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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Gewiß, mein Herr.“

„Das war erstens. Zweitens, wenn Jemand das Zimmer miethen will, das dort an das Besuchzimmer anstößt, so sagen Sie es mir, ich miethe es Ihnen dann, zu diesen dreien hinzu, für denselben Preis ab, den Sie von dem Andern bekommen hätten. Einverstanden?“

„Ich habe nur Vortheil dabei, mein Herr.“

„Drittens, Sie bekümmern –. Aber halt, haben Sie Kinder, Madame?“

„Vier.“

„In welchem Alter?“

„Meine älteste Tochter zählt siebenzehn Jahre; die anderen sind zwölf bis fünf Jahre alt.“

„Gehört noch sonst Jemand zu Ihrer Familie?“

„Niemand.“

„Nun wohl, Madame, drittens also, weder Sie noch Ihre Kinder bekümmern sich um Jemanden, der zu mir kommt oder zu mir will, sei es bei Tage oder bei Nacht. Wer nach mir fragt, dem zeigen Sie meine Thür, dort rechts, die des Besuchszimmers, und kümmern sich weiter nicht um ihn und fragen nicht, wer er sei und was er wolle, und wenn er fragt, ob ich zu Hause sei, so antworten Sie ihm, Sie wüßten es nicht, er solle anklopfen; und wenn er dann von mir keinen Bescheid erhält und wieder zu Ihnen kommt, so sagen Sie ihm, ich müsse also wohl nicht zu Hause sein, und weiter nichts. Sind Sie auch damit einverstanden, und wollen Sie danach streng Ihre Kinder instruiren?“

„Wir werden uns Alle pünktlich danach richten, mein Herr.“

„Schön, Madame, so wären wir fertig. Wann kann ich einziehen?“

„Wenn Sie wollen.“

„Heute Abend, wenn es dunkel ist.“

„Ihr Name, mein Herr?“

„Sie nennen mich Herr Ehrenreich.“

Als es dunkel geworden war, kam der Herr Ehrenreich in einer Droschke zurück. Er hatte nur wenige Sachen bei sich, einen Reisekoffer und ein kleines, schweres Kästchen, das er selbst und sehr vorsichtig aus dem Wagen trug und sofort in seiner Schlafstube verschloß. Er bestellte sich ein einfaches Abendbrod: Brod, Butter und Käse, ein paar gekochte Eier und eine Flasche frisches Wasser, und zum folgenden Morgen zwei Tassen Kaffee mit einem Brödchen. Weiter sollte sich Niemand um ihn bekümmern. Am anderen Morgen war er früh auf, und als ihm die Frau seinen Kaffee brachte, fand sie ihn völlig angekleidet, so daß er jeden Augenblick Besuch empfangen konnte, in seiner Arbeitsstube sitzen, dem Anscheine nach mit Papieren beschäftigt, die auf seinem Tische ausgebreitet lagen. Den Tisch hatte er unmittelbar an das auf den Corridor führende Fenster gerückt, und er saß so, daß er nur die Hand aufzuheben brauchte, um die Gardine an der Seite des Fensters zu verschieben und so in den Corridor zu blicken, ohne daß er selbst in diesem sichtbar wurde.

„Ein sonderbarer Mensch,“ dachte auch die Frau Rohrdorf. „Ich soll nicht wissen, wer zu ihm kommt; er will die Leute, die ihn besuchen, vorher desto genauer beobachten. Was für Menschen mag er erwarten? Und welche wichtige und geheimnißvolle Sachen mag er mit ihnen zu verhandeln haben, daß er sogar, blos um nicht behorcht werden zu können, die Stube nebenan miethen will?“

Bei der Polizei ihn anzumelden, hatte er gar geradezu verboten; er stehe für jede, auch noch so hohe Strafe ein; übrigens habe er sich schon selbst angemeldet. Er hatte indeß bei seinem raschen, kurzen Benehmen ein ehrliches Aeußeres[WS 1]. Die Frau Rohrdorf machte sich daher keine Sorgen um ihn. Den ganzen Morgen blieb er zu Hause; erhielt auch keinen Besuch. Sein Mittagessen verzehrte er in seiner Stube; er hatte es sich sehr einfach bestellt, Suppe, Gemüse, Fleisch. Gleich nach Tische wurde es lebendiger bei ihm, zum Theil zu seiner nicht angenehmen Ueberraschung. Zuerst brachte der Briefträger einen Brief an ihn: Herrn Ehrenreich bei Madame Rohrdorf, Wallstraße Nr. 72. Er wurde roth vor Zorn, als er den Brief gelesen hatte.

„Madame, haben Sie Jemandem gesagt, daß ich bei Ihnen wohne?“

„Niemandem, mein Herr.“

„Beim Teufel, woher weiß dieser Mensch denn meinen Namen und meine Wohnung? Wer ist dieser Herr Louis Drucker? – Was lachen Sie, Madame?“

„Louis Drucker hat Ihnen geschrieben?“

„Ja, und hören Sie den Unsinn.“ Der Herr Ehrenreich las:

„Hochgeehrtester Herr!

 Der Ruf eines liberalen Freundes und Beschützers der Künste und Wissenschaften ist Ihnen in diese Residenz, den Sitz der Künste und Wissenschaften, des Lichts und der Aufklärung, vorausgegangen. Daher darf denn auch der gehorsamst Unterzeichnete Sie zu einer seiner, der feinsten geistigen Unterhaltung gewidmeten Soiréen, in welchen Sie mehr als gewöhnlichen Berliner Theeaufguß finden werden, auf heute Abend sechs Uhr bei sich einladen. Herr Nudelmüller wird sich heute besonders auszeichnen. Ihr ergebener und vergnügter Weinwirth

Louis Drucker, Poststraße, Nr. 3.“ 

„Was sagen Sie dazu, Madame? Woher kennt der Mann meinen Namen? Was weiß er von meiner Liebe zu den Künsten und Wissenschaften?“

„Woher er Ihren Namen und Ihre Wohnung kennt, Herr Ehrenreich, das kann ich Ihnen in der That nicht sagen; im Uebrigen erhält jeder Fremde, der nach Berlin kommt, sich einige Tage hier aufhält und dessen Name durch irgend ein Fremdenblatt bekannt wird, eine völlig gleiche Zuschrift von diesem Industrieritter neuer und etwas besonderer Art.“

„Und was will er von mir?“

„Nichts, als daß Sie seine Weinstube besuchen und darin für theures Geld eine Flasche schlechten Wein bezahlen. Austrinken werden Sie sie schwerlich.“

„Eine sonderbare Stadt, dieses Berlin, das auch durch andere Leute, als den Herrn Drucker, sich den Sitz der Künste und Wissenschaften, des Lichts und der Aufklärung zu nennen beliebt.“

Die Unterredung wurde unterbrochen. Die Klingel der Wohnung wurde gezogen und die Frau Rohrdorf eilte, zu öffnen. Ein Herr in schwarzem Frack, weißer Halsbinde und hohem Cylinder hatte geklingelt. Der Frack war etwas abgetragen, der Hut zerknickt, die weiße Halsbinde hatte dunkle Streifen. Der Mann sah würdevoll und feierlich aus, trotzdem daß seine lauernden Augen schnell und lebhaft genug alle Räume, Winkel und Ecken durchflogen.

„Ist der Herr Ehrenreich zu Hause?“ fragte er mit einer sanften, aber sehr würdig gehaltenen Stimme.

„Ich weiß es nicht,“ erwiderte der eingegangenen Bedingung gemäß die Frau. „Dort ist sein Zimmer.“

Der Herr ging zu der bezeichneten Thür und klopfte an. Die Frau konnte beim raschen Umblicken noch gewahren, wie der Herr Ehrenreich seine Fenstergardine etwas gelüftet, sich den Fremden mithin besehen hatte. Sie kehrte in ihre Wohnung zurück. Der Herr Ehrenreich aber öffnete dem Fremden die Thür.

„Ich habe die Ehre, den Herrn Ehrenreich zu sehen?“

„So ist mein Name. Was ist Ihnen gefällig, mein Herr? – Doch vor allen Dingen, mein Herr, darf ich fragen, woher Sie meinen Namen und meine Wohnung erfahren haben?“

„Ein so ausgezeichneter Beförderer der Künste und Wissenschaften, wie Sie, Herr Ehrenreich –“

„Donnerwetter, Herr, wer hat Ihnen das gesagt?“

„Was alle Welt weiß, wie sollte das –“

„Alle Welt weiß nichts von mir,“ rief eifriger der Herr Ehrenreich.

Aber der Fremde ließ sich nicht irre machen.

„Wie sollte das,“ fuhr er in seinem würdigen, sanften Tone fort, „in dieser Residenz, dem Sitze der Aufklärung und der Künste und Wissenschaften ein Geheimniß bleiben können?“

Dem Herrn Ehrenreich schien auf einmal ein Licht aufzugehen.

„Sind Sie der Herr Nudelmüller?“ fragte er.

Der würdige Herr entsetzte sich. „Mein Herr, ich bin kein elender Possenreißer. Aber ich verzeihe Ihnen; Sie sind fremd in dieser großen Stadt.“

Das brachte den Herrn Ehrenreich auf seine erste Frage zurück. „Zum Teufel, ja, Herr, und ich möchte im Ernst und ohne alle Possenreißerei, verstehen Sie, ohne alle, von Ihnen erfahren, wie Sie mich hier haben auskundschaften können?“

Der würdige Herr war nicht aus seiner Fassung zu bringen.

„Ich hatte bereits die Ehre, es Ihnen zu sagen; Berlin ist der Sitz der Künste und Wissen–“

„Himmeldonnerwetter, Herr, dieser verdammte Sitz! Was wollen Sie von mir? Aber machen Sie es kurz.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Aeußere
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_395.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)