettung schien möglich. Man wußte, daß Jeder der Verschütteten eine Flasche Rum, mancher auch noch etwa ein Stück Brod besaß; 8 Pferde, zur Wegschaffung des Schuttes beständig im Tunnel, waren mit ihnen eingesperrt, ihr Fleisch konnte ihnen für den Nothfall Nahrung bieten; Wasser, reichlich aus den Schichten des Berges sickernd, war im Ueberfluß da, von welchem man auch noch hoffte, daß es, von dem erhöhten inneren Theile des Tunnels gegen die Brandstelle abfließend – es floß sogar beständig durch den Schuttkegel ab – zur Erneuerung der Luft und Dämpfung der Gluth dienen werde.

Die Hoffnung lieh dem Muthe Kraft. Bald war ein Stollen von 8 Fuß Tiefe in den Schuttkegel getrieben, welch’ letzteren man als ungefähr 40 Fuß Durchmesser haltend berechnete. Da trat aber der werkthätigen Bruderliebe ein Feind entgegen, der die Rettenden ohnmächtig hinwarf und zwang, die Rettungsarbeiten verlassend, den Tunnel zu räumen. – Es entwickelten sich nämlich jene furchtbaren Gase, welche im Augenblicke die Arbeiter zu Boden streckten und den Tunnel erfüllten. „Die Luft wurde so schlecht,“ – schreibt der uns befreundete Tunnel-Arzt – „daß die Arbeiter massenhaft weggetragen werden mußten. In Gemeinschaft mit dem leitenden Ingenieur, Pressel aus Würtemberg, ging ich, die Luft im Tunnel zu untersuchen. Bald fühlten wir Schwerathmen, Eingenommenheit des Kopfes mit furchtbarem Sausen in den Ohren. Ich erklärte die Luft als irrespirabel, in Folge dessen die Arbeiten eingestellt wurden und man sich nur noch mit dem Retten der im Tunnel zurückgebliebenen Rettungsmannschaften beschäftigte. Auch diejenigen, die zu diesem Behufe in’s Innere des Tunnels abgegangen, wurden uns massenhaft, in halb ersticktem Zustande zur Behandlung gebracht, bis endlich gegen Mitternacht der Tunnel vollständig geräumt war.“

Ueber die Entstehungsart und Natur der vergiftenden Gase war man geraume Zeit im Unklaren. Das aus dem Schacht in den Tunnel herabgestürzte Gebälk erhielt unten den Brand, wozu noch kam, daß die theilweise überdeckte Gluth, statt zu Kohlensäure zu verbrennen, es nur zur Entwickelung von Kohlenoxydgas brachte, das viel giftiger als jene ist. Man hatte geglaubt, das Feuer habe auch die im Tunnel liegenden Gerüsthölzer und die bei der Schmiede befindlichen 31 Ctnr. Steinkohlen ergriffen und dadurch das ungeheuere Quantum Kohlenoxydgas erzeugt. Unser Freund ist aber überzeugt und nach Rücksprache mit einem ausgezeichneten Geologen, Amand Gressei, dem vertrautesten Kenner der Juraformation, der die geologischen Untersuchungen für den Hauensteintunnel vorgenommen hatte, darin bestärkt, daß außer dem Kohlenoxydgas auch ölbildendes Gas in großer Quantität vorhanden war, da durch das Ausglühen des organische Stoffe haltenden Lias-Mergels, sowie durch das Verbrennen des sehr langen und dicken, mit Theer getränkten Seiles jenes Gas nothwendig gebildet werden mußte. Der graue Lias wurde ganz roth gebrannt.

Noch weiter geht die Meinung jenes Experten, der die Entstehung des Feuers jener wahrscheinlichen Entzündung von Gasarten im oberen Theile des Schachtes zuschreibt. „Dorthin führten die Rauchfänge,“ schreibt derselbe, „die das Holzwerk nicht berühren konnten, da dasselbe erst sechszig Fuß oberhalb der Rauchfänge anfing. Dagegen befanden sich dort bituminöse kohlige Schiefer des Lias mit Schwefelkies, die durch die Hitze oder durch Selbstentzündung in Brand gerathen konnten. Das Feuer war also zuerst oben im Schacht, was auch durch den noch vorhandenen unverbrannten untern Theil des obwohl getheerten herabhängenden Schachtseiles bewiesen wird. Der herabfallende Schutt allein hätte weniger Gefahr für die Eingeschlossenen gebracht. Dagegen senkten sich, als der Schacht an seiner Oeffnung beim Dorfe Hauenstein mit Laden und Rasen zugedeckt wurde, die in demselben abgesperrten verderblichen Gase abwärts, wozu auch die Wasserdämpfe beitrugen, die in Folge des eingeflossenen Wassers entstanden waren.“

Das oben berührte Eingießen von Wasser in den Schacht scheint sich zu bestätigen; vorsorglich und wohlmeinend glaubten die Bewohner des Dorfes Hauenstein dadurch den Brand im Schachte löschen, damit ihre Häuser vor der drohenden Feuersgefahr sichern und zugleich die Verschütteten retten zu können. –

Bezüglich des Zudeckens des Schachtes sind die Ansichten verschieden und die Angaben widersprechend. Während unser Gewährsmann das Zudecken als eine Thatsache annimmt und demselben einen nachtheiligen Einfluß beimißt, bedauern Andere, daß dies nicht geschehen sei, indem dadurch das Feuer erstickt und der Tunnel nicht durch den Schuttsturz verschlossen worden wäre. Die Hauensteiner behaupten, sie hätten zudecken wollen, wären aber davon durch einen englischen Aufseher, der dies für nachtheilig erklärte, abgehalten worden; der Aufseher dagegen sagt, die Hauensteiner haben das Zudecken nicht gestatten wollen, weil sie Erstickung der Verschütteten befürchtet haben. – – –

Wie dem nun sein mag, Donnerstag Nachts blieben alle Bemühungen erfolglos. Drinnen war wohl das stumme Gebet aller noch Lebenden die Bitte um baldige Erlösung; draußen stand der schwache Mensch verzweifelnd den vereinten feindlichen Elementen gegenüber. –

Am Freitag wurden die Arbeiten am frühesten Morgen wieder aufgenommen. Von Basel her war das ganze Directorium der Centralbahn in Begleit des Chemikers Schönbein[WS 1] auf Ort und Stelle eingetroffen, um für alle Fälle das Nöthige anzuordnen. Alle verfügbaren technischen Kräfte waren auf den Platz beordert. Von Basel und Aarau waren Spritzen, Rettungsapparate mit Mannschaft, Bettwerk und anderes Nöthige auf dem Wege. Während der Fahrt hatte Schönbein die Hoffnung ausgesprochen, die Luft auf chemischem Wege reinigen zu können, an Ort und Stelle angekommen, Angesichts der großen Dimensionen jedoch erklärte er, daß hier mit chemischen Mitteln nichts auszurichten sei, und nur mit gewaltigen mechanischen Mitteln gewirkt werden könne.

Aber die Bruderliebe und die Aufopferungsfähigkeit der Arbeiter hatte keine Geduld. Sie wollten ihre abgesperrten Brüder retten, um jeden Preis – auch um den höchsten – das Leben. Wie Helden wagten sie sich hinein an die Arbeit im giftigen Dunstkreise des Todes. Nach einer Viertelstunde tragen in der Regel je vier die Leiche des Fünften wieder aus dem Stollen heraus. Die todtblassen Träger erfrischen sich dann und mit dem entseelten Getragenen werden sofort alle Rettungsversuche vorgenommen. In der Regel vermag die Kunst der Aerzte das fliehende Leben wieder zurückzurufen – in der Regel nur, nicht immer! – Aber die Hingebung hatte keine Grenzen und die innere Aufregung verdoppelte wieder die sinkenden Kräfte. Von der letzten Colonne waren einige betäubt oder todt im Tunnel liegen geblieben.

Freiwillige drängten sich in Ueberzahl hinzu und wurden beordert, die Verunglückten zu retten. Sie begaben sich in das Gewölbe und brachten wirklich einige der Verunglückten wieder hervor. Beim Appell jedoch zeigte sich, daß von ihnen selbst mehrere zurückgeblieben waren. So wurde Colonne auf Colonne gesendet, bis die letzte, 16 Mann stark, wovon beinahe alle besinnungslos waren, auf dem Rollwagen aus dem Tunnel herauskam. Sie brachten die Leiche eines Bruders – die siebente; vier Mann waren noch vermißt, sie hatten sich zu tief in den Tunnel gewagt und waren erlegen. Neuerdings drangen die Arbeiter auf einen fernern Versuch, auch diese noch herauszuholen. Es bedurfte der ganzen Energie der Führer, dies zu verhindern und dem Tode eine gewisse, noch reichere Ernte zu entziehen. Denn schon hatten also die Rettungsversuche elf Opfer gefordert. Aber sie achteten des Lebens nicht mehr. Es gibt Ingenieure und Arbeiter, die sechs, sieben Mal ohnmächtig aus dem höllischen Schlunde herausgetragen wurden und zum achten Mal mit ungebrochenem Muth wieder hineinstürzten. Weit entfernt, eines Sporns zu bedürfen, mußte man die Arbeiter, deren sich eine Leidenschaft bemächtigt hatte ähnlich der Schlachtwuth der Soldaten, zeitweise mit Bayonnetten zurückhalten.

Man begann nun die ersten Versuche zur Luftreinigung. Das Wasser, das aus der Tiefe des Tunnels hervorquillt, hatte sich durch den Schutt hindurch Bahn gebrochen und ermöglichte es, mehrere auf dem Platze vor dem Tunnel und in dessen Eingange aufgestellte Feuerspritzen in Bewegung zu setzen. Man schleuderte aus denselben einen fortwährenden Regen gegen die andringenden Gase, und glaubte durch das Ausspritzen von Kalkwasser die Kohlendämpfe neutralisiren zu können. Aber stets noch stürzten die Arbeiter halb erstickt um, weshalb sie alle 10 Minuten abgelöst werden mußten, bis man, von der Unzulänglichkeit dieses Mittels überzeugt, diese Versuche einstellte.

Aber die immer belebende Hoffnung spornte zu neuen Versuchen an. Man glaubte, durch mächtig große Strohfeuer und durch rasches Hin- und Herfahren mit Rollwagen, auf welchen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Christian Friedrich Schönbein, Vorlage: Schönlein
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_391.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2017)