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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

zwischendurch ein paar Mal glücken sollte. Er redete mit keinem Menschen mehr davon, denn ein Jedes rieth ihm ab, d. h. jeder Ordentliche, aber er spielte, wo sich nur eine Gelegenheit dazu bot.

„Die Ricke war ein prächtiges Mädchen; ich habe mein Lebtag nicht wieder so ein paar Augen gesehen; ihr Gesicht war wie lauter Milch und Blut und gesund war sie wie ein Fisch im Wasser. Unsere Väter waren Schulcameraden gewesen und wollten, wir Zwei sollten ein Paar werden. Wir Zwei hätten nichts dagegen gehabt, wenn die Eltern es auch nicht gewollt hätten, denn wir Zwei hatten uns schon gern, wie sie fünfzehn und ich achtzehn Jahre alt war; nicht nur gern, wir gehörten einander, wie man so spricht, mit Leib und Seele an, und es hätte mir Einer geben können, was er wollte, ich hätte nicht von ihr gelassen.

„Sie war zwanzig Jahre alt geworden und es sollte bald mit uns vor sich gehen. Ich konnte es schier nicht erwarten, bis ich sie nur hätte. In der Stadt war Vogelschießen, und der Vater von der Ricke ging am Sonntag mit ihr hin. Ich hatte auch mit gewollt, aber mein Vater litt’s nicht. Er sagte, der Wehner wäre im Stand, und verleitete mich auch zum Spielen. Ich brummte wohl was darüber, aber wir hatten gewaltigen Respect vor unserem Alten, und so blieb ich daheim. Die Andern kamen spät wieder, und ich sah die Ricke am Abend nicht mehr. Früh am Morgen erzählte mir der Knecht, ob ich denn gehört, was für ein Glück die Ricke gehabt hätte; sie habe ja in der Lottobude auf alle ihre Nummern gewonnen, und in der Stadt einen Tragkorb borgen müssen, um alle die Sachen, meist Tassen und Gläser, aber auch ein paar Dutzend Teller, ein Gedeck Bildzeug und ein Bügeleisen, heim zu tragen. Sie wäre aber auch wie toll vor Freude und sie ließe sich nicht abhalten, sie wollte gleich heute wieder in die Stadt und drin bleiben, so lang das Vogelschießen dauerte.

„Mir hätt’s schon recht sein können, daß die Ricke so viel Glück gehabt hatte, aber daß sie wieder in die Stadt wollte, versalzte mir gleich den Spaß. Ich ging zu ihr, und wie ich in die Stube trat, wunderte ich mich, denn der ganze Tisch und die Bank lagen voll gewonnener Sachen. Die Ricke hatte einen Kopf wie eine Kohle und lachte und jauchzte nur in einem fort. Der Vater hatte seinen Jux daran, die Mutter saß am Spinnrad und sagte nichts, aber sie sah mich an, als müßte ich ihr Rath bringen. Die Ricke gefiel mir nicht und ich sagte, sie solle lieber nicht wieder auf’s Vogelschießen gehen, aber da kam ich gut an:

„Ob ich mir auch schon von den Neidhämmeln was hätte vorschwatzen lassen? Das Gerede käme vom puren Neid“, und so fort.

„Ich hatte noch nichts vom Gerede gehört, und ging meiner Wege, aber wo ich mich nur sehen ließ, trugen mir’s die Leute zu, die Ricke habe sich übel aufgeführt und hätte in der Bude und hernach im Weinhaus geschrieen und gelärmt, daß die Stadtleute sich schier zu Tode über sie gelacht, die Heubacher sich aber schier zu Tode geschämt hätten.

„Ich ging herum, wie wenn ich selber was Unrechtes gethan hätte; die Ricke aber wurde um so toller, je mehr sie merkte, daß viele Leute dagegen waren. Von mir verdroß sie’s am meisten und mir war’s, als ging mir ein Pfahl immer tiefer in’s Fleisch. Es half auch kein Abreden, sie ging am Nachmittag mit ihrem Vater und ihrem Vetter, dem Wehner, der sich nun erhängt hat, wieder in die Stadt. Es fehlte auch so nicht an Begleitung, denn es war damals keine gute Zucht in unserem Dorf, und Viele gingen nur nicht mit, weil sie gehört hatten, daß die Stadtleute sich so über die Spielwuth und die Frechheit von den Heubachern aufgehalten hatten.

„Damals waren die Heubacher, es gab nicht viel Ausnahmen, überhaupt verschrieen; sie verdienten’s aber auch, und wenn ich dran denke, wie’s jetzt steht, und daß kein Dorf weit und breit ist, was so viel Achtung hat, wie Heubach, so kann ich unserem Herr Gott, der uns Sie, Herr Pfarr, und Ihren Vorgänger geschickt hat, nicht genug danken.“

„Es stand freilich noch immer nicht gar zu gut, wie ich hierher kam,“ sagte der Pfarrer Butzer, „aber mein Vorgänger, der Feldmann, hatte mir in den fünfundzwanzig Jahren, wo er hier war, doch schon vorgearbeitet, denn das war ein tüchtiger Mann.“

„Ja, das muß wahr sein,“ sagte die Valtin, „der sich auch schon einen Gotteslohn verdient, und wenn wir Sie nicht dafür bekommen hätten, so wär’s ein Unglück gewesen, daß er versetzt wurde. Er war freilich „ein bißle“ barsch.“

„Ja, das war er,“ sagte der Valt und lachte, daß ihm der Leib schüttelte, „barsch war er und ich glaube, wenn sich jetzt einer herausnehmen wollte, was der that, so nähm’s kein gutes Ende. Aber damals ging Noth an Mann und die Regierung that nicht nur ein Auge zu, sie hielt die zehn Finger vor alle zwei; und das war gut, denn so aufsässig von Anfang an die Meisten ihm waren, so gern hatten sie ihn Alle mit einander, wie er fortging.“

„Das glaub’ ich,“ fiel der Pfarrer ein, „im Anfang hatte ich ja meine liebe Noth. Wo ich was that oder angab, da hieß es: „der Feldmann hat es anders gemacht.“ Ich kann’s noch nicht vergessen, ich mochte ungefähr ein Jahr hier sein, da kam der Feldmann unverhofft einmal zu Besuch. Er kam zu Fuß und oben an der Hölle sah ihn zuerst der „böse Meyer“ –.

„Ja freilich,“ fiel ihm die Anne in’s Wort, „an dem er sechs Jahre zuvor seinen Stock zerschlug, weil er’s mit angesehen hatte, wie er seinem eigenen Vater in der Hitze einen Schlag gab. Gerade der, der „böse Meyer“, hing ihm hinterher am meisten an, und ich hätte Keinem rathen wollen, ein Wort gegen den Pfarrer zu sagen, wenn der Meyer dabei war.“

„Ja, der war’s,“ fing der Pfarrer wieder an; „er kam mit einem wahren Gebrüll zum Dorf hereingelaufen, daß die Meisten dachten, es wäre „Feuerio!“ aber er schrie nur immer: „der Feldmann kommt!“ Und hinter ihm her hinkte die lahme Hirtin, kein Mensch hatte sie je so laufen sehen, und schrie auch: „der alte Pfarrer kömmt!“ und ehe er nur im Dorfe ankam, war schon Alles aus den Häusern und ein Jubiliren, als wenn ein Kaiser käme. Mir war’s im ersten Augenblicke nicht einerlei; es rührte sich ordentlich so was wie Eifersucht in mir. Aber ich schluckte es hurtig hinunter und dachte, es wäre besser den Himmel anzurufen, daß es mir einmal auch so erginge wie dem Feldmann.“

„Das hoffe ich nicht, Herr Pfarr,“ sagte der Veit und lachte so verschmitzt in sich hinein, „denn ich denk’, Sie sollen nicht von Heubach fort kommen.“

„Das denken wir auch,“ fielen ihm die Anne und der Martin in die Rede und der Pfarrer nickte und lachte mit ihnen.

„Es war aber nicht zu verwundern, daß der Feldmann so einen Anhang hatte,“ sagte der Valt, „aber er war auch nicht immer so barsch, wie gegen den bösen Meyer; er konnte auch lammfromm, wie ein Kind, gegen die sein, die sich nichts vorzuwerfen hatten, und wenn ich denke, daß er den lahmen Schneider mutterseelenallein gepflegt hat. Tag und Nacht acht Tage lang nicht von seinem Bett gekommen ist, wie er den Typhus hatte, und Keins zu ihm wollte, bis endlich die Gänsehirtin auf sein Zureden ihm beistand, da kann man es schon begreifen, wo die Liebe zu ihm herkam. Manchmal ließ er auch närrische Streiche ausgehen, aber ihm glückte Alles, denn er that Alles zu seiner Zeit. Einmal in der Dämmerung kam er dazu, wie ein Handwerksbursche sich am Brunnen ungebührlich gegen die Magd vom Schulmeister benahm; sie hatte die volle Butte und konnte ihm nicht darauf dienen; da kam unser Feldmann ihm von hinten bei und gab ihm ein paar Tachteln, denn Kräfte hatte er, daß der Stromer nur so taumelte und zum Dorfe draußen war, hast du nicht gesehn.“

„Und weißt Du’s noch,“ sagte die Anne, „wie er der „Müllerin“, der Schreinersfrau, anrieth, das nächste Mal, wo ihr Mann betrunken heim käme und sie prügeln wolle, solle sie den Spieß umdrehen und auf ihn losprügeln?“

„Freilich, freilich! sie wollte erst nicht dran, war so ein stilles, kleines, braves Fraule, aber der Feldmann redete ihr zu und sie that’s. Da war auch auf der Stelle der Rausch vorbei. Das hat sich die Frau gemerkt und das nächste Mal brauchte es kein Zureden. Aber der Schreiner bekam so einen Respect vor seiner braven Frau, daß er sich vor dem Wirthshause hütete. Hernach ging’s prächtig. Aber vor lauter Schwätzen über den Feldmann hätte ich die Ricke schier vergessen. Ja, wo war ich denn stehen geblieben?“

„Wo die Ricke wieder in die Stadt gegangen war,“ sagte der Martin.

„Richtig, da. Sie kam erst nach zwei Tagen wieder, und ich habe mein Lebtag nicht so etwas gesehen, als wie das Mädchen aussah. Sie hatte schier keinen Bissen gegessen, nur immer getrunken, so war sie in die Rasche (Rage) über das Spiel gekommen. Es war, als wollte der liebe Gott uns Allen miteinander ein Exempel an ihr geben. Sie hatte erst im Lotto, wie das erste Mal, hernach aber auch an der Bank gespielt und wieder viel gewonnen. Das Mal war’s nicht nur, daß man sich über sie aufhielt, weil sie sich so frech aufführte, es kam auch richtig noch Neid

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_435.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)